15.11.2012, 15:53 Uhr
Rohstoff Internet
Schnelles Internet ist für die Schweizer Wirtschaft ähnlich wichtig wie der Zugang zu Rohstoffen und Energie. Diese Abhängigkeit birgt beachtliche Risiken.
Die Schweiz ist ein Internetland. In Web- und Digitalisierungsvergleichen rangiert sie weltweit immer auf den vordersten Plätzen. Der «Networked Readiness Index» des World Economic Forum (WEF) weist die Schweiz auf Platz fünf aus. Zur positiven Bilanz tragen laut WEF bei, dass die Schweiz ein günstiges politisches und innovatives Umfeld hat, eine aussergewöhnlich gute Infrastruktur besitzt und exzellente technische Hochschulbildung bietet. Daneben werden neue Technologien durch Verbraucher und Unternehmen «sehr intensiv» genutzt. «Breitbandinfrastruktur und deren Nutzungsintensität sind heute ähnlich bedeutend wie ein gutes Bildungssystem oder der Zugang zu Energiequellen», betont Alex Koster von der Strategieberatungsfirma Booz & Company Schweiz. Bestätigung findet das WEF-Ergebnis im «Web Index» der World Wide Web Foundation von Tim Berners-Lee. Hier rangiert die Schweiz zwar nur auf Platz sechs, bei der wirtschaftlichen Bedeutung des Internets nimmt sie aber weltweit Rang zwei ein. Ein Grund sind die vielen international tätigen Unternehmen, die ihren Hauptsitz in der Schweiz haben. Für diese Konzerne ist das Internet essenziell.
IPv6 und M2M
Das weitere Wachstum hängt aber nicht zuletzt von der Innovationskraft der Akteure ab. Auch technische Ressourcen sind endlich, das zeigen exemplarisch die Meldungen der Internetregistrare. Das europäische RIPE Network Coordination Centre ist nach Asien der zweite von fünf regionalen Adressverwaltern, dem die IPv4-Adressen ausgehen. Der Vorrat für Europa hat sich bis auf 16,8 Millionen Adressen verringert. Ein Klacks bei beispielsweise weltweit 1,3 Millionen neu aktivierten Android-Endgeräten – pro Tag. Die Mehrzahl der Smartphones benötigt eine Internetadresse. Schätzungen gehen davon aus, dass 2020 mehr als 22 Milliarden Geräte über das Internet kommunizieren. Das Ende des Adressmangels verspricht IPv6. Vint Cerf, einer der «Väter» des Internets und heute Googles Chief Internet Evangelist, kennt die Vorteile des künftigen Internetprotokolls: «IPv6 öffnet ein riesiges neues Gebiet, Billionen und Aberbillionen Adressblöcke grösser, und verstärkt die End-to-End-Architektur, die das Internet in seinen Anfängen so stark gemacht hat.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: Mobil und omnipräsent Der Umstieg ist für Cerf und andere Experten nur eine Frage der Zeit. Die allerdings drängt. So droht etwa an der ETH Zürich alsbald der Adressnotstand. Laut den Informatikern der Hochschule verdoppelte sich die Zahl der drahtlosen Netzwerkgeräte in den letzten zwei Jahren jeweils. Jedes Jahr werden bis zu 4000 zusätzliche IPv4-Adressen benötigt, bereits im Frühjahr 2013 sind die IPv4-Ressourcen ausgeschöpft. Von panischem Aktionismus will Derk-Jan Valenkamp, Gruppenleiter Daten- und Sprachnetz, aber nichts wissen. «IPv6 ist an der ETH Zürich eingeführt, aber noch nicht flächendeckend ausgerollt», sagt Valenkamp. Einer der Gründe sei, dass ein Grossteil der Webseiten noch nicht via IPv6 erreichbar ist. Da die Zürcher Hochschule nicht nur in der Schweiz, sondern auch international zu den IPv6-Pionieren gehörte, mussten erstmal diverse technische Lücken geschlossen werden. Wie Valenkamp ausführt, sind die Client-Management-Produkte weiterhin IPv4-basiert und ein DHCPv6-Relay fehle. Bei der Lösung dieser Probleme arbeite die ETH Zürich eng mit Cisco zusammen. «Da wir früh mit IPv6 begonnen haben, konnten wir direkt Einfluss auf die Erweiterung verschiedener Funktionalitäten nehmen», lobt der Gruppenleiter die Kooperation mit dem Netzwerkriesen. Mit Firmware-Updates und Aktualisierungen der Software sei die Umstellung aber noch nicht geschafft. «Bis zur kompletten Ablösung von IPv4 dauert es sicher noch zehn bis fünfzehn Jahre», glaubt Valenkamp.
Mobil und omnipräsent
Bis dann werden Maschinen die Kommunikation im weltweiten Datennetz massiv dominieren. Bereits seit Mitte des letzten Jahrzehnts kommunizieren mehr Geräte als Menschen via SMS, ermittelte das Analystenhaus Forrester. Anlässlich der Gründung eines eigenen M2M-Geschäftsbereichs (Maschine zu Maschine) schätzte die Swisscom Ende 2011, dass in der Schweiz langfristig mehr als 100 Millionen Maschinen via Mobilfunk miteinander verbunden sind. Der Mobilmarkt dürfte denn auch das Geschäftsfeld der Zukunft sein. Die Zahl der verkauften Mobilgeräte übertraf laut den Analysten von IDC im vierten Quartal 2010 erstmals die Zahl der abgesetzten Computer (101 zu 92 Millionen). Das Verhältnis hat sich seitdem weiter stark zugunsten der Smartphones verschoben, wuchs der Weltmarkt zuletzt doch jährlich um 87 Prozent. Die Verkäufe von PCs legten lediglich um 3 Prozent zu. Angesichts dieser Entwicklung liess sich Googles Vizepräsident für Werbeverkäufe, John Herlihy, zu einer gewagten Prognose hinreissen: «Innerhalb von drei Jahren wird der Desktop-Markt seine Bedeutung verloren haben.» Das grosse Geld ist im Moment allerdings noch nicht in Sicht, die Werbebranche ignoriert den Mobilmarkt heute noch weitgehend: Nur eine Minderheit der Onlinewerbeformate sind für kleinere Bildschirme von Smartphones optimiert. Wer mit einem iPhone eine herkömmliche Webseite aufruft, sieht meist eine verkleinerte Darstellung – auch der blinkenden Anzeigenbanner. Für Mobilgeräte oder auch Twitter-Feeds angepasste Werbung ist – noch – eine Seltenheit. Zu den Exoten mit enormem Potenzial zählen heute auch Augmented-Reality-Anwendungen, die den Blick durch eine Smartphone-Kamera mit Informationen aus der digitalen Welt anreichern. PostAuto zählt hierzulande zu den Pionieren: Die App «FreizeitKlick» informiert Besitzer eines iPhones oder eines Android-Handys über Ausflugstipps und Sehenswürdigkeiten entlang der Routen des Car-Unternehmens. Analysten wie David Smith vom Forschungsinstitut Global Futures and Foresight gehen davon aus, dass Augmented Reality in Zukunft losgelöst von Endgeräten funktioniert. Googles Cyberbrille «Project Glass» ist ein Anfang, Linsen mit eingebauten Display ein weiterer Entwicklungsschritt. Damit wäre das Internet ein Begleiter auf Schritt und Tritt; jedermann würde jederzeit mit Informationen versorgt oder gar überflutet. Die Omnipräsenz des Internets ist schon heute ein Problem, mit dem sich Psychologen und Psychiater befassen. Franz Eidenbenz, Leiter Behandlung des Zürcher Zentrums für Spielsucht und andere Verhaltenssüchte, geht in einer konservativen Schätzung davon aus, dass hierzulande 70'000 Personen onlinesüchtig und weitere 110'000 gefährdet sind. Von Handy-Sucht sind laut einer repräsentativen Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Forschungsstiftung Mobilkommunikation der ETH Zürich fast 40'000 Jugendliche betroffen. Die gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen durch das Internet der Zukunft dürften den technischen in nichts nachstehen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Rohstoffe werden knapp
Rohstoffe werden knapp
Wo viele Informationen fliessen, fallen auch viele Daten an. Mobile Endgeräte sind im Moment aber noch echte Speicherzwerge. Um ihr wirtschaftliches Potenzial voll auszuschöpfen, braucht es Innovation: Die aktuelle Spezifikation der SD Association sieht für künftige SDXC-Speicherkarten (SecureDigital eXtended Capacity) ein Maximum von 2 Terabyte vor. Zum Vergleich: Im Durchschnitt kann die Grosshirnrinde des menschlichen Gehirns 3 Terabyte Informationen aufnehmen. Bis 2030 rechnen Experten mit Kapazitäten von bis zum 20'000-Fachen des menschlichen Gehirns, 2050 könnte das Dreifache des gesamten Weltwissens auf einen portablen Speicherchip passen. Der Kapazität scheinen keine Grenzen gesetzt, der Informationsflut allerdings auch nicht. IDC hat ermittelt, dass ein Drittel jedes Gigabytes, das im Jahr 2009 erzeugt wurde, schlicht aus Mangel an Speicherplatz nicht abgespeichert werden konnte. Diese «Deckungslücke» ist seitdem gewachsen. Heute gehen die Analysten schon von einer Unterdeckung von 60 Prozent aus. Die moderne Technologie und Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Pinterest animieren immer mehr Personen zum Mitmachen und dem Veröffentlichen eigener Inhalte. Möglicherweise entbrennt in Zeiten knappen Speichers die Diskussion um eine schonungsvolle und nachhaltige Nutzung dieser Ressource – analog zum Umgang mit Rohstoffen wie zum Beispiel Öl. Und seien wir ehrlich: Nicht jedes Gigabyte, das erzeugt wird, ist es auch wert, gespeichert zu werden. Der Mangel an realen Rohstoffen könnte letztlich der limitierende Faktor für die Entwicklung des Internets werden. Armin Reller, Physikprofessor an der Universität Augsburg, sagt ein Ende der Indium-Ressourcen bereits für 2017 voraus. Das Schwermetall wird für Flüssigkristallbildschirme benötigt. Die Vorräte von Hafnium – ein Werkstoff in der Halbleiterfertigung – sind nach Aussage Rellers ebenfalls gegen Ende dieses Jahrzehnts erschöpft. Die Zinkvorräte halten noch etwas länger: Das Rohmaterial unter anderem für Batterien soll noch bis im Jahr 2037 verfügbar sein. Ein Lichtblick kommt aus Grönland. Laut Experten gibt es auf der Insel unter dänischer Verwaltung riesige Vorkommen an Rohstoffen für die Halbleiterproduktion. «Die gesamten Vorräte an Seltenen Erden reichen aus, um den gegenwärtigen Weltbedarf für 150 Jahre zu decken», sagte Harald Elsner von der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Diese Vorräte sind allerdings verborgen unter kilometerdickem Eis, die technischen Schwierigkeiten beim Abbau wären – abgesehen von der enormen Umweltbelastung – gewaltig. Vielversprechender dürfte ein verstärktes Recycling der Rohstoffe sein. Und auch hier ist die Schweiz wieder mal auf den vordersten Plätzen anzutreffen: Nirgends auf der Welt werden so viele Rohstoffe zurückgewonnen wie hierzulande. Der Branchenverband Swico sammelte 59'439 Tonnen Elektroschrott allein im vergangenen Jahr. Damit rangiert die Schweiz nicht nur bei der Internetnutzung weit vorn, sondern auch bei der Sicherung von Ressourcen für künftiges Wachstum.