Software als Exportschlager der Schweiz 09.03.2015, 15:11 Uhr

Problemfelder und Erfolgsbeispiele

Ein gesättigter Binnenmarkt und ein starker Franken, der den Export erschwert – der Schweizer Software-Industrie scheinen gerade die Absatzmärkte abhanden zu kommen. Wie gravierend sind die Probleme wirklich, und wie löst man sie? Wir haben uns umgehört.
Software als Exportschlager der Schweiz – die Rahmenbedingungen dafür waren auch schon besser. «Die Schweizer Software-Hersteller sind im Export ihrer Produkte und Dienstleistungen mit sehr ähnlichen Herausforderungen konfrontiert wie andere Wirtschaftssektoren», sagt Mark Schulz, Director Risk, Claims & Collections, bei Euler Hermes Switzerland. Die Konsumentenstimmung und die Investitionsbereitschaft von Unternehmen sind massgebende Umsatztreiber im Export­geschäft. So sah Euler Hermes bereits im Dezember 2014 für 2015 eine durchzogene Lage in den Hauptexportmärkten. In grossen Wirtschaftsräumen wie Deutschland und Frankreich sind die Wachstumsprognosen pessimistischer geworden, und auch grosse Schwellenländer wie Brasilien sind mit stark gedämpften Konjunkturerwartungen konfrontiert. «Auf der Risikoseite ist vor allem die weiterhin hohe Zahl an Unternehmenskonkursen bemerkenswert», sagt Schulz gegenüber Computerworld. Das Niveau der Konkurse liege in vielen europäischen Ländern noch immer über dem von 2008. Zudem rechnet Euler Hermes für grosse Märkte wie Deutschland oder China wieder mit mehr Konkursen, sodass die Risiken für die Schweizer Software-Exporteure 2015 zunehmen werden.

Folgen des SNB-Entscheids

Erschwerend kam im Januar der Entscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB) dazu, den Euro-Mindestkurs aufzuheben. Euler Hermes hat daraufhin seine Schweizer BIP-Wachstums­prognose für 2015 auf +1 Prozent angepasst (vorher +2 Prozent). Die realen Exporte werden voraussichtlich um 0,1 Prozent sinken (vor dem Geldpolitikwechsel der SNB auf +4 Prozent prog­nostiziert), während die Importe, die stark von den Exporten abhängen, neu auf ins­gesamt +0,7 Prozent erwartet werden (vorher +4 Prozent). Als Konsequenz des SNB-Entscheids haben grosse Hersteller wie Microsoft bereits die Preise für Endkunden gesenkt. Aber auch den Lizenzkosten für Software wird es früher oder später an den Kragen gehen. Schweizer Software-Entwickler haben nun auf einen Schlag höhere Kosten. Die Folgen der Aufhebung sind nach Einschätzung von Jean-Marc Hensch vom IT-Verband Swico «ernsthaft bis massiv» und könnten tiefgreifende Massnahmen erfordern, sofern die heutigen Kurse anhalten.

Viele sind gut positioniert

Allerdings setzen hiesige Entwicklerfirmen für die Programmierung schon länger auf Near- und Offshoring – teilweise auch im Euro-Raum. Diese Tatsache könnte die negativen Effekte des SNB-Entscheids zumindest dämpfen. Und: Die Schweizer Exportindustrie ist im globalen Markt so gut positioniert, dass sich die nega­tiven Effekte des starken Frankens zumindest teilweise auffangen lassen und noch schmerzhaftere Einbussen im internationalen Geschäft vermieden werden können, schreibt Roland Meier, Content Manager beim Export-, Import- und Investmentexperten Switzerland Global Enterprise (S-GE), in einer Stellungnahme. Vor allem dank der hohen Innovationskraft der Schweizer Exporteure und dem damit ein­hergehenden Qualitätsvorsprung: «Mittlerweile weisen gemäss Credit Suisse über 60 Prozent der Schweizer Exportprodukte klare qualitative Vorteile gegenüber den ausländischen Kon­kurrenzprodukten aus», so Meier. Zudem sei zu erwarten, dass das Wirtschaftswachstum in den USA, in Grossbritannien und in zahlreichen asiatischen Ländern für eine erhöhte Nachfrage nach Schweizer Exportprodukten sorgen werde, ist Meier sicher. Und nicht zuletzt dürfte auch der Aufwärtstrend des US-Dollars die Auswirkungen des starken Frankens für die Schweizer Exportwirtschaft etwas abfedern.

Entscheid war absehbar

«Die Rahmenbedingungen sind nicht einfacher geworden», sagt auch Sandra Tobler, Verantwortliche für das Thema ICT bei Switzerland Global Enterprise. «Das Thema beschäftigt die Firmen derzeit sehr.» Da ein derartiger Entscheid absehbar war, hätten aber viele Unternehmen bereits im Vorfeld Massnahmen ergriffen, indem sie beispielsweise interne Strukturen gestrafft haben. «Auch Near- und Offshoring wird in der Branche derzeit diskutiert», so die Beraterin. Zwar sei der Druck eindeutig ge­stiegen. Doch einem Unternehmer, der in der Schweiz so mutig sei, aus einem gut bezahlten und abgesicherten Umfeld auszusteigen, um eine Software-Fima zu gründen, dem traue sie auch den nötigen Erfindergeist und die Krea­tivität zu, um mit dem zusätzlichen Druck umzugehen. Einige Software-Firmen könnten zudem Währungsschwankungen auch direkt weitergeben, wenn sie keine physischen Güter importieren. So zum Beispiel die Firma Nezasa, die eine Onlinealternative für klassische Reisebüros bietet. Solche Firmen sind jedoch gegenüber internationalen Anbietern wiederum durch die hohen Personalkosten benachteiligt. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Auch im Inland gefragt

Auch im Inland gefragt

«Was den Markt betrifft, so hängt es sehr davon ab, in welchem Bereich man tätig ist», präzisiert Tobler. «Der Binnenmarkt ist in vielen Bereichen für Schweizer Software-Anbieter gross genug. Im Vergleich zu anderen Märkten wird noch in Software investiert, zum Beispiel in der Industrie oder im Finanz- und Versicherungsumfeld.» Zwar scheine der Schweizer IT-Markt für bestimmte Software-Produkte in der Tat gesättigt zu sein, lässt uns Hansjörg Süess, Geschäftsführer von Adesso Schweiz, wissen. Auf innovative und qualitativ hochwertige IT-Dienstleistungen treffe das seiner Meinung nach allerdings nicht zu. Themen wie Big Data, Business Intelligence, IT-Compliance oder CRM würden ein starkes Fundament für weiteres Wachstum bilden. «Vor allem Festpreisprojekte, aber auch andere Formen der Zusammenarbeit, bei denen der IT-Dienstleister mehr Verantwortung übernimmt, werden im Moment verstärkt nachgefragt», erklärt Süess. Dabei falle auf, dass die Fachabteilungen der Unternehmen immer mehr Einfluss bei der Generierung neuer Projekte gewinnen. Dienstleister wie Adesso, die über genügend Business-Analysten und Requirements En­gineers verfügen, können sich in der Schweiz über einen wachsenden IT-Markt freuen: «Auch wenn die gegenwärtigen Währungsturbulenzen für eine Verlagerung ins Ausland zu sprechen scheinen – gute Arbeit wird auch weiterhin im Inland nachgefragt.»

Aufbau eines Exportgeschäfts

«Unternehmen sind gut beraten, diversifizierte Märkte aufzubauen. Es ist kostenintensiv und zeitaufwendig, ein Auslandsgeschäft aufzubauen. Das tut man am besten, wenn es einem gut geht», empfiehlt Tobler von S-GE. Viele Software-Firmen sind auch schon im Ausland aktiv. «Es funktioniert da, wo Hightech goutiert wird», ergänzt Christian Walter, Managing Partner der Interessenvereinigung «Swiss Made Software», die auch das gleichnamige Label vergibt. «Mit Commodities musst du keinen Export machen.» Ein Beispiel für einen letztlich erfolgreichen Gang ins Ausland, der durchaus auch seine Tücken und Anfangsschwierigkeiten hatte, ist Vertec. Schon vor rund sechs Jahren hatte sich der Zürcher ERP-Spezialist dazu entschlossen, den deutschen und österreichischen Markt zu beackern. Aus Zürich heraus wurde anfangs der deutsche Markt einfach integriert, in der Hoffnung, über ERP-Partner in den Markt zu gelangen, was misslang, wie Geschäftsführer Claudio Pietra gegenüber Computerworld erzählt. Die schliesslich neu gewonnenen Kunden wurden von der Schweiz aus abgewickelt, selbstredend mit Euro-Preisliste und auch mit Kompromissen bei den Stundensätzen. «Insbesondere durch die Euro-Krise hat das natürlich zuweilen geschmerzt», so Pietra. Als logische Konsequenz aus einem mittlerweile erfolgreich gewordenen Exportgeschäft hat Vertec schliesslich eine Niederlassung in Hamburg gegründet. Ein Joint Venture in Grossbritannien mit einer Vertec-Minderheitsbeteiligung, mit dem Ziel, vor Ort einen Markt aufzubauen, war bisher nicht von Erfolg gekrönt: «Dritte können den Erfolg nicht herbeiführen, man muss selbst aktiv werden», ist Pietra heute sicher. Sämtliche Versuche, nur mittels Vertriebs-, OEM- oder wie zuletzt mit den UK-Joint-Venture-Partnern erfolgreich einen Auslandsmarkt aufzubauen, waren bis jetzt nicht erfolgreich. Hinzu kommt, dass man den Markt verstehen und sich fragen muss, ob das Produkt überhaupt passt und ob es beispielsweise regula­torische Unterschiede zur Schweiz gibt. «Man muss auch bereit sein, viel Geld, Zeit und Entwicklungsressourcen zu investieren und sich, auch gegenüber neuen Mitarbeitern, realis­tische Ziele setzen», erklärt Pietra. «Die Binsenwahrheit, dass Businesspläne, vor allem hinsichtlich Zeit- und Geldbedarf, meistens um ein paar Faktoren zu optimistisch sind, trifft wohl nirgends besser zu als hier.» Auch den sprachlichen und kulturellen Unterschieden müsse man sich stellen. Das gelte sowohl hinsichtlich der Kunden als auch der Mitarbeiter. «Wir haben von Anfang an die Hamburger Leute in unser Managementsystem integriert und von den Incentives her darauf geachtet, dass kein Vorgartendenken entsteht.» Aber auch das Schweizer Headquarter müsse ein offenes Ohr haben für Herausforderungen der Leute, die näher am Markt sind. Das sei nicht immer einfach.

Swissness kein Allheilmittel

Und was ist mit der viel gerühmten Swissness? «Gerade in der Software-Branche ist Swissness von hoher Bedeutung», sagt Tobler, «zum Beispiel bei spezifischer Software in Infrastruktur, öffentlichem Verkehr, Finanzwesen oder in der Industrie, wo Schweizer Know-how einen guten Ruf hat.» Das sei auch ein Qualitätssiegel für die Kunden im Ausland. Klassische Swissness-Vorteile sieht Tobler auch im Bereich Data Hosting. Hier zählen besondere Werte und Rahmenbedingungen, wie die rechtliche und politische Stabilität, gute Datenschutzregeln und aus­gezeichnete lokale Sicherheitstechnologien. Auf dem «Network Readiness Index» liegt die Schweiz derzeit auf dem sechsten Platz. Sie verfügt über die fünftschnellste durchschnittliche Verbindungsgeschwindigkeit weltweit. Pietra von Vertec relativiert ein wenig: «Swissmade Software ist insbesondere in Deutschland wegen des ‹Not invented here›-Problems kein Vorteil. Allerdings auch kein grösserer Nachteil. Aber nur mit der Swissness allein gewinnt man keine Kunden.»

Standard oder Nische?

Zwar lässt sich schwer sagen, ob Standard- oder Nischen-Software besser für den Export geeignet ist. Aber: Je spezieller eine Software ist, desto besser verkauft sie sich. In diesem Fall könne man auch höher mit dem Preis reingehen, weiss Tobler. «Da gibt es ganz viele Beispiele, die man auch mit dem besten Industrie-Know-how nicht so einfach kopieren kann.» Sich auf eine Nische zu spezialisieren, in der man der einzige oder einer von wenigen Playern ist, scheint also eine gute Strategie zu sein. Aber es gäbe auch den umgekehrten Weg, dass einstige Individual-Software-Hersteller aus Internationalisierungs- und Wachstumsgründen in Richtung Standard-Software gingen, so Tobler. Als vielversprechenden Markt für Anbieter im Bereich Finanzdienstleistungen, insbesondere Start-ups, sieht Tobler neben London und New York auch Singapur. Der sehr kompetitive ICT-Markt gilt als Dreh- und Angelpunkt der Wirtschaft des Stadtstaats. «Wer gewisse Spielregeln befolgt, etwa im Umgang mit staatlichen Banken, für den gibt es viele Möglichkeiten, spezialisierte Software zu platzieren», weiss Tobler. Schweizer Unternehmen, die sich auf mobile Kommunikationstechnologien spezia­lisiert haben, aber auch Anbietern von Sicherheitsinfrastruktur sowie System- und Software-Entwicklung im Banking- und Finanzsektor, empfiehlt die Beraterin den sich schnell ent­wickelnden Markt in Südafrika. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Mehr Cluster bilden

Mehr Cluster bilden

Tobler rät generell Schweizer IT-Firmen, in Sachen Sales und Marketing noch einen Zahn zuzulegen. «Sich richtig zu positionieren, spielt eine grosse Rolle. Firmen aus Übersee beispielsweise sind uns da um Längen voraus.» Hier leistet S-GE Schützenhilfe: Primär werden Firmen individuell beraten, um deren Geschäftseintritt im Ausland zu unterstützen. Darüber hinaus werden Firmen auch zu Clustern zusammen­geführt, unter ein gemeinsames Thema gestellt und so im Ausland positioniert. «Diese Firmen haben zwar oft die gleichen Kunden, sind aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Angebote nicht zwangsläufig Konkurrenten», so Tobler. Für eine Einzelfirma wäre dieser Aufwand viel zu gross. Im September dieses Jahres fliegt Tobler zusammen mit den Branchenverbänden Swiss Made Software und AlpICT mit einer solchen Unternehmerdelegation nach New York an die Finovate, eine Konferenz im Bereich Financial & Banking Technology. Die Präsen­tation der helvetischen Firmen im Ausland soll deren Internationalisierungsvorhaben unterstützen. Daneben ist es natürlich auch ein Ziel, ausländische Investoren für Schweizer Know-how anzulocken. Mit der Hilfe durch die Politik, die immer wieder gefordert wird, will zumindest Pietra von Vertec nichts zu tun haben: «Die Schweizer Software-Industrie lässt sich im In- und Ausland am ehesten stärken, indem das Image der Schweiz durch die Politik nicht noch weiter beschädigt wird.» Initiativen wie die Masseneinwanderungsinitiative oder Ecopop seien da eher hinderlich. Zudem helfe es sicher, Entwickler auszubilden, «wobei die Unternehmen hier selbst aktiv werden müssen. Politische (Export)-Initiativen und Subventionen helfen uns gar nicht», ist der Vertec-Chef sicher. «Schweizer sind nicht unbedingt Early Adopters», glaubt Tobler. Meist wollen sie ein Produkt, eine Lösung erst bei jemand anderem im Einsatz gesehen haben. «So kann man zwar sichergehen, eine gute Lösung zu finden, riskiert mitunter allerdings, zu spät zu kommen», gibt die Expertin zu bedenken.


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