03.04.2013, 11:06 Uhr
Wer hat den besten Hypervisor?
Grossanbieter wie VMware, Microsoft, Citrix und Red Hat rüsten sich für die nächste Runde im Virtualisierungsroulette. Microsoft greift VMware an. Auf welche HyperVisor-Technologie sollten Schweizer Firmen setzen?
Schweizer Unternehmen haben ihre Server- und Storage-Infrastrukturen virtualisiert oder sind gerade dabei, das zu tun. Denn zu überzeugend sind die mit Virtualisierungstechnologie verbundenen Vorteile: effizientere, Hardware-übergreifende Nutzung der Ressourcen, schnelle Skalierbarkeit und – damit eng zusammenhängend – reduzierte Kosten. Die erste und zweite Virtualisierungswelle haben Schweizer Firmen weitgehend gemeistert. Die dritte und vierte Welle, sprich die Netzwerkvirtualisierung (Software-definierte Netze) und die Virtualisierung ganzer Rechenzentren (Software-gesteuerte Rechenzentren), stehen aber noch bevor.
Folgerichtig versuchen die grossen Anbieter von Virtualisierungslösungen, ihren technologischen Footprint beim Kunden zu vertiefen und ihre Marktanteile auszubauen – zukünftige Geschäfte fest im Blick. Denn wer bereits punkto Server und Storage bei Kunden Mehrwert generiert und Kosteneinsparungen realisiert hat, der ist sicher auch punkto Netzwerkvirtualisierung und später bei Rechenzentren erste Wahl. Insgesamt fünf Lösungsanbieter machen sich zurzeit Marktanteile streitig: der Marktführer VMware ESXi/vSphere, der Herausforderer Microsoft Hyper-V, der VDI-Spezialist Citrix XenDesktop/XenApp, die Open-Source-Guerilla Red Hat KVM (Kernel-based Virtual Machine) und Oracle VM VirtualBox.
Das bieten die Entwickler
Für Oracle-Chef Larry Ellison ist Virtualisierung eine notwendige Komponente seines Stacks. Oracle bildet von Hardware (Sun), Betriebssystem (Linux/Solaris), Virtualisierung, Datenbank, Middleware bis hin zu Business-Applikationen den gesamten Hardware-Software-Stack sozusagen mit den eigenen Betriebsmitteln ab und ist zurzeit – mit Ausnahme von IBM – auch das einzige Unternehmen, das dazu in der Lage ist, zumindest ohne Partnerschaften eingehen zu müssen. Strategisch sicher ein Riesenvorteil, aber ausserhalb des Oracle-Stacks spielt Ellisons Virtualisierungslösung bislang nur eine kleine Rolle.
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Citrix XenServer – neben XenClient die zweite Komponente des XenDesktop-Pakets – wäre technologisch sicher in der Lage, komplexe Infrastruktur-landschaften zu virtualisieren. Wenn Citrix eine Schippe nachlegen würde. In der Praxis kommt der XenServer bei Desktop-Virtualisierungen (VDI) zusammen mit dem XenClient zum Einsatz. Citrix scheint auch keine weitergehenden Ambitionen zu hegen. Der VDI-Champion konzentriert sich auf die sogenannte End-User-Cloud, also auf den Anwender. Ende Februar sagte Citrix-Chef Mark Templeton im Interview mit unserer US-Schwesterzeitschrift Network World, VMware sei darauf fokussiert, einen Stack für das Betriebssystem des Rechenzentrums aufzubauen, während Citrix eine End-to-End-Lösung für den Anwender anstrebe. «Unsere Aufgabe besteht darin, die Kooperation zwischen den Mitarbeitern an einem oder mehreren Standorten sicherzustellen», ergänzte Templeton. Das hört sich nicht danach an, als ob Citrix punkto Server- und Storage-Virtualisierung noch Grosses im Sinn hätte.
Red Hat dagegen sieht für seinen Open-Source-HyperVisor KVM grosses Marktpotenzial. Red Hat Enterprise Linux (RHEL) sei besonders auf den Business-Servern – also im Backend der Unternehmen – stark verbreitet, und diese Infrastrukturen seien erst zu einem geringen Prozentsatz virtualisiert, betonte Red Hat gegenüber Computerworld. Dieses Marktpotenzial will der Anbieter in Zukunft für sich nutzen. Technologisch hat Red Hat nachgerüstet und sieht sich mit seiner Enterprise Virtualization 3.1 mindestens auf Augenhöhe mit grossen Anbietern wie VMware und Microsoft, wenn nicht sogar überlegen.
Legt man jedoch aktuelle Marktanteile als Erfolgsmassstab zugrunde, dann spielen sich zurzeit erbitterte Stellungskriege zwischen dem Marktführer VMware und dem Herausforderer Microsoft ab. Zwar kann man sicher noch nicht von einem Kopf-an-Kopf-Rennen sprechen, aber Microsoft holt auf. Hyper-V hielt im ersten Quartal 2011 weltweit einen Marktanteil von 22,5 Prozent. Bis zum ersten Quartal 2012 konnte Microsoft sein Stück am Virtualisierungskuchen auf 26,5 Prozent steigern. Über den gleichen Zeitraum, also von 2011 bis 2012, ging der Marktanteil von VMwares Servervirtualisierungs-Software von 53,6 auf 52,4 Prozent zurück. «Wir waren etwas spät dran, aber jetzt gewinnen wir kontinuierlich gegen VMware», kommentiert Microsoft-COO Kevin Turner die Marktentwicklung der letzten zwei, drei Jahre.
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Die neue Version 3.0 von Hyper-V auf Windows Server 2012 wird die Aufholjagd noch mit zusätzlichem Schub versorgen. Mit seinem aktuellen Release hat Microsoft die bislang sehr knapp gesetzten Limiten für virtuelle Maschinen (VMs), CPUs und Hosts deutlich nach oben angehoben und ist teilweise an VMware vorbeigezogen. Hyper-V 3.0/Windows Server 2012 unterstützt – wie das aktuelle VMware vSphere 5.1 – bis zu 1 TB vRAM und bis zu 64 vCPUs pro VM. Microsoft kann aber 64 Hosts zu einem Cluster verbinden, VMware nur 32. Cluster vereinfachen und beschleunigen zum Beispiel das Load-Balancing punkto Computing/Storage und die Live-Migration virtueller Maschinen. Das aktuelle Hyper-V kommt Microsoft gerade recht. «Der grosse Microsoft-Produkt-Launch im Jahr 2012 zwingt Kunden zur Migration, und diese Migrationswelle wird Redmond nutzen, um sein Hyper-V stärker voranzutreiben», sagte Toni Bernal, Chef von Citrix Schweiz, zu Computerworld.
Das ergibt Sinn. Aber mal ehrlich: Wer braucht schon Monster-VMs mit 2 TB Arbeitsspeicher und 160 vCPUs oder Riesencluster mit 200 Hosts? Eine Stimme abseits des Stellungskriegs zwischen VMware und Microsoft bringt ein wenig Klarheit. Hewlett-Packard stellte im Februar eine virtualisierte Appliance für SAPs In-Memory-Datenbank Hana vor (auf ProLiant-Servern). HP empfiehlt als typische, vollkommen ausreichende vRAM-Bestückung für eine virtuelle Maschine 128 GB. Die HP Hana ist allerdings nicht für den produktiven Einsatz, sondern in erster Linie für Test- und Entwicklungszwecke gedacht, wie der Konzern betont.Höchstlimiten sind also längst nicht alles. Jenseits der blanken Fakten- und Zahlenhuberei spricht ein weiteres wichtiges Kriterium zurzeit noch eindeutig für VMware/vSphere: die Anzahl der unterstützten, also virtualisierbaren Gastbetriebssysteme, darunter Windows, fast alle Linux-Distributionen, FreeBSD, Mac OS, OS/2 und Solaris (Oracle). Auf Microsofts Konto dagegen stehen bislang nur Windows, Red-Hat- und SuSE-Linux. Und dem jahrzehntelangen Windows-Monopolisten nimmt man es eigentlich nicht wirklich ab, dass er sich für Linux so richtig ins Zeug legt. Mit Hyper-V kann man also erstklassig Windows virtualisieren, mit vSphere aber auch.
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Die Top-Prioritäten beim Kunden
Was haben Unternehmen, neben den anfangs genannten Business-Benefits, unter technologischen Gesichtspunkten auf ihrer Wunschliste, um ihre Virtualisierungslösung(en) möglichst effizient und skalierbar betreiben zu können? Was müssen also Hersteller bieten, um beim Kunden zu punkten? Fünf Kriterien stehen dabei ganz oben auf der Agenda:
Live-Migration virtueller Maschinen: VMs im laufenden Betrieb von einem Server auf einen anderen, weniger stark ausgelasteten Server verschieben können.
Live-Migration Storage: Dateien virtueller Maschinen von einem Storageserver auf einen anderen verschieben, ohne die VM herunterzufahren.
Distributed Resource Scheduling (DRS): Automatisches Load-Balancing zwischen den Hosts bei drohender Überlast in Sachen Arbeitsspeicher (RAM) und CPU.
High Availability (HA): Bei Host-Ausfall automatischer Neustart der ausgefallenen VMs auf den verbliebenen Hosts.
Fault Tolerance (FT): Die Fähigkeit, aus Gründen der Ausfallsicherheit VMs spiegeln zu können.
Problem: heterogene Infrastruktur
Eine homogene Virtualisierungsinfrastruktur – wie VMware, Microsoft oder Red Hat – erfüllt diese Wünsche punkto Sicherheit und Fail-over in der Regel ohne Schwierigkeiten. Das Problem ist nur: Die Infrastrukturen der meisten Unternehmen sind im echten Leben nicht homogen, sondern heterogen.
Am flexibelsten und offensten für die Lösungen von Fremdanbietern ist der Desktop-Champion Citrix. Sein XenDesktop 5 unterstützt nicht nur den hauseigenen XenServer, sondern auch Microsoft Hyper-V R2 und VMware vSphere/ESX (ab Version 3.5). Andere Anbieter unternehmen erste, kleine Schritte Richtung Öffnung – aus verständlichen Gründen, will man doch die Kunden nicht mit dem Zaunpfahl in die Hände der Konkurrenz treiben.
Wer sich die Managementkonsolen der grossen Hersteller, also Microsoft System Center Virtual Machine Manager (SCVMM) und Vmwares vCenter, genauer anschaut, stellt fest: Die Verwaltung und Ressourcenteilung auch heterogen virtualisierter Infrastrukturen ist schon machbar. So lassen sich sowohl mit dem SCVMM als auch mit vCenter Hyper-V und vSphere im Mischbetrieb verwalten. Weiter geht die Offenheit aber in der Regel nicht, oder sie unterliegt zumindest sehr strengen technologischen Auflagen. So sagte Wolfram Weber, Lead Solution Architect bei VMware, klar und deutlich gegenüber Computerworld, es sei nicht möglich, eine Hyper-V-Maschine zu nehmen und auf vSphere zu schieben. Weber sieht darin kein grosses Manko, denn in seinen Augen geht es in modernen virtualisierten Infrastrukturen eher darum, Geschäftsprozesse zu orchestrieren und etwa den Lebenszyklus von Business-Applikationen zu managen. Und das geht alles bereits mit Lösungen von VMware, möchte man ergänzen.
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VSA-STorage: Wollen Sie das wirklich?
Aber auch in einer homogenen IT-Landschaft funktioniert nicht alles so reibungslos, wie es die Werbebroschüren der Hersteller versprechen.
Technologieberater und Buchautor Ralph Göpel hat eine mit vSphere 5 neu eingeführte Storage Appliance (kurz VSA) genauer untersucht. Die VSA ist eine vorkonfigurierte virtuelle Maschine, die es gestattet, die lokalen Festplatten der beteiligten ESXi-Server gemeinsam zu nutzen und Speicherbereiche zu replizieren, also auf mehreren Hosts parallel abzuspeichern (siehe «High Availability» weiter oben). Fällt ein Server aus, gehen keine Daten verloren.
Die technischen Voraussetzungen für den Aufbau eines sogenannten VSA-Storages sind jedoch umfangreich: Die vCenter Server Appliance unterstützt diese Funktion nicht. Der sogenannte VSA-Speichermanager benötigt mindestens 75 Prozent der lokalen Festkapazität des Hosts, da lokal ein RAID-10-Festplattenverbund eingerichtet und davon die Hälfte auf einem anderen Host gespiegelt werden muss. Die kleinste Festplatte im Verbund bestimmt die Grösse des Volumens. Es dürfen keine manuell erstellten vSwitches vorhanden sein. Unterstützt werden nur Festplatten ab 7500 Umdrehungen/Minute, also SAS2 oder SATA, mit maximal 2 TB Platz, aber kein Mischbetrieb aus SAS- und SATA-Platten. Man benötigt vier freie 1-Gbit-Netzwerkanschlüsse und 9 bis 14 freie IP-Adressen im Subnetz. Das ist nur ein kleiner Auszug. Göpel merkt süffisant an: «Lesen Sie sich die Auflagen genau durch und überlegen Sie dann, ob Sie das noch wollen».
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Rettungsanker Meta-Hypervisor
Der Weg Richtung Management homogener und heterogener virtualisierter Infrastrukturen ist dunkel, hart und steinig. Aber es gibt auch Licht: Eine Rettungsleine wirft die kalifornische Software-Schmiede Hotlink (www.hotlink.com) in die Stuben verzweifelter Systemadministratoren. Hotlink offeriert eine Art Meta-Hypervisor, genannt SuperVisor, der sich als Plug-In in VMwares vCenter einklinkt. Hotlink favorisiert also den Marktführer. Das derart aufgerüstete vCenter soll dann als sogenanntes «single pane of glass» für Multi-HyperVisor-Operationen wie Cloning, Snapshots, Templates, Live-Migrationen und automatisches Workloadmanage-ment fungieren. Der aktuelle SuperVisor 1.5 unterstützt «volle HyperVisor-Funktionalität» für Microsoft Hyper-V, Citrix XenServer, Red Hat Enterprise Linux (KVM), Amazon EC», CloudStack und natürlich VMware (vgl. Hotlink Whitepaper, Evaluation of Multi-Hypervisor Management with Hotlink SuperVisor). Die Lösung ist mit Startpreisen ab 25000 US-Dollar allerdings auch nicht gerade preisgünstig.
Multi-Hypervisor-Management scheint eine Marktlücke zu sein. Das israelisch-kalifornische Software-Start-up Ravello Systems hat zum Beispiel einen Über-Hypervisor für Cloud-Applikationen entwickelt. Damit lassen sich, so schreibt das Unternehmen, virtuelle Maschinen, die von VMware vSphere und Red Hat KVM stammen, so kapseln, dass sie dann in Cloud-Umgebungen etwa von Amazon AWS/EC2, Rackspace oder in der HP-Cloud laufen. Ravellos Applikations-Hypervisor steckt noch in der Beta-Phase (www.ravellosystems.com). Zu Pilotkunden und zum Preismodell will man sich zurzeit noch nicht äussern.