Top 500 - Branchenübersicht
08.09.2021, 05:56 Uhr
Licht und Schatten
Die Schweizer ICT-Industrie ist sehr unterschiedlich durch die Corona-Zeit gekommen. Während viele Unternehmen Umsatzeinbussen hinnehmen mussten, florierte bei anderen das Geschäft. Grosso modo herrscht eine gute Stimmung mit Blick auf die Zukunft der Branche.
Die Schweizer Tennisspielerin Belinda Bencic beim Aufschlag während des Olympia-Doppel-Finals
(Quelle: Keystone/Peter Klaunzer)
Wenn das Jahr 2020 eines beweist, dann das: Die Schweizer Informations- und Kommunikations-Technologie-Branche (ICT) ist krisenresistent. Trotz der teilweise heftigen Massnahmen im Zusammenhang mit Covid-19 ist die Branche ordentlich durch das Jahr gekommen. Dies zeigen zumindest die Umsätze der in Computerworlds Top-500-Erhebung erfassten Firmen. Diese konnten auch im Krisenjahr gesteigert werden.
Und das sogar trotz schrumpfendem Bruttoinlandprodukt (BIP) – gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) ging das reale BIP 2020 nämlich um 2,9 Prozent zurück.
Und das sogar trotz schrumpfendem Bruttoinlandprodukt (BIP) – gemäss dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) ging das reale BIP 2020 nämlich um 2,9 Prozent zurück.
Ja, die ICT-Industrie vermochte es sogar, die 80-Milliarden-Franken-Schallmauer zu durchbrechen. Konkret konnten die 500 wichtigsten Branchenvertreter 2020 einen Gesamterlös von 81,4 Milliarden Franken einfahren. Dies entspricht einem Plus von immerhin noch 1,9 Prozent. Für die erfolgsverwöhnte Branche, die in den zurückliegenden Jahren jeweils gut 5 Prozent zulegen konnte (vgl. Grafik «ICT-Umsätze» unten), ist dies natürlich ein Dämpfer. Allerdings muss dabei bedacht werden, dass es in der Branche sowohl Krisengewinner als auch -opfer gegeben hat.
Bewährungsprobe für die ICT
Allgemein betrachtet, bedeutete das Auftauchen des SARS-CoV-2-Virus Anfang 2020 und die Folgen eine Bewährungsprobe für die ICT-Branche, die sie durchaus zu meistern wusste. Dies beweisen auch die Einschätzungen der von Computerworld angefragten Branchenvertreter. «Die Corona-Pandemie hat uns einerseits vor Augen geführt, wie wichtig eine zuverlässige und funktionierende Telekommunikations- und IT-Infrastruktur ist, andererseits aber auch, welche Chancen digitale Tools für Wirtschaft und Gesellschaft mit sich bringen», sagt etwa Urs Lehner, Head of Business Customers bei Swisscom.
Die Branche hat sich nicht nur bewährt, in vielerlei Hinsicht wurde profitiert. «2020 wird wohl in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem ein Virus die Digitalisierung beschleunigt hat», kommentiert Giancarlo Palmisani, Leiter Verbandsdienstleistungen bei Swico, das Geschehen.
Diese Beschleunigung wird dabei als regelrechter Turbo wahrgenommen. «Im Jahr 2020 haben sich die Projekte zur digitalen Transformation von Unternehmen pandemiebedingt um mehr als fünf Jahre beschleunigt», ist Alvaro Amato, Country Manager Schweiz bei Check Point Software Technologies, überzeugt. Positiv beurteilt auch Peter Lenz, Managing Director von T-Systems Alpine, die Auswirkungen: «Dem Schweizer ICT-Markt, könnte man sagen, tat Corona gut; ja, es war fast sogar eine Sternstunde der IT, die letztes Jahr pandemiebedingt stattgefunden hat.»
“Es hat sich gezeigt, wie wichtig eine zuverlässige und funktionierende Telekommuni-kations- und IT-Infrastruktur ist„
Urs Lehner, Swisscom
Die durch Corona angestossenen Änderungen werden zudem als tiefgreifend und nachhaltig interpretiert. «2020 war ein Jahr des radikalen Wandels. Das Kauf- und Konsumverhalten, aber auch die Arbeitsweise und -prozesse haben sich komplett verändert», meint Roger Semprini, Managing Director von Equinix Schweiz.
Für viele Firmen und Anwender war die Situation daher die Initialzündung, die nötig war, um den «Digitalisierungsturbo» einzuschalten. «Bei vielem, wo Organisationen bisher vielleicht zaghaft waren und durch die Pandemie zu raschem Handeln gezwungen waren, hat sich gezeigt: Hoppla, das funktioniert ja!», analysiert daher Christopher Tighe, Geschäftsführer von Cisco Schweiz, das Geschehen und verweist auf eine hauseigene Studie, in deren Rahmen «70 Prozent der IT-Verantwortlichen von Digitalisierungsprojekten berichten, die in wenigen Wochen anstelle von Monaten oder Jahren implementiert wurden».
Es scheint also durchaus Konsens in der Branche darüber zu herrschen, dass die Corona-Krise die Digitalisierung ziemlich beschleunigt hat. Dies hat auch die Zusatzbefragung der Schweizer Top-ICT-Firmen von Computerworld eindrücklich gezeigt. Über 90 Prozent der Befragten gaben hier nämlich an, dass dies der Fall sei.
Einschätzung der Corona-Folgen
Auch dass die Corona-Massnahmen mehr ein Segen denn ein Fluch für die Branche sind, zeigt unsere Zusatzbefragung. Auf die Frage, wie sich die Corona-Krise auf den Geschäftsgang des eigenen Unternehmens auswirkt, antwortete eine Mehrheit (53,9 Prozent) durchaus positiv. 13,7 Prozent gingen sogar davon aus, dass sich die Situation sehr positiv auf das eigene Business auswirke, sie also von der Situation sehr profitierten. Nur knapp 13 Prozent gaben an, dass der Geschäftsgang rückläufig sei, wobei nur 0,7 Prozent bedeuteten, sehr unter der Situation zu leiden.
Ganz anders die Situation vor einem Jahr. Zu diesem Zeitpunkt beurteilte nur ein Viertel der Befragten die Auswirkungen positiv und über ein Drittel negativ. Gut 5 Prozent gaben letztes Jahr sogar an, sehr unter der Lage zu leiden. Allerdings zeichnete sich schon damals ein Stimmungswandel innerhalb des Erhebungszeitraums der Untersuchung zwischen April und Juni 2020 ab. So beurteilten jene Firmen, die den Fragebogen zu Beginn des Untersuchungszeitraums ausfüllten, die Lage wesentlich negativer als jene, die gegen Ende an der Umfrage teilnahmen.
Die Stimmung fährt Achterbahn
Der Stimmungsumschwung lässt sich auch anhand der Frage nach der Einschätzung der ICT-Konjunktur für die nächsten zwölf Monate ablesen. Gingen in der letztjährigen Umfrage lediglich 40,4 Prozent der Befragten davon aus, dass ein leichter bis kräftiger Aufschwung ins Haus steht, sind in diesem Jahr knapp 90 Prozent frohen Mutes. Nur gerade einmal verschwindend geringe 1,5 Prozent der befragten Schweizer ICT-Unternehmen gehen davon aus, dass die Konjunktur der eigenen Branche in den nächsten zwölf Monaten rückläufig sein werde. Niemand erwartet einen stark rückläufigen Geschäftsgang. Auch die Zahl derer, die von einer Stagnation ausgehen, ist mit 7 Prozent überschaubar.
Die Branche ist somit fast schon euphorisch, was die nähere Zukunft anbelangt. Jedenfalls ist das diesjährige Ergebnis von 89,6 Prozent positiver ICT-Konjunktureinschätzung das beste der letzten zehn Jahre. Nur gerade 2011 schauten mit 87,5 Prozent der Befragten ähnlich viele Branchenvertreter derart optimistisch in die Zukunft. Damals hatte die Technikindustrie gerade die Finanz- und Eurokrise hinter sich gelassen.
Werden die Antworten nach Firmengrösse aufgeschlüsselt, zeigt sich ein weiterer Trend: Je grösser die Unternehmen, desto optimistischer fällt die ICT-Konjunktureinschätzung der nächsten zwölf Monate aus. Rechnen die kleineren Firmen mit weniger als 100 Mitarbeitern zu 88,1 Prozent mit einem leichten oder kräftigen Aufschwung in der näheren Zukunft, sind es bei den Firmen mit 100 bis 250 Mitarbeitern schon 90 Prozent. Besonders rosig blicken derweil Grossunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern auf die ICT-Konjunktur der nächsten zwölf Monate. Hier gehen sage und schreibe 95,7 Prozent der Befragten von einem leichten oder kräftigen Aufschwung aus. Nur 2,2 Prozent rechnen mit Stagnation und niemand rechnet mit einem rückläufigen oder stark rückläufigen Geschäftsgang.
Gute Auftragslage
Die positivere Stimmung ist wohl auch auf die verbesserte Auftragslage der ICT-Firmen zurückzuführen. Denn hier beurteilen 51,7 Prozent der Untersuchungsteilnehmer, dass die Auftragslage 2021 besser sei als im letzten Jahr. Nur 4,1 Prozent haben angegeben, dass diese schlechter ausgefallen sei. Vor einem Jahr beklagten noch 18,7 Prozent der Befragten eine schlechtere Auftragslage als im Vorjahr.
“2020 wird wohl in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem ein Virus die Digitalisierung beschleunigt hat„
Giancarlo Palmisani, Swico
Einen Stimmungsumschwung stellt auch der Branchenverband Swico fest. Dessen Stimmungsbarometer «ICT-Index», dem die Indikatoren «erwartete Umsatzveränderung», «erwartete Veränderung des Auftragseingangs» sowie «erwartete Veränderung der Rentabilität» als Grundlagen dienen, ist im dritten Quartal 2021 auf 120,2 Punkte angewachsen und hat damit ungefähr das Niveau vor der Corona-Krise erreicht. Im April 2020 war der Index um 44 Prozent auf 66,2 Punkte getaucht und erholte sich bis Juli 2020 immerhin leidlich und kletterte wieder auf 92 Punkte, um dann Anfang 2021 mit 100,1 Punkten die Wachstumszone zu erreichen.
Allerdings gibt es Unterschiede bei den Teilbranchen, wie Swicos Palmisani mit Verweis auf den Index meint. Demnach seien die ICT-Teilmärkte Software, Dienstleistungen und Consulting nach wie vor Wachstumsbranchen. «PCs und Systeme haben inhärente Erneuerungszyklen, die sich kaum beeinflussen lassen – wobei im Zusammenhang mit Home Office viel neue Hardware angeschafft wurde», führt Palmisani weiter aus. Ihm zufolge profitierte die «Consumer Electronics»-Sparte 2020 vom Erneuerungswillen der Wirtschaft. «Nach wie vor in schwierigen Marktverhältnissen bewegen sich dagegen die Foto- und IPF-Branchen (Imaging, Printing, Finishing)», gibt der Swico-Vertreter zu bedenken. Er äussert sich denn auch durchaus optimistisch, dass die Branche die Krise bald bewältigt haben wird.
«Gemäss dem aktuellen Swico ICT-Index ist in vielen Teilmärkten bereits jetzt eine Erholung spürbar», kommentiert Palmisani die Situation. «Aber natürlich ist die Branche stark mit der Gesamtwirtschaft verwoben: Geht es der weltweiten und schweizweiten Ökonomie gut, profitiert auch die ICT-Branche davon», ist er überzeugt.
Lieferengpässe
Zu schaffen macht der Branche die derzeit herrschende Knappheit an Halbleitern und Gerätekomponenten als Auswirkung der Corona-Massnahmen. Diese dürfte auch noch bis 2022 anhalten, urteilen unter anderem die Marktforscher der Gartner Group. Es werde sechs bis neun Monate oder noch länger dauern, bis die Nachfrage nicht mehr höher sei als das Angebot, meinte Chip-Analyst Alan Priestley im Mai. Grund ist offenbar, dass die Fabriken derzeit mit 95-prozentiger Auslastung betrieben werden und dass eine Produktionssteigerung nicht so einfach durchzuführen ist. Auf eine noch längere Halbleiter-Durststrecke vertröstet derweil Intel-Chef Pat Gelsinger die Branche. Er rechnet damit, dass sich die Situation in den nächsten Monaten zuspitzen werde. Erst 2023 ist ihm zufolge damit zu rechnen, dass die Industrie die Nachfrage vollständig erfüllen kann.
“Das Kauf- und Konsumverhalten, aber auch die Arbeitsweise und -prozesse haben sich komplett verändert„
Roger Semprini, Equinix
Die Engpässe werden auch von Schweizer Firmenvertretern als ernst zu nehmendes Hindernis wahrgenommen. «Weltweit beschäftigen auch uns Lieferengpässe bei Halbleitern, die zu verlängerten Vorlaufzeiten für einige ausgewählte Komponenten führen», berichtet etwa Christopher Tighe von Cisco. Auch er geht «davon aus, dass diese Situation bis zum Ende des laufenden Geschäftsjahres und bis ins nächste Jahr hinein andauern wird, während die Bemühungen zur Kapazitätserweiterung umgesetzt werden und sich die Nachfrage stabilisiert». Allerdings versuche man trotzdem, Engpässe zu vermeiden. «Wir arbeiten eng und proaktiv mit unserem Netzwerk von Zulieferern und Fertigungspartnern zusammen, um Verzögerungen zu minimieren und Bestellungen für unsere Kunden zu beschleunigen», gibt Tighe zu Protokoll.
Top 10: Aufstieg von Sunrise UPC
Die ersten zehn Ränge der Top-500-Ausmarchung der umsatzstärksten Schweizer ICT-Unternehmen erfährt dieses Jahr einerseits durch einen Merger Veränderung. Und zwar hat bekanntlich die Muttergesellschaft von UPC, Liberty Global, den zweitgrössten Fernmeldeanbieter der Schweiz, Sunrise, in einem Multimilliardendeal übernommen. Die Übernahme, bei der Liberty den Sunrise-Aktionären gut 5 Milliarden Franken in bar hinblätterte, gilt seither als grösster Telekommunikationsmerger in der Schweizer Geschichte. Extrapoliert aufs ganze Jahr gerechnet, hat Sunrise UPC, das seit November 2020 als einheitliche Firma auftritt, gut 3,1 Milliarden Fanken umgesetzt und damit Google von Platz drei verdrängt.
Doch wie lange sich Sunrise UPC auf dem Podestplatz sonnen kann, ist ungewiss. Bereits im nächsten Jahr könnte Google, der schnell wachsende Internetriese, die doch eher zu Stagnation neigende Telko-Vertreterin bereits wieder vom Treppchen verdrängen, fehlen Google doch lediglich 80 Millionen Franken Umsatz für das Überholmanöver. (Zur Veränderung im Schweizer Telekommunikationsmarkt beachten Sie bitte auch den Artikel zu den Spartenauswertungen).
Andererseits stürmt mit Digitec Galaxus ein echter Corona-Krisengewinner die Top 10 von Computerworld. Tatsächlich hat der Lockdown dem Online-Handelsspezialisten ein fast 60-prozentiges Umsatzwachstum beschert und damit vom vorjährlich 12. auf den 7. Rang katapultiert. Daneben hat auch die Börsenbetreiberin SIX wieder den Weg in die Top 10 gefunden, mit immerhin mehr als 20 Prozent Umsatzwachstum. Das Nachsehen haben derweil Mobilezone und HPE, die beide dieses Jahr aus den Top 10 verdrängt wurden.
Bei den Top 10 der Gewinner nach absoluten Zahlen ist denn auch Digitec Galaxus an erster Stelle. Aber auch Distributoren schaffen es in diese Tabelle – zum Beispiel die Competec-Gruppe, zu der unter anderem auch der Online-Händler Brack gehört. Dies zeigt eindrücklich, dass Distributoren und Online-Händler 2020 mit Fug und Recht zu den Krisengewinnern gezählt werden können.
Bei den Top 10 der Gewinner nach absoluten Zahlen ist denn auch Digitec Galaxus an erster Stelle. Aber auch Distributoren schaffen es in diese Tabelle – zum Beispiel die Competec-Gruppe, zu der unter anderem auch der Online-Händler Brack gehört. Dies zeigt eindrücklich, dass Distributoren und Online-Händler 2020 mit Fug und Recht zu den Krisengewinnern gezählt werden können.
Bei den prozentualen Gewinnern sind in der Regel Firmen in den Top 10, die im Berichtsjahr grössere Unternehmen aufgekauft haben. So hat Swiss TXT im Rahmen der Überführung von der Produktionsgesellschaft TPC ins Schweizer Radio und Fernsehen SRF per 1. Januar 2020 die Aktivitäten von TPC Streaminghouse übernommen. Daneben wurde die SRG-interne IT- und Infrastruktureinheit INIT in Swiss TXT integriert. Somit präsentiert sich die Firma nun als Kompetenzzentrum für ICT-, Digital-, Distributions- und Access-Services der SRG.
Auch das hohe prozentuale Plus von Allgeier ist unter anderem auf Übernahmen zurückzuführen. So wurden der Schweizer Standort und die Aktivitäten des Personaldienstleisters Allgeier Experts in die Allgeier (Schweiz) AG integriert. Und Mitte Jahr gab die Firma den Kauf des Open-Source-Spezialisten IT-Novum bekannt. Bei CM Informatik ist es unter anderem der Firmenzukauf der Roth Soft (Entwicklerin von LehrerOffice, einer Software für Lehrpersonen), der für das kräftige Plus verantwortlich ist.