Fehlerkultur in Unternehmen
18.07.2018, 14:27 Uhr
Warum Scheitern zum Wettbewerbsvorteil wird
Unternehmen der digitalen Wirtschaft müssen den richtigen Umgang mit Fehlern lernen. Sanktionen sind meist eher kontraproduktiv. Mitarbeiter müssen offen mit Problemen umgehen können.
Der Arzt Alexander Fleming schlampte, als er noch schnell vor seinem Urlaub ein paar Bakterienkulturen ansetzte. Bei seiner Rückkehr waren die Petrischalen verschimmelt. Die Chemiker Charles Nelson Goodyear und Christian Friedrich Schönbein waren dagegen eher schusselig. Der eine schüttete aus Versehen eine Mischung aus Kautschuk und Schwefel auf eine heisse Herdplatte, der andere wischte die Schweinerei, die er mit Schwefel- und Salpetersäure angerichtet hatte, mit einem Baumwolllappen auf. Als er ihn zum Trocknen an den Ofen hängte, ging das gute Stück in Flammen auf.
Alle drei Fehler blieben nicht ohne Folgen für die Menschheit: Fleming hatte mit seiner Schlamperei das Antibiotikum Penicillin entdeckt, Goodyear die Vulkanisation – Voraussetzung für stabile Gummireifen – und Schönbein den Stoff Zellulosenitrat, auch als «Schiessbaumwolle» bekannt, aus dem später das Zelluloid für Filme entwickelt wurde.
Sinnvolle Fehleraversion
Die meisten Fehler führen jedoch nicht zu bahnbrechenden Entdeckungen und Erfindungen, sondern zu jeder Menge Ärger. Sie sind im besten Fall peinlich, im schlimmsten kosten sie die Karriere, viel Geld oder sogar Menschenleben. So führten Planungsfehler bei der Entrauchungsanlage auf der Flughafen-Dauerbaustelle BER zu einem geschätzten Schaden von über 300 Millionen Euro, bei der Kollision zweier Flugzeuge bei Überlingen im Jahr 2002, einem der schwersten Flugunglücke in Deutschland, starben 71 Menschen. Neben technischen Problemen waren es vor allem Fehler des Lotsen und der Piloten, die zum Zusammenstoss der beiden Maschinen führten.
Angesichts der oft gravierenden Folgen ist es verständlich, dass Menschen und Unternehmen Fehler so weit wie möglich zu vermeiden suchen. Diese Fehleraversion ist in den vergangenen Jahren jedoch in die Kritik geraten. Experten verlangen von Unternehmen, eine «Fehlerkultur» zu entwickeln und konstruktiv mit Missgeschicken und Pannen umzugehen. Nur so seien die Herausforderungen der digitalen Transformation zu bewältigen. Fehleraversion pauschal als rückschrittlich zu kritisieren, hält Winfried Berner, Gründer und Inhaber der Unternehmensberatung «Die Umsetzungsberatung» dagegen für wenig sinnvoll: «Natürlich sind Fehler unerwünscht, sie führen zu Qualitätsproblemen oder Folgeschäden und müssen so weit wie möglich minimiert werden», sagt der Unternehmensberater, «ich würde sehr ungern in ein Krankenhaus gehen oder in ein Flugzeug steigen, dessen Betreiber keine hohe Fehleraversion aufweist.»
Susanne Thielecke, Inhaberin der Beratung LaRenzow Personal, sieht dies ähnlich: «Es gibt in jedem Unternehmen Bereiche, in denen Fehler soweit es irgend geht zu vermeiden sind.» Ohnehin hält sie die Forderung nach einer «Fehlerkultur» für Unsinn: «Es gibt kein Unternehmen ohne Fehlerkultur. Die Frage ist, ob diese gut oder schlecht für den Geschäftserfolg ist.» Eine schlechte Fehlerkultur kann nicht nur Innovationen verhindern, sie kann auch ausgesprochen teuer werden. Nach der «Zehnerregel der Fehlerkosten» erhöhen sich die Kosten eines nicht erkannten Fehlers in jeder Wertschöpfungsstufe um den Faktor Zehn. Wenn Mitarbeiter also aus Angst vor Gesichtsverlust, Strafen oder einem Karriereknick kleine Fehler am Anfang der Wertschöpfungskette verschweigen, kommt dies das Unternehmen am Ende teuer zu stehen.