Der Hurra-Faktor 10.10.2013, 09:14 Uhr

Gibt es ein Leben ohne CRM?

Ohne ein gutes Customer Relationship Management (CRM) läuft heute nichts mehr. Aber CRM ist viel mehr als Software. So begeistern Sie Kunden, Partner und Mitarbeiter.
Kunden wollen von CRM begeistert werden
Den Schweizern fehlt es an Begeisterungsfähigkeit. Das meinen die Forscher der ZHAW, die sich – wie unter Wissenschaftlern üblich – auf Umfragen, Zahlen und Statistiken stützen. Der besondere emotionale Kick glänze bei den Eidgenossen mehrheitlich durch Abwesenheit, so ihr Verdikt. Nun ist das ja eigentlich noch kein Beinbruch. Man kann auch ohne Begeisterung ein komfortables, sorgenfreies und zufriedenes Leben führen. Den Schweizer Geschäften aber, so merken die Forscher hintersinnig an, tue das gar nicht gut. Denn nur begeisterte Kunden sind auch treue Kunden, die langfristig ihrem Unternehmen die Stange halten. Zufriedenheit allein – also ein tadelloses Produkt, ein freundlicher Service – reicht nicht mehr. Wer «nur zufrieden» sei, der schiele immer schon mit einem Auge auf die Konkurrenz (vgl. «Swiss CRM 2013: Einsatz und Trends in Schweizer Unternehmen»).
«Wer Kunden binden will, muss sie positiv überraschen», betont Sandro Principe, Head of Strategic Marketing & Sales beim Oracle-Vor­zeigekunde Swiss Post Solution AG (SPS), einer hundertprozentigen Tochter der Schweize­rischen Post. In der heutigen schnelllebigen –und das heisst auch wechselfreudigen – Zeit sei es entscheidend, positive Erlebnisse zu schaffen, die den Kunden langfristig im Gedächtnis haften bleiben. Noch einmal die Forscher der ZHAW: Punkto Kundenzufriedenheit schätzen sich Schweizer Unternehmen sehr positiv ein. Die grosse Mehrheit (94,6%) glaubt, dass ihre Kunden mit den Leistungen der eigenen Firma zufrieden sind. Diese schmeichelhafte Selbsteinschätzung decke sich, so die Wissenschaftler, mit zahlreichen Zufriedenheitsanalysen, in denen die Kunden die Leistungen der Anbieter häufig positiv bewerten. In Sachen einzigartige Kundenerlebnisse aber haben viele Schweizer Branchen noch Nachholbedarf, zumal sich der Wettbewerb zunehmend verschärft. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Business Case: Krankenversicherer

Business Case: Krankenversicherer

Wie aber schafft man angenehme Erlebnisse, die als Zins dann Treue und Verbundenheit abwerfen? Lukas Karrer, Partner bei der Schweizer Customer-Experience-Beratung Stimmt AG, nennt drei Krankenversicherer, die zur Elite der Schweizer Versicherungsbranche gehören. Nennen wir sie der Einfachheit halber «Flop», «Hop» und «Top». Alle drei Versicherer möchten frisch gebackenen Eltern zur Geburt ihres Kindes etwas schenken und für den Neukunden «Danke» sagen. Versicherer Flop greift zum Naheliegendsten und schickt ein verpacktes Kinderspielzeug. Auf der uninspiriert in Weiss gehaltenen Schachtel liest man «Made in China» und eine Warnung «not for small children». Nach dem Auspacken strömt ein komischer Gummigeruch aus. Dieses Geschenk wandert sofort in die Abfalltonne und die Eltern denken: Sicher ein Billigprodukt, das mein Kind womöglich noch vergiftet. Versicherer Hop hat schon ein wenig mehr Gehirnschmalz investiert und schickt einen tollen Plüschbär mit Firmenlogo auf dem Kleidchen. Leider durchschauen die Eltern den simplen Trick: Wollen die mein Kind schon als Säugling instrumentalisieren und als Werbeträger missbrauchen? Auch dieses Geschenk fliegt also in den Müll. Krankenversicherer Top, so erzählt Karrer, hat länger nach­gedacht und schenkt ein schickes Badetuch mit eingenähtem Kindernamen, aber ohne Firmenlogo. Der erzielte Effekt: Beide Kinder des Kunden wollen nur noch mit «ihrem» Badetuch abgetrocknet werden und die Eltern werden seit drei Jahren mehrmals wöchentlich daran erinnert, was für eine coole Familienversicherung sie doch haben. Der Kunde evaluiert jede Interaktion und bewertet sie positiv oder negativ», erklärt Karrer. Dinge, die ihm wichtig seien, würden im Langzeitgedächtnis abgelegt und beeinflussten sein zukünftiges Handeln. Schweizer Firmen müssten sich deshalb überlegen, was ihren Zielkunden wichtig sei, und dann dementsprechend handeln. Der Schweizer Versicherer Top gehört dabei zur Avantgarde, denn die Schweizer Finanz- und Versicherungsdienstleister werden, wenn es um die Gestaltung einzigartiger Kundenerlebnisse geht, mit ziemlich schlechten Noten abgestraft (Note: 2,4 auf einer Skala von 1 bis 5 laut Swiss CRM 2013). Gut bis sehr gut aufgestellt präsentieren sich die Schweizer Tourismusbranche (Note: 4,4), Unternehmensdienstleistungen (Note: 3,8) und das Gesundheits- und Sozialwesen (Note: 3,4). Lesen Sie auf der nächsten Seite: Schweizer wollen investieren

Schweizer wollen investieren

Schon diese wenigen Praxisbeispiele machen deutlich: Customer Relationship Management – mit den beiden wesentlichen Komponenten Neukunden gewinnen bzw. binden und Stammkunden halten – ist viel mehr als Software. Aber ohne eine gute vernetzte Software, ohne konsistente, aktuelle und qualitativ hochwertige Kundendaten (Geburtstage, Kinder, Hobbys, Beruf, Interessen etc.) schiessen Marketingkampagnen am Ziel vorbei. Schweizer Firmen wollen deshalb weiter in ihre CRM-Lösungen investieren, mit Fokus auf das operative Kundenbeziehungsmanagement und die strate­gische Planung und Analyse (vgl. «Swiss CRM 2013»). Welchen Lösungsanbietern schenken Schweizer CRM-Kunden dabei ihr Vertrauen? Von den grossen Software-Anbietern bean­sprucht Microsoft mit Dynamics CRM den grössten Marktanteil (17,3%) und konnte seinen Footprint im Vorjahresvergleich sogar noch leicht ausbauen. Dynamics scheint unter einem guten Stern zu stehen. «Ich erwarte für die kommenden Jahre, dass die grossen Anbieter von Standard-Software, insbesondere Microsoft Dynamics CRM, weiter Boden gutmachen werden», schätzt Frank Hannich, Dozent am Ins­titut für Marketing Management der ZHAW School of Management and Law, die zukünftige Marktentwicklung ein. Die Fragmentierung des Markts nehme eher ab, starke Branchenlösungen würden sich jedoch behaupten. SAP, der zweitgrösste Schweizer CRM-Anbieter, musste derweil kräftig Federn lassen und sackte von 15,9 Prozent (2012) auf 10,5 Prozent (2013) ab. Daraufhin von Computerworld angesprochen, vermutet Angelika Scheifele von SAP Schweiz, dass die grosse Masse der SAP-CRM-Kunden ausserhalb der Befragungsbasis liegt. Denn die ZHAW definiere Mittelstand, anders als SAP, als Unternehmen ab 15 Millionen Franken Jahresumsatz. Ausserdem sei mit 279 Teilnehmern die Datenbasis der ZHAW-Studie recht schmal. «Ich finde das Statement der Studie, dass SAP im Vergleich zum Vorjahr rasant an Bedeutung verliere, auf dieser Basis sehr gewagt», rechtfertigt sich Scheifele und fügt hinzu: 5 Prozent Gewinn oder Verlust seien in Relation zur Datenbasis nahezu statistisches Rauschen.

Mega-Trend: Eigenentwicklung

Die CRM-Anbieter Salesforce, Oracle/Siebel und Cobra liegen in der Schweiz mit ihren Markt­anteilen alle unter 5 Prozent. Der grösste Lösungsanbieter punkto CRM in der Schweiz sind jedoch – man staune und reibe sich die Augen – die Kunden selbst. Eigenentwicklungen haben einen «Marktanteil» von 21 Prozent erobert (2012: 13,5 Prozent), was den unangenehmen Schluss nahelegt, dass die grossen Software-Häuser zumindest teilweise am Markt vorbei entwickeln. Kunden finden nicht die Lösungen, die sie benötigen. Clemens Thaler, CEO beim Schweizer CRM-Implementierungs- und Beratungshaus Ambit, relativiert jedoch: «Die CIOs in den Schweizer Firmen wollen sich durch Eigenentwicklungen auch ein Stück weit selbst verewigen.» Viele überzeugen das Top-Management mit dem Argument: Wir sind individuell und brauchen deshalb nicht Software von der Stange, sondern eine individuelle, eigene Lösung. Sie unterschätzen dabei jedoch das mit Eigenentwicklungen verbundene gefährliche Klumpenrisiko. Die gesamte Software hängt an zwei, drei Programmierern. Wenn die den Job quittieren und das Unternehmen verlassen, sind Anpassungs- und Wartungsarbeiten nur noch sehr zeitaufwendig durchführbar. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Hohe Kosten, kein Mehrwert

Hohe Kosten, kein Mehrwert

Schweizer Unternehmen richten ihren Fokus auf die individuellen Kundenbedürfnisse. Die individuelle Betreuung nach Kundenwert steht auf der Prioritätenliste von Vertrieb und Marketing, wie auch bereits im Vorjahr, an oberster Stelle (55,3%). Im Jahresvergleich sehr stark an Bedeutung gewonnen hat ein anderer Trend: mobiles CRM (2012: 33,1%; 2013: 39,6%). Das Analystenhaus Gartner prognos­tiziert, dass die Anzahl der mobilen Apps von gut 200 (2012) auf über 1200 (2014) anwachsen wird. Bei diesem Trend bestehe jedoch die Gefahr, dass – ähnlich wie schon beim CRM vor einigen Jahren – nach dem Hype die Ernüchterung folge, schreiben die ZHAW-Forscher. Es seien bereits einige CRM-Projekte zu beobachten, die nicht den gewünschten Erfolg, aber durchaus substanzielle Kosten verursacht hätten. Ambit-CEO Thaler sieht hier eine diffuse Erwartungshaltung am Werk, die dann den Erfolg unterminiert. Viele Firmen springen auf den Mobility-Hype auf, ohne vorab zu klären, welchen Nutzen sie sich denn von einem mobilisierten CRM versprechen, das heisst, welche Bedürfnisse die drei CRM-Kernbereiche Vertrieb, Marketing und Service denn eigentlich haben. Ausserdem dürfe das On-Premise-CRM nicht einfach aufs Tablet oder Smartphone übertragen werden. Das funktioniere nicht, warnt Thaler entschieden.
ZHAW Institut für Marketing Management führt zurzeit zusammen mit dem Beratungshaus Advanis ein Forschungsprojekt zum Thema mobiles CRM (mCRM) durch und hat die vorläufigen Ergebnisse für Computerworld (im Auszug) zusammengefasst: Die Funktionsvielfalt der Backoffice-Systeme sei für den mobilen Betrieb viel zu hoch. Das klassische On-Premise-CRM habe sich auf Geschäftsprozesse für den Innendienst konzentriert und müsse für mCRM abspecken. Im mobilen Aussendienst laufen aber nicht nur die Business-Prozesse anders ab, auch die Systemprozesse der klassischen Lösung sind für eine externe Anwendung viel zu kompliziert und schwerfällig. Es sei daher nötig, technisch und organisatorisch neue Wege zu beschreiten. Zwar seien klassische CRM-Funktionalitäten wie die Kontakte- und die Leads-Verwaltung bereits erfolgreich mobilisiert. Es werden aber noch nicht alle möglichen Mehrwerte von mCRM tatsächlich ausgeschöpft: etwa Smartlet-Funktionalitäten wie die Barcode-Erkennung mithilfe der integrierten Kamera. Das Marketinginstitut empfiehlt eher die Lösungen kleinerer mCRM-Anbieter. Denn deren Lösungen seien oft flexibler und besser an mobile Endgeräte angepasst als die CRM-Pakete der grossen Hersteller. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Fazit: CRM leben

Fazit: CRM leben

Die Hoffnungen fliegen hoch und noch ist der Hype-Markt der mobilen CRMs sehr in Bewegung. Von entscheidender Bedeutung aber ist, sich ins Gedächtnis zu rufen, dass es nicht nur auf die Technologie allein ankommt. «CRM lebt nur, wenn es gelebt wird», bringt Ambit-CEO Thaler die Sache auf den Punkt. Das gilt zwar im Prinzip für jede Software: Auch in Word schreiben sich die Texte nicht von selbst und PowerPoint-Präsentationen entstehen nicht auf Knopfdruck. Aber für Customer Relationship Management gilt diese Weisheit ganz besonders. Meist sei nicht die Technik das Problem, sondern der Benutzer, sagt Thaler und empfiehlt: Jeder einzelne Anwender müsse einen ganz persönlichen Nutzen daraus ziehen. Schliesslich erfordert die detailgenaue Eingabe und Pflege der Daten einen Mehraufwand, den man erst einmal leisten muss, bevor sich später der Mehrwert einstellt. Ist der persönliche Nutzen nicht erkennbar oder wird er nicht überzeugend kommuniziert, verweigern sich die Leute. Dann entpuppt sich auch die beste CRM-Lösung als glatte Fehlinvestition.


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