16.03.2012, 08:00 Uhr

Mehr Grips für Netze der nächsten Generation

Drei IT-Trends machen Firmennetzen derzeit das Leben schwer: Videos, Webapplikationen und private Mobilgeräte, die Mitarbeitende zur Arbeit mitbringen. Um deren Hunger nach immer mehr Bandbreite Herr zu werden, müssen Netzwerke intelligenter werden.
$$
Netzwerke müssen gescheiter werden
Mit dem Smartphone mal eben die Firmenmails abfragen und die neusten Verkaufszahlen mit dem Kollegen besprechen, am besten via Videokonferenz auf dem Tablet? Diese schöne neue mobile Arbeitswelt ist für Geschäftsanwender keine Zukunftsvision, sondern durchaus schon Realität – und drauf und dran, die Firmen-IT bis zur Unkenntlichkeit umzukrempeln. Unternehmensnetzwerke werden sich in den nächsten Monaten und Jahren einem veritablen Datentsunami gegenüber sehen, der nur gemeistert werden kann, wenn die Infrastrukturen ihrerseits intelligenter und effizienter werden. «Nur mehr Bandbreite zur Verfügung stellen, reicht nicht aus», meint etwa Mark Urban, der beim Netzwerkspezialisten Blue Coat für WAN-Optimierungslösungen zuständig ist.

Ein Update zur Unzeit

Als anschauliches Beispiel erwähnt Urban den Trend «Bring Your Own Device» (BYOD), also die Tatsache, dass Angestellte zunehmend ihre privaten Smartphones und Tablet-Computer ins Geschäft mitbringen und mit diesen auch Business-relevante Ressourcen anzapfen. Die Problematik dabei zeigt sich oft erst auf den zweiten Blick: «Es scheint zunächst wenig auszumachen, dass diverse Smartphones übers firmeneigene WLAN ins Netz gehen», meint Urban. «Doch dann veröffentlicht Apple ein Update für das Betriebssystem, und Sie haben als Netzwerkverantwortlicher ein massives Problem», erläutert er. «Plötzlich haben Sie 20 Anwender in einem Büro, deren Geräte unaufgefordert, nur weil sie sich via Wifi mit dem Internet verbunden haben, eine 800 Megabyte grosse Datei herunterladen wollen.» Mit solchen Überraschungen werden Netzwerkverantwortliche in nächster Zeit öfter konfrontiert werden. Umso wichtiger werde es, Netzwerke künftig so zu organisieren, sodass solche Spitzen gar nicht erst entstehen. Urban schlägt beispielsweise ein intelligentes Caching-System vor, das Dateien wie das iOS-Update bei der ersten Anfrage aus dem Internet herunterlädt, dann aber lokal für die nächsten User zur Verfügung stellt. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Video bringt Sorgenfalten

Video bringt Sorgenfalten

Doch BYOD ist nur einer der IT-Trends, die das Firmennetz in nächster Zeit über Gebühr strapazieren und daher ein Netzwerk der nächsten Generation erfordern. Insbesondere Videoanwendungen werden in naher Zukunft zunehmend die Kommunikationsstränge von Unternehmen herausfordern. Dieser Ansicht ist nicht nur Urban, sie entspricht auch der zentralen Aussage des «Cisco Virtual Networking Index Global IP Traffic Forecast», einer Prognose des weltweiten IP-Netzwerkverkehrs, die der Networking-Gigant Cisco seit 2007 durchführt. Nach Aussage des letzten verfügbaren Reports soll sich der Verkehr im Jahr 2014 gegenüber den Erhebungen von 2010 mehr als vervierfachen. Besonderer Anteil an diesem Verkehrsaufkommen, nämlich 57 Prozent, sei auf die Übertragung von Videos zurückzuführen. In Unternehmensnetzen ist dieser Prozentsatz zwar nicht ganz so hoch. Cisco rechnet aber auch hier damit, dass gut ein Drittel des Verkehrs durch die Übertragung von bewegten Bildern verursacht werden wird.
Dass der Netzwerkriese mit dieser Einschätzung recht haben könnte, beweist das Beispiel des weltweiten Kurierdiensts TNT. Wie deren oberster Netzwerkarchitekt, John Riley, erklärt, hat TNT damit begonnen, die vierteljährlichen Finanzpressekonferenzen live im Internet zu übertragen. Zudem stellt TNT weitere Videos zum Unternehmen auf die Website. «Besonders die Live-Übertragungen strapazieren unser Netzwerk über Gebühr», erklärt Riley, was spezielle Techniken wie Komprimierung und Zwischenspeicherung notwendig mache.

Die zunehmende Verbreitung von Videos werde durch den Tablet-Boom noch verstärkt, glaubt und hofft Daniel Weisbeck, Europa-Marketingchef für die Firma Polycom, die Videokonferenzsysteme anbietet. Weisbeck zitiert dazu eine Studie von Apple, wonach 92 Prozent der 500 umsatzstärksten Firmen der Welt (Fortune 500) den Einsatz von Tablet-Computern testen. Der Polycom-Marketingchef folgert daraus, dass die «mobilen» Videos bald auch auf den BYOD-Devices der Arbeitnehmer angekommen sein werden – mit den entsprechenden Konsequenzen für das Firmennetz. Blue Coats WLAN-Experte Mark Urban ist sogar davon überzeugt, dass die Verbreitung von Videoinhalten die Entwicklung der Netzwerktechnik am deutlichsten beeinflussen wird. Lesen die auf der nächsten Seite: Null-Toleranz der Anwender

Null-Toleranz der Anwender

Dabei ist nicht einmal so sehr die Bandbreite das Problem, sondern die hohen Ansprüche der Anwender an die Qualität der bewegten Bilder. «Video ist als Anwendung sehr heikel», meint Daniel Rendell, der beim Dienstleistungsarm von IBM, den Global Technology Services, als Enterprise Services Leader tätig ist. «Wenn etwas schiefgeht, wenn der Film auf YouTube etwa hängen bleibt, sieht man das sofort», führt er aus.
Ein weiterer Trend, der die Firmennetze künftig stark strapazieren wird, sind die Veränderungen im Software-Bereich. So werden laut Mark Urban immer mehr Geschäftsanwendungen durch webbasierte Applikationenen ersetzt oder ergänzt. Die Folge: Private Netze und WAN-Verbindungen auf MPLS-Basis (Multiprotocol Label Switching) nehmen in ihrer Bedeutung eher ab, dynamische Leistungen wie Software as a Service gekoppelt mit Cloud Computing verbreiten sich dagegen immer mehr.
Auch hier gilt, was bereits für Videoanwendungen erwähnt wurde. In den Augen der User müssen sich virtuelle Desktops genauso verhalten wie PC-Desktops. Davon weiss auch Inbar Lasser-Raab, bei Cisco für den Bereich Enterprise Mobility verantwortlich, ein Lied zu singen: «Anwender haben keine Geduld und Null Toleranz – sowohl in Bezug auf virtuelle Desktops als auch auf VoIP-Telefonate und Videoverbindungen.» Das führe zu einem hohen Druck auf die Netzwerk-Provider und -Administratoren, folgert sie. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Noch wenige Gegenmittel

Noch wenige Gegenmittel


Was lässt sich aber auf Netzwerkseite tun, um die Datenflut zu bewältigen und die Ansprüche der User zufriedenzustellen? Laut Michael Ganser, früherer Cisco-Schweiz- und heutiger Zentraleuropa-Chef, hat die einzelne Netzwerkbox ausgedient. Stattdessen rückt die Architektur in den Fokus. «Man muss sich überlegen, wie man den Netzwerkverkehr priorisiert. Und es braucht eine konzeptionelle Vorstellung von Bandbreitenmanagement und Sicherheit», meint er. Daneben müssten klassische WAN-Optimierungstechniken, zum Beispiel ein intelligentes Caching der Daten, Bausteine des Netzwerkaufbaus werden, wie Blue Coats Urban ergänzt. Doch nicht nur das: «Die Applikationen selbst müssen fürs Netzwerk optimiert werden, etwa über effiziente Kompressionsalgorithmen, damit sie weniger Bandbreite beanspruchen.» Als Beispiel erwähnt Polycom-Vertreter Weisbeck das hauseigene Videoprotokoll. Dieses verwende für die Übertragung von HD-Filmen bis zu 50 Prozent weniger Bandbreite.
Letztlich dürfte auch die Netzwerkvirtualisierung dazu beitragen, dass sich die physische Netzwerkkapazität besser ausnutzen lässt. Deshalb sind Techniken wie das Cisco-eigene Easy Virtual Network (EVN) und das quelloffene Openflow, dem sich seit Neustem Konkurrent Hewlett-Packard (HP) verschrieben hat, wichtige Meilensteine auf dem Weg zum Next Generation Network.


Das könnte Sie auch interessieren