Open-Source 07.11.2013, 09:28 Uhr

Treibstoff für Innovationen

Open-Source-Software ist preiswerter. Das ist sicher richtig. Wettbewerbsentscheidend aber sind ganz andere Vorteile. Welche Open-Source-Produkte empfehlen Schweizer CIOs?
Kostenreduktionen galten lange Zeit als das Paradeargument für den Einsatz von Open-Source-Produkten. Zum eingesparten Franken sagt niemand Nein. Das ist auch heute noch so. Jedoch gibt es erstens noch weitaus bessere Argumente und zweitens sollte man sich nicht täuschen lassen. Zwar fallen die Lizenzkosten, wie sie bei pro­prietärer Software gang und gäbe sind, komplett weg. Aber Open Source im Business-Einsatz ist nicht zum Nulltarif zu haben. Kosten für individuelle Anpassungen, Support, Wartung und Training der Endanwender schlagen durchaus zu Buche.
Langfristig, so hat swissICT herausgefunden, rechnen Open-Source-Kunden mit Einsparungen zwischen 10 und gut 30 Prozent ihres IT-Budgets. Allerdings lässt sich die offene Software auch perfekt als Waffe im Preiskampf mit proprietären Software-Anbietern einsetzen. Wer glaubhaft machen kann, dass er willens und in der Lage wäre, auf Open Source zu migrieren, hat eine bessere Verhandlungsposition und kann in Lizenzverhandlungen mit den Proprietären durchaus ansehnliche Rabatte he­rausschlagen. Nächste Seite: Wettbewerbsentscheidende Vorteile

Wettbewerbsentscheidende Vorteile

Schweizer CIOs schauen aber nicht nur aufs Geld. Ein anderes Argument hat der Kosten­reduktion mittlerweile den Rang abgelaufen. Schweizer IT-Verantwortliche wünschen sich vor allem offene Standards und offene Schnittstellen. Und da ist Open Source das Mittel der Wahl, um dem berüchtigten Vendor Lock-in vorzubeugen. Ein Hintertürchen, das allzu grosse Abhängigkeiten gar nicht erst entstehen lässt. Jim Whitehurst, President und CEO des Business-Open-Source-Anbieters Red Hat, führt einen dritten Vorteil ins Feld. Klar, Kostenreduktionen und der immer drohende Vendor Lock-in seien starke Motivationsgründe. Kunden schätzten aber auch die höhere Agilität und Flexibilität. Open-Source-Kunden verkürzen, verglichen mit dem proprietären Beschaffungsmodell, die Time-to-Market ihrer Produkte. «Open Source ist das überlegene Innovationsmodell», betonte Whitehurst gegenüber Computerworld.
Auch André Kunz von der Berner Software-Schmiede Puzzle ITC unterstreicht die bekannten Vorteile wie (langfristige) Kostenersparnisse, Unabhängigkeit vom Anbieter und Offenheit (vgl. Abb.). Die Berner haben auf Open-Source-Basis zum Beispiel eine Auto­mations-Middleware für «Die Mobiliar», ein Fahrgast-Informationssystem für die BLS-Doppelstöckerflotte und eine Ruby-on-Rails-Webapplikation für die Swisscom entwickelt. Nächste Seite: Wer haftet, wenns schiefgeht?

Wer haftet, wenns schiefgeht?

Für den grossflächigen Erfolg in Schweizer Unternehmen reicht Open Source allein jedoch nicht aus. Weitere Dienstleistungen müssen hinzukommen. Kunz nennt eine erweiterte Qualitätssicherung, garantierte Lebenszyklen, Sicherheitszertifikate, Support und letzten Endes auch einen verantwortlichen Ansprechpartner, der beim Kunden für die Software geradesteht, als unabdingbare Voraussetzungen für den Business-Erfolg. Er berührt damit einen wunden Punkt. Schweizer CIOs haben die Vorteile von Open-Source-Lösungen zwar klar vor Augen. Die Nachteile aber ebenso: Die grösste Sorge macht den IT-Leitern die mangelhafte oder gänzlich fehlende Lieferantenhaftung. Dann folgen ein fehlender kommerzieller Support und auf Platz drei die mangelnde Akzeptanz aufseiten der Endanwender (vgl. Abb. oben).

Ein nachhaltiger Trend

Open Source sei immer wieder als Hype-Thema behandelt worden, was zwangsläufig zu Enttäuschungen führe, sagt Peter Ganten, Geschäftsführer des deutschen Open-Source-Anbieters Univention. In Wahrheit sei dies jedoch ein langfristiger, nachhaltiger Trend. Anfangs war offene Software nur in Serverbetriebssystemen (wie Linux) vertreten. Dann kamen Datenbanken (PostgreSQL, MySQL) hinzu, später komplette Middleware-Systeme und schliesslich die Anwendungen. Vorreiter sei in vielen Ländern die öffentliche Hand. Ganten nennt Frankreich, Grossbritannien und Spanien als «gute Beispiele», und ergänzt: «In der Schweiz und in Deutschland wünschen wir uns da durchaus noch mehr Engagement, auch weil der Einsatz von Open Source letztlich im ureigensten Interesse des Steuerzahlers liegt.» Nächste Seite: Riesiges Marktpotenzial

Riesiges Marktpotenzial

Im Business-Einsatz sind besonders hohe Anforderungen zu erfüllen. «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir Projekte nicht dadurch gewinnen, indem wir Open-Source-Lizenzen anbieten», berichtet Bruno Kaiser, Chief Security Officer bei AdNovum. Eigene Qualitäten wie eine hohe Zuverlässigkeit in der Projektabwicklung, Flexibilität, ein konkurrenzfähiger Preis, Termintreue und eine hohe Qualität müssten hinzukommen. Der Schweizer IT-Dienstleister
sieht die lizenzfreie Software als integralen Bestandteil der eigenen kommerziellen Lösungen. «Der Kunde kauft letztendlich eine AdNovum-Lösung, in der viel Open Source drin ist», sagt Kaiser. Im Notfall, und das ist wohl entscheidend, steht AdNovum im Rahmen der vereinbarten Verträge für alle Leistungen ein – auch für die Open-Source-Komponenten. Die Open-Source-Community habe in den letzten Jahren gelernt, funktionierende Business-Modelle zu entwickeln. Das Marktpotenzial sei somit unverändert riesig.

Beliebteste Produkte

Welche Produkte setzen Schweizer Firmen heute schon ein, und wo besteht noch Markt­potenzial? swissICT und die Swiss Open System User Group «/ch/open» haben 202 Schweizer Organisationen befragt. Die «Open Source Studie» wird alle drei Jahre erhoben, die aktuellen Resultate stammen aus dem Jahr 2012. Spitzenreiter im User-Votum ist demnach die freie Programmiersprache Java plus Frameworks (57%), die viele Entwickler schon gar nicht mehr als Open Source ansehen, weil sie so gebräuchlich ist. Fast gleichauf rangieren Datenbanken wie MySQL, PostgreSQL, aber auch Big-Data-Lösungen wie Hadoop. Dann folgen Klassiker wie Apache HTTP, Linux und Anwendungsserver wie Tomcat. Immerhin 44 Prozent der Befragten antworteten, dass sie ein «freies» Enterprise-Content-Management-System im Einsatz haben. Als beliebte Produkte wurden ausserdem – in dieser Reihenfolge – genannt: Libre Office/Open Office, Typo3, JBoss (Middleware), Joomla (CMS), Firefox, Eclipse (Java-Framework), Wiki, Ubuntu, Gimp, Thunderbird und WordPress. «Weiterhin ein Mauerblümchendasein fristen Open-Source-ERP- und Open-Source-CRM-Systeme», konstatieren die Autoren der Studie. Nächste Seite: Was noch fehlt

Was noch fehlt

Computerworld hat deshalb Stefan Flück, Geschäftsführer des Luzerner Software-Anbieters Leuchter IT Solutions, gefragt, welches Feedback er von seinen Kunden erhält. Die Luzerner haben die Open-Source-Software Tryton im Angebot, ein ERP-System, das speziell auf die Bedürfnisse von Schweizer KMU zugeschnitten ist. «Kunden entscheiden sich eher selten aus ideologischen Gründen für Tryton und gegen eine proprietäre Lösung», berichtet Flück. Das wichtigste, oder zumindest am häufigsten genannte Kriterium der Kunden, sei die Flexibilität. Der offene Quellcode berge ein enormes Funktionspotenzial und gestatte es, individuelle Anfor­derungen schnell zu erfüllen. Zudem sei das Ganze auch für kleinere Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern finanzierbar.
Als grösste Herausforderung für den Anbieter nennt Flück die Anpassungen der Buch­haltung an die Schweizer Gegebenheiten. «Die ersten Jahresabschlüsse der Pilotkunden haben da schon Aufwand gekostet, wurden aber schlussendlich erfolgreich durchgeführt», erzählt er. Die gesetzlichen Vorgaben der Rechnungslegung seien wohl einer der Gründe, weswegen Open-Source-ERP-Lösungen in der Schweiz noch wenig verbreitet seien. Dabei könnten gerade kleinere und mittlere Unternehmen davon profitieren. «Genau hier sehen wir ein grosses Marktpotenzial, das noch völlig brach liegt», sagt Flück. Es fehle jedoch eine Anlaufstelle, die Schweizer KMU erklärt, was  Open-Source-Software überhaupt sei und wie man davon profitiert.


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