ERP-Markt Schweiz
24.12.2012, 06:00 Uhr
Was Anwender lieben, was sie hassen
Über 90 Anbieter teilen den Schweizer ERP-Markt unter sich auf. Doch wie zufrieden sind die Anwenderunternehmen mit ihren ERP-Lösungen im praktischen Einsatz?
Schweizer lieben die Vielfalt. Zwar sei die Schweiz SAP-Land, sagte Adrian Schlund, Schweizer Country Leader des SAP-Konkurrenten Oracle, in bestechender Ehrlichkeit jüngst zu Computerworld. Und sicher können die Walldorfer in der Schweiz viele der ganz dicken ERP-Budgets für sich verbuchen. Numerisch gerechnet stehen jedoch nur 10 Prozent der Schweizer Firmen auf SAPs Kundenliste. Darauf folgen die Schweizer Software-Schmiede Abacus mit 8,9 Prozent, Sage Sesam (3,9%), Microsoft Dynamics (3,1%) und Simultan (1,8%). Die restlichen 72,3 Prozent des Markts – nicht nach Umsatz, sondern numerisch kalkuliert – teilen 90 ERP-Anbieter unter sich auf.
Schweizer Stärken
Die Schweizer ERP-Szene ist stark zersplittert. Das hat seinen guten Grund: Viele Mittelständler fühlen sich von den Grossen der Branche nicht optimal betreut. Die überwiegend regional agierenden Schweizer ERP-Anbieter überzeugen dagegen durch eine hohe Branchenkompetenz, gepaart mit einer guten Kundenbetreuung etwa beim Hotline-Support und beim Accountmanagement. Den ERP-Lösungen mit dem Label «Swissmade» bescheinigen die Anwender zudem eine überdurchschnittliche Funktionalität und Flexibilität, die auf Branchenbedürfnisse eingeht. Das gefällt dem Schweizer Mittelstand. Ein wenig Licht ins unübersichtliche Dickicht des Schweizer ERP-Dschungels brachte das IT-Beratungshaus Trovarit mit seiner Anwenderbefragung «ERP in der Praxis 2012/2013». Trovarit befragte insgesamt 2500 Anwenderunternehmen, überwiegend aus der DACH-Region. Eine Warnung vorweg, bevor es in die Detailbewertung geht: Laut Trovarit werden Lösungen für grössere Unternehmen und von Generalisten insgesamt kritischer bewertet als Branchenlösungen für kleinere Firmen. Die Gründe: ERP-Produkte für kleinere Firmen sind weniger komplex und werden nah am Standard in einer einfacheren Software-Landschaft eingesetzt. Branchenanbieter punkten ausserdem durch ihr fundierteres Markt-Know-how. Sie betreuen insgesamt weniger Kunden als die Generalisten und bieten dadurch eine intensivere, individuellere Betreuung. Anwenderunternehmen sehen deshalb die Branchenspezialisten generell in einem positiveren Licht. Auch die Akzente werden unterschiedlich gesetzt: Grössere Unternehmen konzentrieren sich auf die Standardisierung ihrer Geschäftsprozesse, wozu auch die Vernetzung und Synchronisation der länder- und standortübergreifenden Prozesse gehört. Kleinere Unternehmen dagegen legen überdurchschnittlich viel Wert auf die Zufriedenheit ihrer Kunden mit der Auftragsabwicklung. Die Studienteilnehmer gaben Zufriedenheitsbewertungen zu über 50 ERP-Lösungen ab. Für 28 dieser Lösungen liegen Bewertungen von Kunden aus der Schweiz vor. Allerdings wurden nicht alle Lösungen von gleich vielen Kunden bewertet. Auf der nächsten Seite: KMU: Die Gewinner
KMU: die Gewinner
Nun zu den Detailbewertungen: Unter den für Schweizer KMU besonders relevanten ERP-Lösungen für Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern führen die Schweizer Anbieter Tosca (Bürobedarf), OpaccOne (Gross-/Filialhandel) und A+L BusinessMaker (Nahrungsmittelindustrie) die Gewinner-Hitliste der Tovarit-Studie an. Sehr gut positioniert ist auch die deutsche ERP-Schmiede Step Ahead. Jedoch finden die Schweizer Anwender auch Haare in der Suppe: Tosca und A+L glänzen im Zufriedenheitsurteil mit sehr guter Performance, schwächeln aber punkto Ergonomie. Beim Schweizer Anbieter Opacc verhält es sich genau umgekehrt: Die Anwender loben die Ergonomie, aber kritteln an der Performance der Lösung herum. Ein Feedback, das sich Opacc zu Herzen nehmen sollte, hatte Opacc-Gründer und -Chef Beat Bussmann doch erst kürzlich auf der zweijährlichen Kundenkonferenz im Luzerner Verkehrshaus ein grösseres Stück am Schweizer ERP-Kuchen angemeldet. Einer der Ecksteine in Opaccs ambitionierter Wachstumsstrategie laut Medienbericht: Mit der neuen Version 15 von OpaccOne, die ab dem 25. Januar 2013 erhältlich sein soll, müssen Kunden von der Datenbank Dataflex auf den leistungsstärkeren Microsoft SQL Server wechseln. Das sei kein Grund zur Panik, denn die alte Version 14.2 mit Dataflex als DBMS soll noch drei bis fünf Jahre lang unterstützt werden, stellte Bussmann in Aussicht. Einen viel versprechenden Eindruck machte ausserdem Opaccs neues CRM «as a Service», genannt ECRM, das ähnlich wie Salesforce CRM komplett im Standardbrowser läuft. Damit macht sich der Anbieter fit für den Megatrend Cloud Computing, der auch in der Schweiz mittlerweile Fahrt aufnimmt. Nächste Seite: Das sagen SAP-Kunden
Das sagen SAP-Kunden
Unter den ERP-Lösungen für grössere Unternehmen ab 500 Mitarbeitern führt SAP. Die Anwender loben besonders Verbesserungen im Schulungs- und Informationsangebot und eine bessere Unterstützung bei Updates und Release-Wechseln. Im Hinblick auf SAPs Eignung für den Mittelstand – in der Vergangenheit häufig unter Beschuss – bescheinigen die Studienteilnehmer dem ERP-Weltmarktführer deutliche Verbesserungen. Walldorf wird das freuen, aber Grund zu übertriebener Euphorie gibt es nicht, denn es gebe hier immer noch Luft nach oben, so das Votum der Anwender. Worin liegt der Grund für die bessere Bewertung der oft gescholtenen SAP? Laut Trovarit honorieren die Anwender die Update-Strategie der «Enhancement Packages», die das Unternehmen seit etwa zwei Jahren verfolgt. Statt seltener, grosser Release-Sprünge modernisiert Walldorf seine Software durch häufigere, aber kleinere Updates – eben den sogenannten «Enhancement Packages». Modular aufgebaute, überschaubarere Updates sind für die Kunden anscheinend leichter zu verdauen. Auch SAP treibt sein mobiles Cloud-Portfolio mit Macht voran und hat sein Sales OnDemand kürzlich mit der mobilen App Customer Insight ausgestattet, die dem Vertrieb die Arbeit mit der Cloud-Software erleichtern soll. Schlusslichter in der Kategorie «grössere Unternehmen ab 500 Mitarbeitern» sind laut Trovarit die beiden ERP-Lösungen IFS Applications und Lawson M3, sowohl in der DACH-Region als auch in der Schweiz. Computerworld hat beide Firmen um eine Stellungnahme gebeten. Geantwortet hat uns Wilfried Gschneidinger, CEO von IFS Central Europe. Laut Gschneidinger sei die Trovarit-Studie eher als Ausschnitt, als Momentaufnahme zu sehen, weil wichtige Lösungen wie Oracles E-Business Suite, Oracles ERP J.D. Edwards und Sage Bäurer fehlten. Ausserdem seien nur vier Schweizer IFS-Kunden befragt worden. Gschneidinger stellt deshalb infrage, dass die Trovarit-Studie ein zutreffendes Gesamtbild von IFS zeichnet, nimmt die Bewertung aber zum Anlass, die Aktivitäten von IFS punkto Kundenzufriedenheit kritisch zu überdenken und weiter zu verbessern. «Unabhängig von den Momentaufnahmen einzelner Studien haben wir eine grosse Anzahl sehr zufriedener Kunden, was auch dadurch belegt wird, dass wir kontinuierlich überdurchschnittlich renommierte Neukunden gewinnen», resümiert Gschneidinger in seiner Antwort an Computerworld.
Die Noten für Microsoft
Unter den Lösungen für mittelgrosse Unternehmen zwischen 100 und 499 Mitarbeitern führen im Zufriedenheitsurteil der Schweizer Studienteilnehmer die ERP-Lösungen: IN:ERP, Dynamics AX, Abas und proAlpha. Auf den beiden letzten Plätzen landen Dynamics NAV und Canias. Die beiden Microsoft-ERPs schneiden im Anwenderurteil sehr unterschiedlich ab. «Mit Dynamics AX unterstützen wir Einzelinstanz- und Two-Tier-Bereitstellungsmodelle und adressieren damit hauptsächlich mittelgrosse bis grosse Unternehmen, die national oder international tätig sind», sagte Harald Wentsch, Leiter Microsoft Business Solutions bei Microsoft Schweiz, auf Anfrage von Computerworld. Microsoft habe sein Dynamics AX mit dem Release AX2009 verbessert. Die höhere Software-Qualität verbunden mit Microsofts intensiven Bestrebungen, seine AX-Partner besser zu qualifizieren, trage jetzt spürbar Früchte, lautet das Fazit von Trovarit. Auch beim ausschliesslich über Systemhäuser/Partner vertriebenen Dynamics NAV sei die Zufriedenheit mit den betreuenden Anbietern leicht und mit der Software selbst deutlich gestiegen, urteilen die Trovarit-Experten. Trotzdem reicht es offensichtlich für Dynamics NAV in der Kategorie «mittlere Unternehmen» nur für einen Platz im unteren Mittelfeld. Es gibt also noch einiges zu tun. Nächste Seite: Fazit
Fazit: Zufriedenheit gestiegen
Im breiten Durchschnitt ist die Zufriedenheit der Anwender mit ihrer ERP-Software gestiegen. Aber die Trovarit-Studie offenbart auch Schwächen: Kunden kritisieren seit Langem die Möglichkeiten, die ERP-Systeme punkto Reporting und Formularwesen bieten. Daran hat sich über die letzten Jahre und auch aktuell kaum etwas geändert. Scharf in der Kritik steht auch die Performance der ERPs. Offenbar steigt der Ressourcenbedarf der Software – bei gleichzeitiger Zunahme des Datenvolumens – schneller als die Leistungsfähigkeit der IT-Infrastruktur. Zudem bemängeln Anwender immer noch die Bedienerfreundlichkeit der ERP-Software. 15 Prozent der Befragten nervt der Aufwand, der für Updates und Release-Wechsel betrieben werden muss. Dabei bestehen offensichtlich erhebliche Unterschiede von Software zu Software, von Anbieter zu Anbieter. Eine Herausforderung für die Zukunft sehen die Teilnehmer in der immer stärkeren Nutzung mobiler Technologien. Der Anteil der Problemfälle hat gegenüber 2010 um 50 Prozent zugelegt.
Trovarit ERP-Zufriedenheitsstudie
In der Studie «ERP-Praxis – Anwenderzufriedenheit, Nutzen & Perspektiven» befragte Trovarit von Ende März bis Anfang Juni 2012 insgesamt 2500 Anwenderunternehmen, überwiegend aus der DACH-Region. Die Studienteilnehmer gaben Bewertungen zu über 50 ERP-Lösungen ab. Für 28 dieser Lösungen liegen Bewertungen von Kunden aus der Schweiz vor. Abgefragt wurde unter anderem die Zufriedenheit mit System und Anbieter, der Nutzenbeitrag sowie generelle Erfahrungen mit Software-Einführung und -Betrieb.