Blockchain-Szene Schweiz 01.11.2018, 05:47 Uhr

«Ich bin froh, ist der Bitcoin-Hype vorbei»

Die Krypto-Währung Bitcoin verliert quasi täglich an Wert. Im «Trust Square» sollen dagegen nachhaltige Blockchain-Projekte entwickelt werden, sagt Mitgründer Daniel Gasteiger im Interview.
Trust-Square-Mitgründer Daniel Gasteiger
(Quelle: Procivis)
An der Zürcher Bahnhofstrasse steht der grösste Blockchain-Hub der Welt: Trust Square. An der no­blen Adresse vis-à-vis der Schweizerischen Nationalbank bieten vier Etagen Raum für rund 300 Arbeitsplätze. Der Mit-Gründer des Hubs, Daniel Gasteiger, spricht im Interview über die Chancen sowie Herausforderungen der Schweizer Blockchain-Szene, seine Krypto-Investments und eine neue Generation von Hochschulabsolventen.
Computerworld: Durch den Fall Envion hat die Schweizer Blockchain-Szene zuletzt negative Schlagzeilen produziert. Hat die Entwicklung einen Einfluss auf Ihre Initiative im Trust Square?
Daniel Gasteiger: Den Fall Envion kenne ich selbst nur aus den Medien. Er hat aber keinen Einfluss auf unsere Aktivitäten hier im Trust Square. Wir betonen allerdings auch die Nachhaltigkeit der Projekte und verwenden das als Kriterium, wenn wir neue Projekte aufnehmen.
CW: Hat der Fall Envion allenfalls Konsequenzen für den Standort Schweiz?
Gasteiger: Das denke ich nicht. Auch wenn zurzeit von einigen Seiten kolportiert wird, dass die Schweiz gegenüber Liechtenstein und Malta den Anschluss verliert bei der Blockchain-Entwicklung, sehe ich uns weiterhin gut auf­gestellt. Zum Beispiel wird Trust Square durch die Erweiterung auf 3000 Quadratmeter zum grössten Blockchain-Hub der Welt. Erst jüngst ist das renommierte Blockchain-Projekt Neo – die chinesische Version von Ethereum – hier eingezogen und das international erfolgreiche Crypto-Finance-Unternehmen Circle erkundet neu vom Trust Square aus das Schweizer Blockchain-Ökosystem. Wenn sich die Finanzmarktaufsicht Finma in Zukunft kooperativer zeigt und zum Beispiel die Installation eines Exchange für Krypto-Währungen erlaubt, könnten aus solchen Anfängen auch grössere Projekte werden.
Für die Hälfte der 100 zusätzlichen Arbeitsplätze, die durch die Erweiterung des Trust Square entstehen, konnten wir bereits Mieter finden. Für die anderen 50 Desks bin ich zuversichtlich, dass sie bis Ende Jahr ebenfalls belegt sind.

Aktuelle Entwicklungen in der Schweizer Blockchain-Szene

CW: Was sind aktuelle Entwicklungen in der Schweizer Blockchain-Szene?
Gasteiger: Die Blockchain-Aktivitäten werden zu einem Aushängeschild der Schweiz. Angefangen bei den Aktivitäten seit 2014 im Raum Zug und der Gründung des Crypto Valley. Bald darauf sind die ersten Banken auf das Thema aufgesprungen, zum Beispiel die UBS mit dem Engagement im Level 39 in London sowie am Hauptsitz in Zürich. Seit 2016 entstanden weitere Hotspots in der ganzen Schweiz: Im Tessin gibt es einen Cluster in Chiasso. Gleichzeitig haben sich der Kanton und die Stadt Chiasso an Zug ein Vorbild genommen und akzeptieren Krypto-Währungen für Behördendienstleistungen. In Genf gibt es den «Fusion»-Hub mit eini­gen Blockchain-Firmen, Bity ist in Neuchâtel ansässig.
Daneben bin ich Teil der Blockchain Taskforce der Bundesräte Ueli Maurer und Johann Schneider-Ammann. Hier arbeitet die Szene mit der Politik zusammen an der Zukunft des Blockchain-Standorts Schweiz. Ich zitiere gerne Bundesrat Schneider-Ammann, der die Schweiz selbst als «Crypto Nation» bezeichnete. Wobei Blockchain natürlich viel mehr umfasst als Krypto-Währungen.
An der Zürcher Bahnhofstrasse residiert der Trust Square
Quelle: Trust Square
CW: Gibt es Verbindungen zwischen dem Trust Square und der Crypto Valley Association? Sind Sie Mitglied?
Gasteiger: Nein, wir sind nicht Mitglied. Grundsätzlich sehe ich Verbände auch mit Skepsis. Solche Organisationen können zwar sinnvoll sein, aber in der grossen Zahl, in der sie mittlerweile existieren, sind sie nicht mehr zielführend.
Aber ich habe gute Freunde im Crypto Valley, etwa den Präsidenten der Bitcoin Association Switzerland, Lucas Betschart. Auch partnern wir mit den Crypto Valley Labs. Denn der Schwerpunkt der Schweizer Szene ist immer noch im Raum Zug. Und klar ist auch: Ohne Zug gäbe es die Schweizer Blockchain-Szene in der heutigen Form nicht.
CW: Die Finanzwelt sagt den Verfall des Bitcoins voraus. Sind Sie bald ein armer Mann?
Gasteiger: Nein, keineswegs. Ich besitze nicht mal einen Bitcoin. Als ich 2015 in die Selbstständigkeit gestartet bin, musste ich während eines Aufenthalts in einem Blockchain-Hub in Prag zwar Bitcoin kaufen, weil dort nur die Krypto-Währung akzeptiert wurde. Ich zahlte 270 Dollar und verbrauchte den Bitcoin dann auch recht schnell. Später habe ich weder investiert noch spekuliert mit Bitcoin, obwohl ich als früherer Devisenhändler Erfahrung mit solchen Geschäften hätte. Ich glaube an die Idee hinter Bitcoin als dezentrale Währung, sehe darin aber kein Investitionsobjekt.
Mittlerweile bin ich froh, dass der Hype um den Bitcoin vorbei ist. Es hat sich in den letzten Jahren ein Speckgürtel um die Szene herum gebildet: Ehemalige Banker, die im Banken-Business für sich keine Perspektiven mehr sahen, selbsternannte Berater für ICOs oder Technologiespezialisten ohne Erfahrung in Blockchain-Projekten. Sie alle wollten vom Hype profitieren – und haben mit dem Bitcoin spekuliert. Und nun haben sie in den letzten acht Monaten wieder viel Geld verloren – auch weil sie beispielsweise nicht wissen, wie man Fremdwährungsrisiken richtig absichert.

Von der Dotcom- zur Bitcoin-Blase?

CW: Die Kursverluste des Bitcoins werden mittlerweile mit der Dotcom-Blase verglichen. Ist es so arg?
Gasteiger: Nein, ist es nicht. Nach unseren Recherchen wurden von den Dotcom-Firmen 5 Billionen US-Dollar vernichtet. Alle Krypto-Währungen zusammen verzeichneten einen Wertverlust von «nur» 600 Milliarden Dollar.
Allerdings müssen wir heute auch konstatieren, dass insbesondere die frühen Investoren in Bitcoin und Ethereum viel verdient haben. Sie haben das Geld diversifiziert in ICOs, was dann auch nur teilweise nachhaltig war. Diejenigen Investoren, die erst Ende letzten Jahres eingestiegen sind, haben jetzt Geld verloren. «Wenn Hausfrauen und Taxifahrer über ein Investment sprechen, ist es an der Zeit, das Geld wieder abzuziehen», lautet ein Anlegersprichwort. Die hohen Kursverluste in den letzten Monaten haben diese Weisheit wieder einmal bestätigt. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass sich der Markt durchaus «normal» entwickelt.
CW: Sie haben in den letzten Jahren viel Erfahrung gesammelt. Geben Sie das Wissen weiter im Trust Square?
Gasteiger: Ich arbeite hier im Trust Square. Einerseits ist meine Firma Procivis hier einer der grössten Mieter, andererseits bin ich einer der fünf Mitgründer. Wir fünf treffen uns einmal pro Woche und debattieren über neue Projekte und bestehende Mieter. Wir haben vereinzelt auch schon Firmen wieder ausgeladen, wenn uns ihr Gebaren nicht gefallen hat. Einen Envion-Fall wollen wir hier unbedingt vermeiden, würde er doch unsere Glaubwürdigkeit zerstören.
Zur Person
Daniel Gasteiger
ist Mitgründer des Blockchain-Hubs «Trust Square», des Think Tanks nexus­squared sowie des Start-ups Procivis. Vor 2015 sammelte er über 20 Jahre Erfahrungen in der Schweizer Finanzbranche, davon allein 17,5 Jahre bei der UBS, wo er bis zum Managing Director aufstieg. Seine Karriere begann Anfang der 90er-Jahre im Währungshandel bei der Credit Suisse.

Von Schaffhausen in die Welt

CW: Ihre Firma Procivis wächst offenbar wie verrückt, wenn Sie einer der grössten Mieter sind. Wie entwickeln sich die Projekte in Schaffhausen und anderswo?
Gasteiger: Das Projekt in Schaffhausen ist sehr erfolgreich. Wir haben dort eine E-Government-Plattform aufgebaut und bereits Dutzende Services in Betrieb. In Malaysia arbeiten wir mit dem Rohingya Project zusammen, um Staatenlosen eine digitale Identität auszustellen. Und in einem Projekt mit der Berliner Humboldt-Universität entwickeln wir ein Verfahren für elektronische Abstimmungen, bei dem ebenfalls unsere digitale Identitätslösung zum Einsatz kommt. Weitere Vorhaben sind in der Pipeline, aber heute noch nicht spruchreif. Hinzu kommt unsere Eigenentwicklung für das E-Voting, an der wir gemeinsam mit der Universität Zürich intensiv programmieren. Mit den Projekten planen wir für das vierte Quartal eine Investorenrunde.
CW: Wenn Sie so stark wachsen: Müssen Sie aktiv re­krutieren oder stellen sich Kandidaten selbst vor?
Gasteiger: Beides. Das Schöne an diesem Hub ist, dass im Academic Lab auch Studenten arbeiten. Nach dem Abschluss ihrer Projekte schauen sie sich häufiger mal nach einem Job in den Nachbarbüros um. Wir beobachten die Entwicklung, dass die Studenten mittlerweile offener sind für Start-ups – und nicht alle automatisch eine Karriere in einem Grosskonzern anstreben.
Dabei sind die Talente durchaus bereit, auf das grosse Geld zu verzichten. Denn wir können keine so hohen Saläre zahlen wie beispielsweise Google. Der Verzicht spiegelt auch wider, dass die Hochschulabgänger ihren Interessen folgen – in unserem Fall Blockchain – und nicht einfach möglichst viel verdienen wollen. Diese Entwicklung stimmt mich je länger, je mehr zuversichtlich.
Zur Firma
Trust Square
Der Blockchain-Hub «Trust Square» bietet auf über 3000 Quadratmetern mehr als 300 Arbeitsplätze für Start-ups und Unternehmen. Aktuell sind 40 Projekte in den Räumen präsent. Der Standort an der Zürcher Bahnhofstrasse ist nur ein Provisorium, derzeit bis Ende 2019. Dann soll entweder der Mietvertrag nochmals verlängert oder der Blockchain-Hub gezügelt werden.



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