IT-Projekt 07.06.2021, 07:00 Uhr

Flaschenpost baut Webshop von morgen

Der grösste Online-Weinhändler der Schweiz baut seinen digitalen Handel von morgen auf, indem er das Frontend vom Backend entkoppelt. So will Flaschenpost innovativ bleiben.
Als Schweizer Marktführer bedient der Online-Händler Flaschenpost über 80'000 Kunden
(Quelle: Flaschenpost)
Ambitionierte Ziele hatten die damaligen Wirtschaftsstudenten Dominic Blaesi und Renzo Schweri bereits im Jahr 2007: Sie wollten ein «Amazon für Wein» erschaffen. Ihre Idee nannten sie Flaschenpost. Gut 13 Jahre später sind die beiden Gründer ihrer Vision einen erheblichen Schritt näher gekommen. Das Portal hat sich zum grössten Online-Weinhändler der Schweiz entwickelt. Heute können 80'000 Kunden aus einem Sortiment von 30'000 Weinen wählen, die von 100 der renommiertesten Schweizer Weinhandlungen stammen.
Bei der Entwicklung legen die Gründer grossen Wert darauf, ihren Kunden das bestmögliche Einkaufserlebnis zu bieten. Das Finden und Bestellen von Wein soll so bequem und preiswert sein wie in keinem anderen Shop. «Unsere Hypothese ist, dass sich viele Weinliebhaber in Wahrheit gar nicht dafür interessieren, woher der Wein kommt, welche Traube da drin ist und wie der gemacht wurde. Die wollen nur einfach Wein trinken, der ihnen schmeckt», führt Blaesi aus. «Da möchten wir ansetzen. Die Kunden sollen immer einen vollen Weinkeller haben mit Weinen, die ihnen und ihren Gästen garantiert gefallen, ohne dass sie sich um irgendetwas kümmern müssen.»

Technologie bremste Wachstum

Den Shop von Flaschenpost hatten Blaesi und Schweri ursprünglich selbst entwickelt. Als die Eigenentwicklung an ihre Grenzen stiess, wählten die Gründer die Open-Source-Lösung Magento und gaben die Pflege sowie Wartung in die Hand einer Webagentur. Parallel wuchs Flaschenpost beträchtlich. Dabei entpuppte sich Magento als Bremsklotz. «Die monolithische Struktur von Magento wurde über die Jahre immer wieder individuell angepasst. Dadurch wurde es immer komplizierter, langwieriger und daher auch sehr teuer, neue Features zu entwickeln», erklärt Flaschenpost-CTO Johannes Klaiber. Eine Lösung musste her.
Im ersten Schritt übernahm das Team um die zwei Gründer vor etwas mehr als 2,5 Jahren die Betreuung des Shops wieder selber. Parallel evaluierten die Gründer und CTO Klaiber alternative Shop-Systeme. Von vornherein stand fest, dass sie eine Headless-Architektur implementieren wollten, die das Frontend vom Backend entkoppelt. Die Technologie sollte kein Bottleneck mehr sein, wenn neue Business-Modelle umgesetzt werden. Denn der digitale Handel entwickelt sich rasant weiter. Fast täglich präsentiert irgendwo auf der Welt ein Online-Händler ein neues Feature, mit dem das Kunden­erlebnis wieder etwas verbessert wird. Die meisten Innovationen kommen zwar nicht aus der eigenen Branche, denn die ist laut Blaesi in Sachen Digitalisierung noch immer träge. Jedes Novum verändert allerdings die Erwartungen der Konsumenten an das Online-Shopping.
Im Sommer vergangenen Jahres formierte sich die «MACH Alliance» – Microservices based, API-first, Cloud-native SaaS und Headless. Ihr Ziel ist es, Unternehmen bei der Ablösung von Enterprise Suites zu unterstützen. Sie waren in der Vergangenheit womöglich die besten und sichersten Lösungen. Die Zukunft gehört allerdings Technologien, die auf Microservices basieren, API-first denken, als SaaS in der Cloud beheimatet sind und sich Headless aufstellen. Die Unterstützer der Allianz wollen Lösungen liefern, mit denen Unternehmen agil und schnell auf neue Anforderungen sowie Bedürfnisse des Markts reagieren können. Zu den Gründungsmitgliedern von «MACH» gehören commercetools und Frontastic. Sie waren für Flaschenpost die Lieferanten der Wahl, so Klaiber.

Entwickler-Kapazität und Business-Agilität

Im Anschluss an das Projekt-Kick-off in der zweiten Jahreshälfte 2020 erwartet Flaschenpost die Live-Schaltung der neuen Plattform nach ca. zehn Monaten. Die Besonderheit: «Der Technologie-Stack mit commercetools im Backend und Frontastic als Frontend macht es uns möglich, das Re-Platforming mit unserer Entwickler-Crew zu stemmen. Von Start zu Live in zehn Monaten mit acht Entwicklern, während wir parallel das Geschäft mit Corona-Entwicklung managen – darauf sind wir sehr stolz», sagt Klaiber.
Durch den Einsatz von Frontastic kann Flaschenpost.ch, so schätzt Klaiber, neue Ideen um 50 Prozent schneller umsetzen als vorher. Einen grossen Vorteil sieht der Informatiker darin, dass das neue Technologie-Stack den Fähigkeiten der Entwickler viel besser entspricht. «Unsere Programmierer sitzen in Belgrad in Serbien. Wenn ich dort jemanden mit Magento-Know-how suche, ist das schwierig», so Klaiber. Wer sich heute für den Beruf des Entwicklers entscheide, erlerne nicht mehr alte Konzepte, sondern solche, die Frontastic verfolgt, ist er überzeugt. Darüber hinaus würden die Entwickler lieber innovative Dinge entwickeln, als sich mit Legacy herumzuschlagen. «Wir haben in der Evaluation einen Proof-of-Concept-Workshop veranstaltet und die Entwickler coden lassen. Da hat sich gezeigt, dass es im Umgang mit commercetools und Frontastic überhaupt keine Probleme gab», doppelt der CTO nach.
“Entwickler programmieren lieber Innovation, als sich mit Legacy herumzuschlagen„
Johannes Klaiber
Gleichzeitig ermögliche das Setup den Aufbau einer agileren Organisation. «Unser Ziel ist es, Produktteams zu bilden, die unabhängig voneinander ihre eigenen Projekte vorantreiben können», sagt Klaiber. Ein Team könnte sich um den Shop kümmern, ein anderes um den Aufbau eines Abo-Modells. Und keiner müsste darauf Rücksicht nehmen, wann der andere etwas im System ändert oder installiert.

Mobile Website und Wein-Abo

Der nächste Punkt auf der Agenda ist die Optimierung der Nutzererfahrung an mobilen Endgeräten. Der aktuelle Shop ist zwar responsiv, erfüllt damit aber nur die Grundlagen einer mobil optimierten Seite. Unter Magento lohnte sich die Optimierung nicht mehr. «Mit Frontastic wird uns das viel besser gelingen», ist der CTO überzeugt. Besonders angetan ist er von der Flexibilität, die Frontastic im Sinne einer Platform as a Service bietet. Von einer skalierbaren Server-Infrastruktur und Deployment Pipeline (CI/CD) bis hin zu fortschrittlichen Entwicklungsumgebungen in der Cloud ist alles vorhanden. Zusätzlich erhält man mit ReactJS ein SPA Template mit viel generischer Funktionalität für E-Commerce, während gleichzeitig Custom-Business-Logik auf Code-Level implementiert werden kann. Weiter lässt Frontastic mehr Gestaltungsspielraum: «Animationen oder weichere Übergänge zwischen den einzelnen Seiten lassen sich viel leichter umsetzen», so Klaibers Erfahrung.
Ein konkretes Projekt, das die Flaschenpöstler derzeit vorantreiben, sind die «Flights». Dahinter verbirgt sich ein Wein-Abo, das individuell auf den Geschmack der Nutzer abgestimmt wird. Dazu füllen die Kunden zunächst einen Fragenkatalog aus und bewerten anschliessend die erhaltenen Weine. Auf Basis der Ratings wird das Taste-Profil immer feiner kalibriert, bis wirklich die Weine gefunden sind, die dem Geschmack der Kunden am besten entsprechen. Auf Basis eines solchen Abo-Modells könnten weitere Services aufsetzen, welche die Flaschenpost-Macher zwar schon im Hinterkopf haben, aber noch keine Details verraten.

Tests für den Handel der Zukunft

Für die Zeit nach dem Relaunch ist die Umsetzung einer App geplant, die vor allem das neue «Flights»-Abo beflügeln soll. «Das Mobiltelefon ist immer dabei und mit einer App sind wir noch näher am Kunden», sagt CTO Klaiber. So habe man ganz andere Gestaltungs- und Marketingoptionen – sowohl visuell als auch in der User Experience. Auch könne man «Flights» via App um neue Services erweitern. Ideen dazu gibt es schon viele: vom intelligenten Wein­regal bis zum optimierten Service auf der letzten Liefermeile.
Wie der Weinhandel von morgen aussieht, ist auch für die Experten grösstenteils noch Spekulation. Doch um neue Features zu finden, mit denen sich der Shop auch künftig von der Konkurrenz abheben kann, finden Kundenbefragungen, Usability-Tests und die Simulation von Features in Form von Klickprototypen statt. Zudem setzt Flaschenpost auf Minimal Viable Products, indem schnell Versuchs­ballons steigen gelassen werden, um Kundenreaktionen zu testen. Blaesi, Klaiber und Schweri sind sich allerdings sicher, dass sie mit dem Headless-Ansatz und der Kom­bination aus commercetools und Frontastic schon sehr gut aufgestellt sind für die Kundenwünsche von morgen.



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