13.04.2011, 06:00 Uhr
Von Mexiko nach Zürich Enge
An der Limmat entsteht ein Rechenzentrum für 80 lateinamerikanische Firmen. Der Standort Schweiz kann global mit Stabilität und Sicherheit punkten.
Der Autor ist Leiter Enterprise Cloud Services bei Swisscom Grosskunden und verantwortet im Product Management u.a. die Telehousing und Cloud Computing Services Es ist Globalisierung pur – und eine Erfolgsgeschichte für den Standort Schweiz: Wenn sich rund 10000 Mitarbeiter von 80 Firmen in Süd- und Zentralamerika an ihren Rechnern einloggen, sitzen sie zwar auf der anderen Seite der Erde, arbeiten aber eigentlich in Zürich. Hier stehen ihre Server, hier werden die Daten gespeichert. Noch ist das Zukunftsmusik, aber die Zukunft wird in wenigen Wochen Realität. Die Datenleitungen sind getestet, derzeit läuft die Konfiguration der Software. In diesen Tagen soll es soweit sein, dann wird die Verbindung heiss geschaltet, dann startet Phase 2, die Testphase.
Die Schweiz als idealer Standort
Die Idee für das Projekt hatte der spanische Gasversorger Gas Licuado Zaragoza SA. Die Firma sitzt in Madrid und bietet bereits IT-Services in Südamerika an. Aber warum nun ein Rechenzentrum in der Schweiz? Ausschlaggebend waren vor allem Sicherheitsüberlegungen. Veronica Neder ist CIO von Rock Fortress, der Firmentochter, die für das Technology Disaster Recovery zuständig ist. Ihr Büro und das ihres Chief Technology Officers, Jesus Chávez, liegen in Root bei Luzern. Für Neder eine logische Entscheidung: «Hier passt einfach alles. In der Schweiz gibt es weder Erdbeben noch Sturmfluten – und vor allem ist das Land politisch stabil und in keine Kriege verwickelt. Wir sind im Zentrum von Europa, können alles gut erreichen und die Schweizer sind sehr weltoffen. Wir haben für unsere Mitarbeiter schnell eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, und mit Swisscom einen Partner gefunden, der unsere Wünsche schnell umsetzen konnte.» Seit Ende August 2010 steht nun eine Verbindung nach Lateinamerika. Bisher gab es nur einmal eine Unterbrechung: In Mexiko hatte ein Bagger das Glasfaserkabel beschädigt. Auf der nächsten Seite: «Verbunden mit 45 Mbit/s»
Verbunden mit 45 Mbit/s
Wenn also jetzt Phase 2 anrollt, ist Zürich die Serverzentrale für rund 80 südamerikanische Firmen, die alte Anlage in Mexiko dient dann nur noch als Backup. Die Mitarbeiter an ihren Terminals loggen sich über eine Leitung von Telmex ein, dem grössten mexikanischen Telekommunikationsanbieter. Die Daten, die von den Angestellten verarbeitet werden, laufen aber über eine 45-Mbit/s-Leitung von Swisscom und deren Partner Verizon. Die Server stehen in Zürich Enge, wo Swisscom Telehousing-Lösungen anbietet. In Mexiko liegt das Rechenzentrum mit seinen fast 90 Servern dicht an einem Flughafen mit rund 100000 Flügen jährlich – eine redundante Site gab es nicht. «Das hat uns langsam beunruhigt», berichtet die IT-Chefin. Also begann man nachzudenken, sich umzuhören und zu suchen. Natürlich wäre es naheliegend gewesen, in die USA auszuweichen. Für Veronica Neder war das aber keine echte Option: «Dort hätte die Zulassung wegen der vielen Dokumente, die man ausfüllen muss, viel länger gedauert. Und ausserdem werfen die Amerikaner jemanden auch schnell wieder aus dem Land hinaus. Die nehmen einfach die Aufenthaltserlaubnis und zerschneiden sie vor Ihren Augen. So ein Risiko wollten wir natürlich nicht eingehen.» Die nächste Option wäre Kanada gewesen. «Aber dort hätten wir unser Projekt bei weitem nicht so schnell umsetzen können wie hier», meint Neder. So fiel die Entscheidung für die Schweiz als bestmöglicher Standort. In allen Aspekten stabil, gute Infrastruktur und weltoffen – das waren entscheidende Eckpunkte für die Planungen. Auf der nächsten Seite: «Die Kontrolle behalten»
Die Kontrolle behalten
Outsourcing an eine fremde Firma kam nicht infrage, das Unternehmen vertraut lieber auf seine eigenen Mitarbeiter. Aber mit wem sollte man zusammenarbeiten? Wer konnte die technischen Anforderungen erfüllen? Wer hatte Platz für das Rechenzentrum? Zwei Anbieter kamen in die engere Auswahl: SIAG mit ihrem Swiss Fort Knox und Swisscoms Telehousing metro. Die entscheidende Empfehlung kam schliesslich vom Technologiekonzern EMC, neben Microsoft einem wichtigen Partner von Rock Fortress. Weil die Swisscom auch die Daten-, Telefon- und Internetverbindungen liefern konnte, fiel die Entscheidung schliesslich auf Letztere. Es gab aber auch noch einen anderen Standortvorteil: «Die Data Center der SIAG in den Bergen sind nur über eine einzige Strasse zu erreichen. Das gefiel uns nicht», erklärt CTO Jesus Chávez. Nach einem ersten Treffen im November 2009 in Genf haben Neder und ihr Team das Portfolio genauer unter die Lupe genommen, das Datacenter in Zürich Enge besichtigt und die Mobilfunkmöglichkeiten geprüft: «Da wussten wir, dass wir unseren Partner gefunden hatten.» Auf der nächsten Seite: «Umzug in die Schweiz»
Umzug in die Schweiz
Mit dem Abschluss der Verträge begann eine sehr arbeitsreiche Phase, denn «mit einem Projekt in dem Umfang hatten wir noch keine Erfahrung», gibt Neder zu. Umso überraschter war sie, wie schnell alles umgesetzt werden konnte: «Wir sind richtig begeistert von den Schweizer Behörden. Im November 2009 hatten wir unser erstes Treffen mit Swisscom und schon im März 2010 hatten wir alle nötigen Unterlagen und Genehmigungen für unsere zehn Mitarbeiter aus Lateinamerika, die jetzt hier in der Schweiz leben und arbeiten. Das war fantastisch und hat uns viel Mut gemacht.» Auch die Mitarbeiter sind sehr zufrieden mit der neuen Heimat. «Es ist ein neutrales Land, sehr stabil und wir haben für alle Kinder gute internationale Schulen in Zug, Luzern und Zürich gefunden. Die Menschen sind gebildet und hilfsbereit.» Veronica Neder legt den Kopf etwas schief und lächelt: «Vielleicht nicht ganz so freundlich wie bei uns in Mexiko, aber sehr nett.» Natürlich sei die Sprache ein Hindernis, erklärt sie, «aber weil ja fast alle unter 50 Jahren Englisch sprechen, kommen wir gut zurecht – und wir haben auch schon viele soziale Kontakte.» Eine Relocation-Firma aus Luzern stand bei allen wichtigen Fragen der Ansiedlung zur Seite. Sie half, Büroräume und Appartements für die Mitarbeiter zu finden, die jetzt alle in der Nähe des Büros wohnen. Sie übernahm die Suche nach den richtigen Schulen für die Kinder und unterstützte die Neu-Schweizer bei allen Belangen des täglichen Lebens, von der Anmeldung bei den Behörden bis zur Auswahl der richtigen Krankenversicherung. «Es hat alles wunderbar geklappt und deshalb sind wir sehr, sehr zufrieden hier in der Schweiz», so Neders Fazit. Auf der nächsten Seite: «Probe aufs Exempel»
Probe aufs Exempel
Ob das auch für die technischen Abläufe gelten kann, wird sich zeigen. Nachdem die Phase 1 mit der Installation beendet ist, folgt nun die Probe aufs Exempel, die Testphase. Die Kommunikationsverbindungen via Swisscom und Verizon stehen und auch die Pläne, wie im schlimmsten Fall Daten wiederhergestellt werden sollen, sind fertig. Veronica Neder: «Im Moment werden Tausende Programmzeilen durchforstet, um IP-Nummern zu finden und durch virtuelle Host-Namen zu ersetzen. Dann müssen wir die IT-Mitarbeiter unserer Kunden schulen, damit sie wissen, was im Falle eines Datencrashs zu tun ist und wen sie informieren müssen.» Im Fall der Fälle hat der Standort Schweiz noch einen weiteren Vorteil – den Zeitunterschied. «Wir können arbeiten, während in Südamerika alle schlafen.»
Die Technik: Auftragsvolumen rund 3 Mio. CHF
Das Unternehmen nutzt im neuen Swisscom-Datacenter in Zürich Enge einen 51 Quadratmeter grossen Raum als Rechenzentrum samt Kühlung via Cool Corridor, Feuerschutz, Strom und Internet-anbindung. Zu den Sicherheitsmassnahmen zählen Videoüberwachung und Fingerabdruckscanner. Die Racks hat Rock Fortress teils mitgebracht, teils wurden sie von Swisscom geliefert. Inzwischen stehen dort 78 Server von HP, verbunden als Storage Area Network (SAN) von EMC. Von Letzterer kommen auch das Backup-System (Clariion Disk Library) und die Emulation Disk Library (EDL). Von Swisscom/Verizon kommt ferner die 45 Mbit/s-Datenleitung, die das Rechenzentrum mit Mexiko verbindet. Als Internetanschluss dient eine Verbindung mit 4 Mbit/s. Die Switches und Router sind von Cisco, als Firewall wird Software von Check Point eingesetzt. Gerade die VPN-Verbindungen sind für Rock Fortress wichtig, weil sich darüber auch die Kunden aus Zentral- und Südamerika einwählen. CTO Jesus Chávez meint: «Mit der Security sind wir generell sehr zufrieden, sowohl, was die Datenleitung betrifft als auch mit den Sicherheitsvorkehrungen im Datacenter.» Zudem nutzen die Mitarbeiter Handy-Verträge von Swisscom. Insgesamt hat der Auftraggeber damit rund drei Millionen Franken investiert.