27.02.2013, 10:07 Uhr

Wi-Fi als Mobilfunkstandard

Der mobile Breitbandverkehr nimmt jedes Jahr um ca. 60 Prozent zu. Um diesem Wachstum standzuhalten, müssen die Mobilfunk­netz­betreiber ihre Kapazitäten schnell und kostengünstig ausbauen. Welche Alternativen gibt es?
Wi-Fi bietet Netz­betreibern als Zugangstechnologie einige offensichtliche Vorteile
Der Autor ist Country Manager von Nokia Siemens Networks. Das Nadelöhr, das den Datenverkehr im Mobilfunk am meisten behindert, ist das aktuell verfügbare Frequenzspektrum. Die Mobilfunkbetreiber werden daher mittel- und langfristig bestrebt sein, Dienste über sämtliche Frequenzen anzubieten, derer sie habhaft werden können. Dabei beschränken sie sich nicht nur auf lizenzierte, exklusiv von einem Betreiber zu nutzende Frequenzen, auch der öffentlich verfügbare Bereich wird immer interessanter.

Multi-RAT

Im lizenzierten Bereich wird mittelfristig LTE (Long Term Evolution als 4. Mobilfunkgeneration) die dominierende Technologie sein. Allerdings werden wir hier über viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, auch noch GSM und 3G als parallel existierende Technologien sehen. Im unlizenzierten Bereich hat sich heute schon
Wi-Fi als dominierende Technologie etabliert. Die Koexistenz dieser verschiedenen Funktechnologien, man spricht hier von «Multi Radio Access Technologies» (Multi-RAT) stellt eine grosse Herausforderung dar. Dazu müssen einerseits Netzübergänge (Handovers) zwischen den Technologien realisiert werden, andererseits muss der Netzbetreiber dafür sorgen, dass sich der Verkehr unter Berücksichtigung der Qualitätsanforderungen einigermassen gleichmässig auf 2G, 3G, LTE und Wi-Fi verteilt.
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Small Cells/Multilayer Network

Zusätzlich zur Ausnutzung aller Spektren ist es auch nötig, die Kapazität innerhalb eines Frequenzbands zu erhöhen. Dazu werden immer mehr und immer kleinere Funkzellen installiert. Je nach Sendeleistung wird in Micro-, Pico-, oder Femto-Zellen unterschieden, deren Zell­radien sich zwischen wenigen Metern bis zu einigen 100 Metern bewegen. Da der Zellradius mit der Höhe der Frequenz abnimmt, lassen sich diese Small-Cell-Technologien bevorzugt in höheren Frequenzbändern (z.B. 2,6 GHz) effizient einsetzen. Small Cells können in denselben Frequenzbereichen wie die regulären Basisstationen (Makrozellen) betrieben werden. Small Cells und Makrozellen überlagern sich dann im gemeinsamen Spektrum, es entsteht ein sogenanntes Multilayer Network (vgl. Grafik 1). 

Heterogenes Netz/SON

Die Vielzahl der Funktechnologien, kombiniert in einem Multilayer Network, wird auch als heterogenes Netz (HetNet) bezeichnet (vgl. Grafik 2).
Die gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Technologien und Layer in einem HetNet erhöht die Komplexität des Netzbetriebs beträchtlich. So müssen die Verkehrsströme auf die verschiedenen Technologien verteilt werden (Load Balancing). Handovers müssen realisiert und optimiert, Interferenzen minimiert werden. Um z.B. die Anzahl der Handovers zu minimieren, ist es notwendig zu erkennen, ob und wie schnell sich ein User bewegt. Stationäre Anwender werden dann bevorzugt in kleine Zellen und Verbindungen aus bewegten Fahrzeugen in den grossen Makro-Zellen gehalten. Um diese Netze wirtschaftlich betreiben zu können, sind umfangreiche Software-Funktionen notwendig, die es erlauben, die Komplexität mit möglichst wenig manuellen Eingriffen zu beherrschen. Der Begriff Self Organizing Networks (SON) fasst diese Netzbetriebsfunktionen zusammen. SON-Funktionen spielen bei der Installation der Netze (Plug&Play), aber auch bei der Optimierung (Self Optimization) und im Fehlerfall (Self Healing & Self Restauration) eine wichtige Rolle. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wi-Fi und Mobile Data Offload

Wi-Fi und Mobile Data Offload

Wi-Fi bietet Netz­betreibern als Zugangstechnologie einige offensichtliche Vorteile. Zum einen ist das Spektrum frei verfügbar und verursacht damit keine Lizenzkosten. Zum anderen ist die Technologie weitverbreitet und die Infrastruktur praktisch schon vorhanden. Wi-Fi-Router stehen in nahezu jedem Haushalt mit Internetzugang, ebenso in vielen Cafés, Restaurants, Flughäfen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Auch sind alle gängigen Endgeräte, vom Smartphone über Tablets bis zum Laptop, Wi-Fi-fähig. Die Nutzung für mobiles Internet sollte also ohne grössere Investitionen möglich sein.
Prinzipiell dient Wi-Fi der IP-basierten Datenübertragung. Bei Einbindung in einen Mobilfunkdienst spricht man auch vom «Mobile Data Offload», also der Entlastung der lizenzierten Spektren durch Übertragen der Datendienste auf Wi-Fi. Internetzugang, Videostreaming und Gaming sind Bestandteil dieser Datendienste. Hierzu sind aber doch noch einige Herausforderungen zu überwinden, sowohl punkto Transparenz und Nutzerfreundlichkeit als auch hinsichtlich der Dienstegüte. Die wichtigsten sind: Netzauswahl und Authentifizierung: Die erste Hürde stellt die Netzauswahl durch das Endgerät dar. Diese wird heute meist manuell vom Anwender vorgenommen, soll aber künftig automatisch und für den Endkunden trans­parent erfolgen. Entsprechende Standards ermöglichen es bereits heute, durch sogenanntes Device Management, aus dem Netz heraus Endgeräte so einzustellen, dass diese jeweils die vom Netzbetreiber an einem bestimmten Ort bevorzugte Technologie (Wi-Fi oder 3G/LTE) nutzen. Standards zur Netzauswahl wurden sowohl von 3GPP (ANDSF, Access Network Discovery and Selection Function) als auch von IEEE (ANQP, Access Network Query Protocol) definiert. Es bleibt abzuwarten, welche Standards von den Endgeräten künftig unterstützt werden. Allerdings lassen sich diese Funktionen bereits heute durch zusätzliche Apps installieren. Der nächste Schritt ist die Authentifizierung. Heute erfolgt diese häufig über Captive Portals, das heisst, beim Anwender werden Identifikation und Passwort abgefragt. Neuere Standards erlauben die Authentifizierung vollautomatisch, basierend auf der SIM-Karte. Die Identifikation ist dann identisch mit den 3G/LTE-Netzen und damit wiederum transparent für den Anwender. Der zugehörige Standard heisst EAP-SIM (Extensible Authentication Protocol-SIM). Quality of Service: Eine wichtige Frage stellt sich bezüglich der Dienstequalität (QoS). Da das Spektrum frei zugänglich ist, kann es jederzeit zu Über­lastungssituationen kommen, die im Rahmen eines kostenpflichtigen Mobilfunkangebots nicht akzeptabel wären. Um die Qualität garantieren zu können, muss diese ständig überwacht werden. Sobald die Qualität nicht mehr ausreicht, muss ein Handover zurück zum 3G/LTE-Netz erzwungen werden. Entsprechende Funktionen sind in einem HetNet vorhanden und dienen dem Load Balancing zwischen den verschiedenen Netzschichten und Technologien. Wi-Fi muss hierzu in die SON-Funktionen und damit in das HetNet eingebunden werden. Auch dazu ist die Technologie heute schon vorhanden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Prognose Sprache über Wi-Fi: Auch Sprache lässt sich per Voice over IP (VoIP) über Wi-Fi einfach übertragen. Da auch die Sprachübertragung bei LTE IP-basiert erfolgt, ist eine nahtlose Integration möglich. Die Verbindungen bleiben auch während eines Handovers erhalten. Heute sind hierzu noch spezifische Client-Applikationen auf den Endgeräten nötig. Künftig sollte dies aber mit den Basisfunktionen von Smartphones möglich sein. Netzseitig werden die VoIP-Funktionen von einem IP-Multimedia-Subsystem (IMS) nach 3GPP bereitgestellt. Small Cell Backhaul: Ein besonderer Anwendungsfall für Wi-Fi ist der Netzanschluss oder Backhaul für LTE Small Cells. So könnten Pico-Zellen (1–5 Watt Sendeleistung), die an Laternenpfählen oder Hauswänden montiert werden, über Wi-Fi mit denjenigen Zugangspunkten verbunden werden, die über einen Glasfaseranschluss verfügen. Somit müsste nicht jede Pico-Zelle separat über Glasfaser angeschlossen werden, was wirtschaftlich nicht vertretbar wäre.
 2,4 GHz oder 5 GHz: Viele Endgeräte unterstützen bereits heute beide Wi-Fi-Frequenzen  (2,4 und 5 GHz) und es werden immer mehr. 2,4 GHz erlaubt aufgrund der geringeren Frequenz eine höhere Reichweite. Allerdings kommt es dort häufig zu Überlastsituationen, da zum einen das Spektrum durch Verkehrsaufkommen deutlich mehr belastet ist als das 5-GHz-Spekt­rum, zum anderen auch mehr Interferenzen mit benachbarten Spektren auftreten. Das 5-GHz- Spektrum wird zumindest heute noch sehr wenig genutzt, stellt aber generell auch mehr Kapazität bereit. So sind die 23 in 5 GHz verfügbaren Kanäle völlig überlappungsfrei und können gleichzeitig genutzt werden. Die 11 in 2,4 GHz verfügbaren Kanäle stören sich gegenseitig, sodass eigentlich nur die Kanäle 1, 6 und 11 gleichzeitig genutzt werden können. Gerade für den Small Cell Backhaul bietet sich daher 5 GHz als Variante mit hoher Dienstqualität an.

Prognose: Wi-Fi wird integriert

Wi-Fi entwickelt sich zu einem integralen Bestandteil der Mobilfunknetze. Die Wi-Fi-Kapazität wird in Zukunft in den Mobilfunkdienst des Betreibers nahtlos eingebunden sein. Der Zugang und auch die Qualität sind für den An­wender transparent, womit die Kapazität im Rahmen der regulären 3G- oder LTE-Services angeboten werden kann. Das Volumen, das über Wi-Fi transportiert wird, würde dann zum Beispiel zu einem vom LTE-Anwender erworbenen Monatsvolumen zählen. Standards und Lösungen dazu sind heute vorhanden und werden sicherlich in naher Zukunft zum Einsatz kommen.


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