09.12.2013, 09:22 Uhr

ERP für die Stahlbranche

Die Pestalozzi + Co AG mit Hauptsitz in Dietikon feiert 2013 ihr 250-jähriges Jubiläum. Um mit der Entwicklung auf dem Markt Schritt halten zu können, hat das Unternehmen in einem mehr­stufigen Prozess seine ERP-Branchen­lösung auf den neusten Stand gebracht.
Die Industriefirma Festalozzi + Co hat ihrERP auf den neusten Stand gebracht - ein Erfahrungsbericht
Der Autor ist CEO der eNVenta ERP Schweiz AG. Wie die Welt vor 250 Jahren aussah, ist für moderne Menschen kaum noch nachvollziehbar. Eisen wurde in den Quellgebieten der Flüsse (z.B. am Gonzen oberhalb Sargans) abgebaut. Stahl, Messing und Blei kaufte man im Ausland ein. Der Transport erfolgte vorwiegend auf den Seen in Frachtschiffen, sogenannten «Ledischiffen», denn Lkw und Eisenbahn gab es noch nicht. Die Kunden beglichen ihre Schulden gegen Ende eines Kalenderjahrs am Zahltisch oder das Geld wurde persönlich, von Ort zu Ort, eingetrieben. Seit damals hat sich bei der Pestalozzi + Co AG einiges geändert: Aus den 3 Büroangestellten und 5 Arbeitern der Anfangsjahre sind 300 Mitarbeitende geworden. Mit ihren vier Geschäfts­bereichen Stahltechnik, Haustechnik, Gebäudehülle (Gabs) und Logistik (Transstahl) macht das Unternehmen heute einen Umsatz von 160 Mil­lionen Franken im Jahr. Die Geschäftsbereiche sind dabei nicht nach Produkten, sondern nach Kundensegmenten ausgerichtet, z.B. Metallbauer, Maschinenbau- und Zulieferbetriebe, Sani­tär- und Heizungsinstallateure, Versorgungsbetriebe, Spengler, Dachdecker und Fassadenbauer. In allen Bereichen werden die Dienstleistungen laufend zielgruppenorientiert ausgebaut.

Die Wahl einer neuen ERP-Lösung

Weil das in die Jahre gekommene ERP-System «Faros» mit den Veränderungen am Markt und den damit verbundenen aktuellen Anforderungen nicht mehr Schritt halten konnte, entschloss sich die Unternehmensleitung Ende 2004, nach einer neuen Business-Software zu suchen, die der Dynamik und Innovationskraft des Unternehmens gewachsen war. Da die Bedürfnisse der unterschiedlich ausgerichteten Betriebe mit einer zentralisierten Informatiklösung auf einer ERP-Plattform vereint werden sollten, gestaltete sich der Evaluationsprozess recht aufwendig. Im ersten Schritt wurde ein grober Anforderungskatalog an 170 Informatikanbieter verschickt. Nach einer ersten Filtrierung bleiben 70 übrig, die man anhand eines Pflichtenhefts um konkrete Offerten bat. Für die anschliessende Grobevaluation holte sich die Pestalozzi AG Unterstützung bei der Unternehmungsberatung BSG aus St. Gallen: 6 Firmen wurden zur nächsten Runde eingeladen. In verschiedenen Workshops, an denen sich auch Benutzervertreter (Key User) aus allen Fachbereichen beteiligten, erhielten die ERP-Anbieter Gelegenheit, ihre Lösungen anhand konkreter Prozesse vorzuführen. Zur letzten Auswahl konnten sich drei Anbieter – SAP/R3, Axapta (Microsoft Dynamics/AX) und SQL-Business (die Vorgängerlösung von eNVenta ERP) – für die «Medaillenränge» qualifizieren. Diese Lösungen waren funktionell ebenbürtig und alle drei Anbieter erhielten die Gelegenheit, sich nochmals in einer anderthalbstündigen Vorstellung zu präsentieren. Der Entscheid fiel schliesslich zugunsten von SQL-Business – schon mit Blick auf die zukünftige Lösung eNVenta ERP – und auf den Implementierungspartner Lobos Informatik AG. Lesen Sie auf der nächsten Seite: das erste ERP-Projekt startet

Das erste ERP-Projekt startet

Im April 2005 wurde zur Einführung der neuen Software das ERP-Projekt «Magellan» gestartet, mit dem ehrgeizigen Ziel, am 1. Januar 2006 produktiv zu gehen. Auf beiden Seiten nahmen Projektteams unter Beteiligung aller Fachspezialisten ihre Arbeit auf. Um sicherzu­gehen, dass auch alle Anforderungen umzusetzen waren, wurde ein zweimonatiges Vorprojekt initiiert: In verschiedenen Workshops wurden unter Einbezug von Key Usern aus allen Abteilungen und Pestalozzi-Gesellschaften die Geschäftsprozesse am System durchgespielt. Da die Geschäftsbereiche Stahltechnik, Haustechnik und Gebäudehülle eigenständig und unabhängig am Markt agieren, waren die Anforderungen an die Umsetzung sehr unterschiedlich, was die Komplexität des Projekts spürbar steigerte. Trotzdem ging das erste ERP-Projekt mit nur einem Monat Verspätung und einer im Rahmen liegenden Kostenüberschreitung von rund 10 Prozent am 1. Februar 2006 in den produktiven Betrieb. Im Frühling 2006 waren dann auch die Teilprojekte abgeschlossen: ein Webshop für die Tochterfirma Gabs und die Integration des Hochregallagers.

Komplexer Crossrade-Prozess

Mit der Entscheidung für SQL-Business war bereits klar, dass die Pestalozzi-Gruppe eines Tages auf die .NET-Technologie umsteigen würde. Nach fünf Jahren entschied sich die Geschäftsleitung, den Technologiewandel zu vollziehen: Das neue Projekt «Polaris» wurde gestartet. Das Crossgrade auf eNVenta ERP gestaltete sich jedoch komplexer als vermutet, obwohl beide Lösungen die gleiche Datenbank verwenden und somit keine Datenmigration notwendig war. Die Gründe für den Aufwand bei der Umstellung lagen vielmehr in der Umsetzung und Neuprogrammierung der zahlreichen firmenspezifischen Erweiterungen, die der IT-Dienstleister Lobos in der ersten ERP-Software programmiert hatte. Im März 2012 ging «Polaris» dann ohne grös­sere Schwierigkeiten an den Produktivstart und läuft seither stabil. 170 Benutzer werden von dem neuen ERP-System auf 12 virtualisierten und physisch getrennten Datenbankservern bedient. Rafael Gomez, Leiter Bereich Infor-matik und Administration bei Pestalozzi, erklärt den Erfolg des Projekts unter anderem mit der Branchenkenntnis der beteiligten Partner: «Die Ausrichtung von Lobos Informatik und eNVenta-Hersteller Nissen & Velten auf die Stahlbranche kam uns zugute», sagt er und fügt mit einem Augenzwinkern an: «Wobei wir natürlich mit unserem Know-how sicher vieles zum Gelingen des Branchenpakets beigetragen haben.» Lesen Sie auf der nächsten Seite: individuelle Erweiterungen

Individuelle Erweiterungen

Trotz des hohen funktionellen Abdeckungsgrads der Standardbranchenlösung ging es nicht ohne Erweiterungen und Anpassungen. So wurde ein Modul speziell für die Verwaltung von Kupfer-Coils erstellt. Dabei werden die mit Chargennummern versehenen, ein Meter breiten und tonnenschweren Kupferrollen für die Weiter­verwendung gespalten und mit ergänzten Chargennummern wieder eingelagert. Die Rück­verfolgbarkeit muss jederzeit gewährleistet sein.
Ebenso nötig war die Integration mit dem Hochregallager, in das Stahlträger in 3500 Kassetten automatisch ein- und ausgelagert werden. Auch eine Schnittstelle zum Dienstleister Bedag Informatik AG wurde erstellt, der die täglich 200 bis 400 Rechnungen aufbereitet und druckt. Die Dokumentenarchivierung erfolgt über EasyEnterprise. Bestellungen, Lieferantenrechnungen sowie Lieferanten- und Kunden­dokumente werden mit einem Barcodesystem den jeweils richtigen Datensätzen im ERP-System zugeordnet. Wichtige Informationen sind somit online und in Sekunden verfügbar. Bestimmte ERP-Benutzer können Formulare auch selbst gestalten, da die Entwicklungs­umgebung Framework Studio, mit der auch die ERP-Software programmiert wurde, das weitverbreitete Werkzeug Business Objects (Crystal Reports) bedient. Im Sommer 2013 kam die Integration einer elektronischen Faxlösung hinzu. Bestellungen und Anfragen, die per Fax eingehen, werden damit automatisch dem Geschäftspartner zugeordnet und – wenn nötig vom Sachbearbeiter mit Notizen versehen – zurückgeschickt. Der ganze Prozess ist dann automatisch im ERP-System archiviert. Pestalozzis IT-Chef Rafael Gomez nennt eben diese Ausbaufähigkeit und Flexibilität als entscheidende Gründe für die Wahl des Systems: «Für ein Unternehmen wie Pestalozzi, das stets in Bewegung ist und im Wettbewerb nur dank Innovation und Pioniergeist bestehen kann, war es wichtig, eine technologisch zukunftsweisende und möglichst flexible ERP-Lösung zu wählen.»
Das Projekt
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Weitere Software: EasyEnterprise (Dokumentenarchivierung), Business Objects (Crystal Reports) zur Formular­gestaltung, Framework Studio (Zusatzentwicklungen)
Firmenspezifische Entwicklungen: Modul für die Verwaltung von Kupfer-Coils, Hochregallagerintegration, Schnittstelle zu Bedag (Rechnungsaufbereitung)
Zeitrahmen: In zwei Stufen: 4/2005 bis 2/2006 («Magellan»), 2/2011 bis 3/2012 («Polaris»)
Implementierungspartner: Lobos Informatik AG


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