Killerkriterium
05.08.2011, 06:00 Uhr
Change the Business
Wer sich gegen Veränderungen sperrt, bleibt nicht nur auf der Stelle stehen, sondern fällt zurück. An welchen Indikatoren erkennen Schweizer Geschäftsführer, ob die Veränderungskultur in ihrem Unternehmen stimmt?
Mitarbeiter leisten Unglaubliches, wenn sie einen Wert in ihrer Arbeit sehen und von ihrer Aufgabe begeistert sind. Der «Spirit» der ehemaligen Guerilla-Technologie Open Source ist ein eindrückliches Beispiel dafür, was sinnstiftende Motivation bewirken kann. Fehlt der Begeisterungsfaktor, richten sich Mitarbeiter in der Komfortzone Office gemütlich ein und leisten Dienst nach Vorschrift. Daraus entsteht nichts Grosses, noch nicht einmal Gutes. Unternehmensberater Markus Kuhnt, Gründer der Schweizer triple dot consulting, spricht von Änderungsresistenz, die mit der Zeit dazu führt, dass die Geschäftsziele an die Organisation – und nicht die Firmenorganisation an die Geschäftsziele – angepasst werden. Realitätsverlust führt unweigerlich dazu, dass die Firma von den «Winds of Change» des Markts hinweggefegt wird.
Bremskräfte Aussen und Innen
Schweizer Firmen kämpfen dabei an zwei Fronten: Die harte Frontlinie verläuft zwischen Firma und Markt/Konkurrenz. Dort geht es um neue Marktchancen, Innovationen, Prozesserneuerung und Prozessintegration. Die zweite, weiche Kampfzone markiert die Schnittstelle zwischen der Firma und den eigenen Mitarbeitern. Dort treffen Veränderungsbefürworter und Blockierer aufeinander. «Jedes Unternehmen beantwortet Veränderungssituationen anders», betont Dr. Gunther Kucza, Dozent für strategisches Management an der ZHAW. Das trennt am Ende die Spreu vom Weizen. Mitarbeiter in reiferen Unternehmen nehmen Kritik in stärkerem Masse persönlich und tendieren dazu, Konflikten aus dem Weg zu gehen, um Blamagen zu vermeiden. Im Gegensatz etwa zu quirligen Start-ups haben sich Strukturen bewährt, aber auch verfestigt. Ein schlagendes Beispiel ist die US-amerikanische Versand- und Warenhauskette Sears. Einst ein lebendiges, vibrierendes Unternehmen, stieg Sears zu einer Organisation des «Befehls und Gehorsams» ab. Damit einher ging die Entmachtung des mittleren Managements und ein Verlust an Eigenverantwortung. Wer Direktiven von oben kritisierte oder ignorierte, wurde als nicht teamfähig erachtet. Die Lust auf Veränderungen liess spürbar nach. «Das haben wir doch schon einmal ausprobiert, und es hat nicht funktioniert», lautete die Standardantwort, mit der neue Ideen abgebügelt wurden.
Gefährliche Verdrängungskultur
Fatale Folgen zeitigte der grassierende Realitätsverlust. Kaum zu glauben: Sieben Geschäftsjahre in Folge hatten die Verkaufschefs bei Sears die Geschäftsziele den Umsätzen angepasst. Fielen zum Jahresende die Abverkäufe zu niedrig aus, passte man einfach die Planziele der Realität an. Das änderte sich erst, als der neue CEO Arthur Martinez das Steuer übernahm. Dessen einschneidendste Massnahme: Er sagte die ungeschminkte Wahrheit, hielt den Sears-Managern den Spiegel vor. Zusätzlich gab Martinez ambitionierte Wachstumsziele vor; ihm gelang es schliesslich, das Unternehmen zu revitalisieren (R. Pascale, M. Millemann, Linda Gioja, Changing the way we change, Harward Business Review).
Eckpfeiler für den Erfolg
Eine verlogene Unternehmenskultur treibt Firmen auf lange Sicht in den Ruin. Woran erkennen Schweizer Geschäftsführer, dass etwas an der zweiten Schnittstelle zwischen Organisation und Mitarbeitern schiefläuft? Der renommierte Wirtschaftswissenschaftler und Autor Richard Pascale hat vier Indikatoren identifiziert, die für ein Unternehmen so wichtig sind wie die medizinischen Vitalfunktionen Puls und Blutdruck für den menschlichen Körper: Verantwortung: Glauben die Mitarbeiter, dass sie bei Struktur und Performance ihres Unternehmens ein gewichtiges Wörtchen mitzureden haben? Identifikation: Identifizieren sich die Mitarbeiter (nur) mit ihrem Beruf, ihrer Arbeitsgruppe, oder mit dem Unternehmen in Gänze? Konfliktbewältigung: Werden Probleme absichtlich entschärft und somit unter den Teppich gekehrt, oder angepackt und gelöst? Lernprozesse: Wie geht das Unternehmen mit neuen Ideen um? Mit zunehmendem Alter einer Organisation tendieren diese vier betriebswirtschaftlichen Vitalfunktionen dazu, an Attraktivität zu verlieren und zwischen den Fingern zu zerbröseln. Sie sind jedoch der genetische Erfolgscode, der eine Organisation in die Lage versetzt, sich neu zu kalibrieren und neue Chancen an sich verändernden Märkten wahrzunehmen.
Vorbild aus der Praxis
Ein zweiter Reference Case: Terry Leahy stand von 1997 bis 2011 als CEO der britischen Supermarktkette Tesco vor. Unter seiner Ägide stieg Tesco mit einem Umsatz von 59,426 Milliarden Pfund Sterling (2009) zur grössten britischen und weltweit viertgrössten Handelskette auf – hinter Wal Mart (U.S.A.), Carrefour (Frankreich) und Metro (Deutschland). Wie hat Leahy das geschafft? Auf dem Teradata Universe in Barcelona verriet der als Gastredner eingeladene Ex-CEO die wichtigsten «Management Lessons» seines Berufslebens: Bestandsaufnahme: Die härteste Lektion. Seien Sie ehrlich zu sich selbst; belügen Sie weder sich selbst, noch Ihre Mitarbeiter, noch Ihre Kunden. Wo steht Ihr Unternehmen zurzeit? Die wichtigste Informationsquelle ist der Kunde, nicht der Manager im Unternehmen. Ehrgeizige Ziele setzen: Organisationen können viel mehr erreichen, als sie selbst für möglich halten. Hören Sie auf den Kunden: Tesco hat aus dem Verhalten der Kunden gelernt. Deren Leben wurde mit der Zeit immer hektischer. Keiner hatte mehr die Zeit, zum Einkauf in der Mittagspause die Rolltreppen eines grossen Kaufhauses hinauf- und herunterzufahren. Als Konsequenz erfand die Handelskette den miniaturisierten Kaufhaus-Kiosk Tesco Express. Übersicht gewinnen: Verschaffen Sie sich eine klare Vorstellung von den Arbeitsrollen und Geschäftsprozessen. Schätzen Sie den Wettbewerb: Lernen Sie schneller von Ihren Konkurrenten als die Konkurrenz von Ihnen. Konzentrieren Sie sich dabei auf deren Stärken. Gewinnen Sie das Vertrauen Ihrer Kunden: Marken bauen Vertrauen auf. Haben Sie das Vertrauen Ihrer Kundschaft gewonnen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie Ihnen für lange Zeit, möglicherweise ein Leben lang, treu bleibt. Konzentrieren Sie sich nicht nur darauf, mithilfe von Kampagnen promiskuitive Wechsel- und Neukunden zu gewinnen. Kümmern Sie sich auch um Ihre Stammkundschaft. Intern formulierte Leahy einige einfache Regeln z.B.: Bediene den Kunden so, wie du selbst behandelt werden möchtest. Oder: Teile dein Wissen mit deinen Kollegen. Leahy war kein Hausmeister-CEO. Er betrachtete es als eine Ehre, das Unternehmen zu führen, in dem er 1979 als Marketing-Manager seine Laufbahn begonnen hatte.
Glaubwürdige Führungskräfte
Veränderungsprozesse sind in freien Märkten unvermeidbar, und immer mit einer Veränderung von Denkmustern und liebgewonnenen Verhaltensweisen verbunden. Das kostet Zeit, Anstrengung und die Bereitschaft zur Neuorientierung. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Führungskader. «Den Mitarbeitern muss die Notwendigkeit und Dringlichkeit von Change-Prozessen klargemacht werden, und dazu braucht es eine reflektierte Führungspersönlichkeit», betont Management-Berater Rudolf Potocnik, der u.a. an der Thalwiler ZfU International Business School einen Diplomlehrgang zum «Change Leader» leitet. Ähnlich äussert sich Gunther Kucza von der ZHAW: «Sie brauchen Brückenbauer, integre, glaubwürdige Führungspersönlichkeiten, die in der Lage sind, das Wohlwollen der Mitarbeiter zu gewinnen.» Das sei kein bewusster Prozess, sondern in starkem Masse eine Frage der Persönlichkeit, der Primär- und Sekundärsozialisierung. Je weiter von der Führungsspitze entfernt die Treiber von Veränderungsprozessen angesiedelt sind, desto höher ist das Risiko des Scheiterns, ergänzt Gartner. Im Idealfall steht der CEO oder ein Mitglied der Chefetage hinter dem strategischen Wandel, unterstreichen die Analysten (Gartner: Change-Checkliste für CIOs).
Wer taugt zum Chef?
Dabei gibt es gute oder schlechte Führungspersönlichkeiten genauso wenig, wie es gute oder schlechte Mitarbeitende gibt. Die Herausforderung muss zur Persönlichkeit passen. Ist der Top-Manager in spe ein kreativer Zerstörer, oder eher ein moderierender Prozessbegleiter? Anhaltspunkte liefert der auf den Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung zurückgehende Typenevaluationstest MBTI (Myers-Briggs Type Indicator), den man in ca. einer Stunde absolvieren kann. Der Test korreliert die Persönlichkeitsattribute Introvertiertheit und Extravertiertheit mit den Funktionen Sensorik, Intuition, Fühlen und Denken. Zwei Beispiele: Extravertiert intuitive Persönlichkeiten wollen unter hohem Einsatz etwas verbessern, nehmen aber unter Umständen zu wenig Rücksicht auf andere. Introvertiert fühlende Menschen haben ein sensibles Gespür für emotionale Beziehungen, das sie aber nicht immer artikulieren. Sie neigen ausserdem zu einem «tyrannischen», aufgeblasenen Auftreten. Als alleinige Begründung für Personalentscheide ist der Test jedoch kaum zu gebrauchen. In den USA sei das heute schon verboten, warnt Berater Potocnik. In Europa würden ähnliche Vorgaben gerade auf den Weg gebracht.