Praxisbeispiel
04.10.2012, 09:00 Uhr
IT-Outsourcing im Gesundheitswesen
Radiologie ist ein kostspieliges Diagnoseverfahren. Kleinere Spitäler können sich entsprechende Fachabteilungen oft nicht leisten. Eine Alternative bietet die sogenannte Teleradiologie in Partnerschaft mit einem grösseren Spital.
Die Autorin ist Leiterin Marketing bei Hint AG. Auch im Aargauer Regionalspital Leuggern (RSL) wurden die radiologischen Befundungen lange Zeit so gehandhabt. Denn mit 15 bis 20 konventionellen Untersuchungen pro Tag war und ist das Pensum zu gering, um einen Facharzt einzustellen. Dennoch wollte das Regionalspital nicht auf diese wichtige medizinische Dienstleistung verzichten, zumal bereits ein modernes Röntgengerät zur Verfügung stand. Zufrieden war die Spitalleitung mit der Lösung trotzdem nicht. Neben dem mangelnden Fachwissen war man vor allem mit den manuellen, teilweise sehr inneffizienten Prozessen unzufrieden. Zum Beispiel wurden die Aufträge schriftlich auf Papier festgehalten. Bilder weiterführender MRI- und CT-Untersuchungen, die in Brugg vorgenommen wurden, mussten per Post nach Leuggern übermittelt werden – ein umständlicher und zeitraubender Prozess.
Gemeinsam effektiver
Um die Qualität der radiologischen Untersuchungen zu verbessern und die Prozesse zu optimieren, sah sich die Spitalleitung unter Direktor Alfred Zimmermann deshalb nach einer neuen Lösung für die eigene Radiologieabteilung um. Die Vision von Zimmermann war ehrgeizig: Leuggern sollte weiterhin radiologische Untersuchungen anbieten, die Befundung jedoch ausser Haus von einem Experten vornehmen lassen. Die entsprechende Dienstleistung wollte das Spital in Zukunft einkaufen.
IT kommt der Medizin zu Hilfe
Auf der Suche nach einem Partnerspital wurde Zimmermann beim Kantonsspital Baden (KSB) fündig: Das KSB signalisierte Interesse an einer Partnerschaft, auch um die Auslastung des eigenen radiologischen Instituts zu optimieren, und machte dem RSL ein sehr kollegiales Angebot. Damit war noch die Frage nach einem geeigneten Outsourcing-Dienstleister mit entsprechendem Fachwissen offen. Diesen fand Zimmermann in der Hint AG, einem auf das Gesundheitswesen spezialisierten ICT-Outsourcing-Unternehmen. Das war wichtig, denn der Dienstleister, der für die IT-Infrastruktur des Regionalspitals Leuggern verantwortlich sein würde, musste nicht nur entsprechendes Know-how in WAN-Vernetzung und Datensicherheit mitbringen, sondern auch mit Spitalabläufen und radiologischen Prozessen vertraut sein.
Projektdauer: sechs Monate
Am 1. Oktober 2011 startete das Projekt mit dem Ziel, die Arbeiten innerhalb von sechs Monaten auf den 31. März 2012 abschliessen zu können. In einer ersten Phase wurden während rund drei Monaten die Prozesse und Arbeitsabläufe am RSL analysiert und auf dieser Basis verschiedene Lösungsansätze entworfen. Nachdem sich die Spitalpartner auf eine Lösung geeinigt hatten, machte sich das Hint-Team um Projektleiter Samuel Wullschleger an die Implementierung. «Der Zeitplan war relativ knapp, denn neben der Bereitstellung der IT-Infrastruktur und der WAN-Vernetzung mussten auch die kompletten IT- und Arbeitsprozesse umgestellt werden. Zudem mussten wir zahlreiche Tests durchführen und nicht zuletzt auch das Personal schulen», erinnert sich Wullschleger. Erschwerend kam hinzu, dass das KSB eigene Radiologieinformationssysteme betreibt, die in die Lösung integriert werden mussten. Obwohl der geplante Grad der Automatisierung deshalb nicht ganz erreicht werden konnte, klappte die Inbetriebnahme auf den vorgegebenen Termin: Seit April diesen Jahres übernimmt das Kantonsspital Baden die Befundung der Röntgenbilder des Regionalspitals Leuggern.
Zusammenarbeit klappt bestens
Rückblickend sind sich alle Beteiligten einig: Die weitgehend automatisierten Prozesse sind heute wesentlich effizienter und strukturierter als vor der Inbetriebnahme der Radiologieanbindung. Manuelle Abläufe und Untersuchungsergebnisse in Papierform gehören heute der Vergangenheit an. Muss eine Befundung gemacht werden, erstellt der behandelnde Arzt im Klinikinformationssystem Phoenix einen Röntgenauftrag. Phoenix generiert anschliessend eine Untersuchungsanforderung, die via Schnittstellenserver an das System in Baden übermittelt wird. Dort wird ein Patientendossier angelegt und eine «Worklist» mit Aufträgen vom RSL erstellt. Diese Liste ist wiederum an der Röntgenmodalität in Leuggern abrufbar. Der zuständige Spitalmitarbeiter in Leuggern arbeitet die Röntgenaufnahmen gemäss dieser Liste ab. Die Bilder werden sofort nach Baden übermittelt, wo ein Facharzt aus der Radiologie die Befundung vornimmt. Dabei garantiert das KSB einen Service rund um die Uhr, das ganze Jahr über. Die radiologischen Befunde werden elektronisch festgehalten und via E-Mail verschlüsselt an das RSL verschickt. Bei unklaren Fällen oder in Notfallsituationen ist auch eine telefonische Bildbesprechung möglich. Befund und Bild werden zudem automatisch im Universalarchiv des RSL – der sogenannten «Health Engine» – gespeichert. Dort werden sie während zehn Jahren aufbewahrt.
Zukunftsmusik im Gesundheitswesen
Die Erfahrungen, die das Regionalspital bisher mit der Radiologieanbindung gemacht hat, sind durchwegs positiv. Zwar musste anfangs einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden, um die Spitalmitarbeiter von der neuen Lösung zu überzeugen, insgesamt ist das System aber ein voller Erfolg. Zimmermann sieht viel Potenzial in solchen Gemeinschaftsprojekten: «Die Radiologieanbindung ist nicht nur eine Qualitätsverbesserung, sondern leistet auch einen wertvollen Beitrag, um die Gesundheitskosten zu senken. Ich bin überzeugt, dass solche Projekte Schule machen werden.» Froh ist Zimmermann auch, dass Leuggern die IT-Infrastruktur nicht mehr selbst betreiben muss. «Die Hint AG betreibt sämtliche Systeme mit Ausnahme der Modalitäten vor Ort für uns. Wir müssen uns deshalb nicht länger mit IT-Fragen herumschlagen, sondern können uns auf unsere Patienten konzentrieren.» Auch beim Kantonsspital Baden ist man mit der neuen Lösung sehr zufrieden, wie Dr. Rahel Kubik, Chefärztin Radiologie, erläutert: «Während das Regionalspital Leuggern mit der Radiologieanbindung Prozesse und Qualität verbessern konnte, bedeutet die neue Lösung für uns eine noch bessere Auslastung der Infrastruktur des radiologischen Instituts. So profitiert jede Seite von der Lösung.» An grossen Spitälern erstellt in der Regel ein Facharzt der Radiologie den Befund zu einer Röntgenaufnahme. Dadurch wird eine möglichst hohe Qualität sichergestellt. In kleineren Spitälern ohne eigene Fachabteilung übernimmt dies jeweils der behandelnde Arzt. Dieses pragmatische Vorgehen ist zwar nicht ungewöhnlich, allerdings fehlt es bei komplexeren Untersuchungen dann doch am nötigen Fachwissen.