20.03.2013, 10:00 Uhr

Wie Ausschreibungs-Desaster verhindert werden

Das Desaster um das Bundesprojekt Insieme und der damit verbundende Ausschreibungsskandal Mitte letzten Jahres ist noch in guter Erinnerung. Hat die Branche daraus gelernt – und wenn ja, was?
Was wurde aus dem Ausschreibungsdebakel rund ums IT-Projekt «Insieme» gelernt?
Der Autor ist CEO bei der PCS GmbH, einem Anbieter von unabhängigen Prozess-Implementierungs-Services.
Max Frisch sagte einmal: «Eine Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.» Nach dem Debakel um das Bundesprojekt Insieme – auch als Katastrophe im Bereich öffentlicher Beschaffungen bezeichnet – hätte man denken können, dass Beschaffungsstellen wie auch deren Berater produktiv an praktikablen Lösungen arbeiten. Doch rückblickend auf die zweite Jahreshälfte 2012 drängen sich erhebliche Zweifel und viele Fragen auf: Warum hat sich die grosse Aufregung um die Thematik öffentliche Ausschreibungen und das Beschaffungswesen so schnell wieder gelegt? Oder wird einfach nervös geschwiegen und abgewartet? Gibt es wirkliche Bemühungen zu Verbesserungen? Wie haben die Beschaffungsstellen und Berater in diesem Umfeld reagiert, wird da etwas vorbereitet, das wirklich hilft? Und welche Möglichkeiten gibt es überhaupt?

Die (gefühlten) Schwierigkeiten

Es gibt viele Gründe, warum Beschaffungsstellen des öffentlichen Bereichs Kopfschmerzen bekommen, wenn sie nur schon die Worte «Ausschreibung», «WTO» oder «Submission» hören. Im Wesentlichen hört man immer wieder folgende Klagen:
  • «Wenn ich ausschreiben muss, bekomme ich womöglich nicht den Partner oder Lösungs­ansatz, den ich bereits intern evaluiert und für gut befunden habe.»
  • «Ausschreibungen erfordern grosse interne Aufwände, meist auch externe Unterstützung und damit zusätzliche externe Kosten.»
  • «Es besteht immer das Risiko, durch eine falsche Formulierung, einen minimalen Ver­fahrensfehler oder generell durch das Einspruchsrecht seitens möglicher Anbieter mit juristischen Problemen oder zumindest Diskussionen konfrontiert zu werden – im schlimmsten Fall mit erheblichen Verzögerungen.»
  • «Ich kann mir nicht sicher sein, dass Ausschreibungen in allen Teilbereichen meiner Organisation ordentlich durchgeführt werden, insbesondere, da in den Fachabteilungen das Wissen dazu fehlt.»
  • «Es ist für mich schwer, Anbieter mit Dumpingpreisen, bei denen eine schlechtere Qualität voraussehbar ist, auszuschliessen. Je höher der Preis gewichtet wird, desto grösser das Risiko, einen Partner wählen zu müssen, dessen Qualität fraglich ist.»
  • «Ich weiss im Kontext eines übergeordneten Optimierungs- und Standardisierungsprogramms ziemlich genau, was ich möchte. Durch die Ausschreibung in einem Einzelbereich, und mit der Wahl einer nur dafür passenden Lösung, können diese Pläne zunichte gemacht werden.»
In einem Satz zusammengefasst befürchten Verantwortliche für die Beschaffung, dass sie durch den in einer öffentlichen Ausschreibung gesetzten Rahmen ihre eigenen Zeit- und Qualitätsziele sowie den gewünschten Anbieter nicht erreichen können und dazu noch erheb­liche zeitliche sowie finanzielle Aufwände stemmen müssen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Abwehrreaktionen

Abwehrreaktionen

Wie haben nun die Beschaffungsstellen rea­giert? Und wie die Berater, die sich im Bereich Beschaffung und Ausschreibung andienen? In vielen und intensiven Gesprächen entsteht momentan der Eindruck, dass sich die Auf­regung ganz und gar nicht gelegt hat, sondern in Nervosität umgeschlagen ist. Dies kommt externen Beratern zugute, die mehr Aufträge zur Unterstützung, Begleitung oder kompletten Durchführung von Ausschreibungen verzeichnen. Nur, was ändert sich dadurch? Kurzfristig steigen die externen Kosten für Ausschreibungen. Diese werden derzeit in Kauf genommen, um sich sicher(er) sein zu können, dass alles richtig abläuft. Kein Verantwortlicher für Beschaffungen möchte sich selbst oder seinen Arbeitgeber als weiteres schlechtes Beispiel bei öffentlichen Beschaffungen in den Nachrichten wiederfinden. Berater wollen diesen Status quo logischerweise gerne beibehalten – nur schon die Erwähnung von Insieme öffnet zurzeit Türen und Beratungsmandate im Beschaffungsumfeld. Geholfen wird also, doch der Preis dafür ist hoch. Auch fehlen neue Ideen, wie Beschaffungsstellen sich für die Zukunft rüsten können, ein Modell, das sie weniger von externer Beratung abhängig macht. Denn auf Dauer wird der klassische Ansatz, bei dem Wissen und zusätzliche Arbeitskraft durch Berater gestellt werden, zu teuer. Auch wenn dadurch nach und nach immer mehr Wissen innerhalb einer Organisation aufgebaut werden kann, lassen sich die grundsätzlichen Probleme dadurch nicht beseitigen.

Neuer Lösungsansatz

Ein neuer Lösungsansatz, um schnelle Verbesserungen umsetzen zu können und den Verantwortlichen die Unsicherheit zu nehmen, sind dynamische Workflows im Ausschreibungsprozess. An sich ist die Durchführung einer Ausschreibung, auch nach WTO, keine grössere Herausforderung als andere Prozesse. Es muss lediglich die grundsätzliche Vorgehensweise an die individuellen Bedürfnisse einer Institution (Genehmigungsprozeduren, Vorlage von Anträgen etc.) angepasst werden. Die grundsätz­lichen Ziele dabei sind:
  1. Wiederholbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Beschaffungsprozesse, auch über mehrere Entitäten oder Fachabteilungen hinweg
  2. Flexibilisierung der komplexen, vorgegebenen und starren WTO-Prozesse
  3. Risikominimierung bei öffentlichen Ausschreibungen
Um diese Ziele zu erreichen, bietet sich der Einsatz von Checklisten an, die den Verantwortlichen für Beschaffungen sowie die jeweils involvierten Fachabteilungen zur richtigen Zeit elektronisch (via Workflow-Steuerung) die notwendige Dokumentation, Arbeits­hilfen oder Beispiele zur Verfügung stellen. So kann ein Beschaffungsprozess nicht nur wieder­holbar und nachvollziehbar, sondern auch für alle Beteiligten in der Komplexität reduziert werden. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Workflow mit Checklisten

Workflow mit Checklisten

Welche Möglichkeiten und Funktionen muss ein solches Checklisten-basiertes Tool bieten können? Hier einige Punkte, die zum Nachdenken anregen sollen:
  • Sehr hohe individuelle Flexibilität bei gleichzeitiger Sicherstellung eines grundlegenden Ablaufs
  • Definitionsmöglichkeit für die verschiedenen Verfahren (freihändig, öffentlich, WTO)
  • Einbezug von Fachabteilungen zur richtigen Zeit für die richtigen Aufgaben
  • Möglichkeit, externe Berater bei inhaltlichen Fragen beizuziehen
  • Nachvollziehbarkeit und Dokumentation aller durchlaufenen Prozessschritte
  • Integriertes Dokumentenmanagement, um bestehende oder geänderte Vorlagen verwalten und zur Verfügung zu stellen sowie, um Arbeitsergebnisse im Prozess zentral weitergeben und speichern zu können
  • Geringer oder gar kein Einbezug der IT bei Änderungswünschen an Prozessen oder Vorlagen
Wird dieser Ansatz konsequent verfolgt, dann kann die bestehende Krise produktiv zur Verbesserung der Situation genutzt werden. Wer also mit der derzeitigen Situation unzufrieden ist, sollte sich über die genannten Anregungen Gedanken machen, denn Fortschritt entsteht durch Unzufriedenheit – Zufriedene wünschen keine Veränderung.


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