Hermes
15.10.2013, 10:00 Uhr
ganz nah beim Kunden
In Zeiten von Near- und Offshoring wird oft vergessen, wie wichtig geografische Nähe sein kann. Bei der Entwicklung einer neuen Webplattform für Hermes 5 trugen kurze Distanzen und persönliche Treffen wesentlich zum Projekterfolg bei.
Der Autor ist Lead Software Architect bei Zühlke Engineering AG. Die Projektmanagementmethode Hermes wurde vom Informatiksteuerungsorgan des Bundes (ISB) für Projekte im Bereich Informatik, Dienstleistungen, Service und Geschäftsorganisation entwickelt und ist schon seit vielen Jahren im Umlauf. Die Version 2003/2005 war sieben Jahre in Betrieb, seit April dieses Jahres ist die aktuellste Version 5 verfügbar. Hermes 5 vereinfacht die bestehende Methode und bezieht moderne Ansätze wie die agile Software-Entwicklung mit ein. Für die neue Version Hermes 5 hat die Zürcher Zühlke Engineering AG eine interaktive Webplattform entwickelt, die nach dem Baukastenprinzip funktioniert: Projektleiter können das Hermes-Modell online individualisieren, indem sie alle Phasen, Module, Aufgaben und Ergebnisse, die für ein Projekt nicht relevant sind, entfernen und neue, eigene Elemente hinzufügen. Anschliessend wird der individuelle Projektstrukturplan inklusive Dokumentation und Dokumentvorlagen automatisch erstellt. Das ISB wiederum kann auf dieser Plattform neue Versionen von Hermes nach dem Prinzip des Single Source Publishing veröffentlichen. Das heisst, aus einem Prozessmodell erstellt die Plattform auf Knopfdruck sowohl den Webauftritt als auch den Inhalt der Buchpublikation. Nächste Seite: Modular aufgebaut
Modular aufgebaut
Die Webplattform ist modular aufgebaut und besteht aus den Bausteinen Web-Publisher, Online Dokumentation, Anwenderlösung und Druckpublikation (siehe Abbildung).
Das ISB verwendet das Open-Source-Werkzeug Eclipse EPF Composer, um den Hermes-Prozess zu modellieren und zu pflegen. Im Modell sind auch die deutschsprachigen Grafiken und Dokumentvorlagen hinterlegt. Ist die Datenpflege für eine neue Version abgeschlossen, wird das Prozessmodell aus dem EPF Composer exportiert und in den Web-Publisher, das Herzstück der Webplattform, importiert. Anschliessend zeigt der Web-Publisher an, welche Texte, Grafiken und Vorlagen übersetzt werden müssen. Ein Übersetzungsdienst exportiert sie, macht die Übersetzung und importiert sie wieder. Sobald eine neue Version in allen geforderten Sprachen vorhanden und geprüft ist, wird sie online publiziert. Dabei erstellt die Webplattform die Prozessdokumentation für die Unterseite «HERMES Verstehen». Gleichzeitig wird eine Anwenderlösung generiert, deren Projektszenarien sich individualisieren lassen. Damit stehen dem Projektleiter Dokumentationen und Vorlagen zur Verfügung, die massgeschneidert auf ein spezifisches Projekt zugeschnitten sind. Individuelle Informationen, wie ein Firmenlogo oder eigene Vorlagen, können einfach hinzugefügt werden. Die Webplattform erlaubt damit nicht nur die Publikation einer neuen Onlineversion von Hermes, sondern bereitet auch die Inhalte von Druckpublikationen auf. Basierend auf dem Prozessmodell werden alle dazu nötigen Inhalte in einer XML-Datei an die Druckerei geliefert. Nächste Seite: Agile Entwicklung
Agile Entwicklung
Mit einem agilen Vorgehen entwickelte Zühlke in enger Zusammenarbeit mit dem ISB eine moderne Open-Source-basierte Java-EE-Cloud-Lösung. Die Webplattform ist seit April 2013 operativ und läuft stabil, die Feedbacks der Anwender sind positiv.
Zusammenarbeit in Gehdistanz
Die geografische Nähe von Kunde und Entwicklungspartner hat den Projektablauf vereinfacht: In wöchentlichen Meetings diskutierten ISB und Zühlke den aktuellen Stand der Software. Die Partner befinden sich in Gehdistanz; anstatt längere Telefonate mit vielen Missverständnissen zu führen, konnten die Verantwortlichen persönlich und anhand von Skizzen auf Flipcharts oder Whiteboards diskutieren. Jede Woche lieferte das Projektteam ein neues Produktinkrement aus. Kunde und Entwickler besprachen die neu implementierten Funktionen und legten die nächsten Schritte gemeinsam fest. Dadurch konnten Missverständnisse früh aus dem Weg geräumt und das Vertrauen des Kunden gestärkt werden – sowohl in den Entwicklungspartner als auch in den Projekterfolg. Nächste Seite: Change Management und Fazit
Pragmatisches Change Management
Das ISB vergab das Projekt in einem Einladungsverfahren zu einem Fixpreis. Dem Change Management kommt deshalb besondere Bedeutung zu: Werden keine Änderungen zugelassen, erhält der Kunde zwar genau, was er bestellt hat – aber unter Umständen nicht, was er tatsächlich braucht. Werden andererseits beliebig viele Änderungswünsche implementiert, sprengt das womöglich das Budget des Entwicklungspartners. Um trotz des Fixpreises qualitativ hochwertige Software zu liefern, die auch sich ändernde Bedürfnisse abdeckt, vereinbarte Zühlke ein einfaches, effizientes Change Management: Noch nicht implementierte Funktionen dürfen durch annähernd gleich aufwendige Änderungen ersetzt werden. Der Kunde kann sich damit ein Budget für späte Änderungen vorhalten, indem er weniger wichtige Funktionen zurückstellt.
Fazit: Gegenseitiges Vertrauen
Geografische Nähe allein ist noch kein hinreichendes Kriterium für den Projekterfolg. Doch das Beispiel der Webplattform für Hermes 5 zeigt, welche Vorteile die Nähe – kombiniert mit agilen Praktiken – haben kann. Denn die Qualität der Entscheidungsfindung und die Kommunikation zwischen Kunde und Entwicklungspartner ist ein Schlüsselfaktor für das Gelingen. Nicht zuletzt schaffen die unkomplizierten, spontanen Treffen ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein und helfen damit, das Projekt termingerecht, im Budget und mit grosser Kundenzufriedenheit zu realisieren. Der direkte Kontakt fördert das gegenseitige Vertrauen – alle Beteiligten ziehen am gleichen Strick.