Hardware
20.07.2018, 08:44 Uhr

Test: HTC U12+

Touch-Tasten sind eine tolle Sache. Wenn man sie richtig einsetzt. Gelingt Schweiz-Liebling HTC damit das Comeback?
Die Rückseiten des U12+ sind ein Hingucker
(Quelle: lpd / PCtipp)
Das neue Spitzenmodell von HTC ist ein wenig wie Onlinedating: äusserlich alles perfekt, beeindruckender Lebenslauf, interessante Hobbys und viel Engagement in den richtigen Bereichen. Und beim ersten Treffen stellt sich raus: Das Date glaubt, die Erde sei flach und Politiker seien Echsenmenschen. Na toll.

Äusseres

Optisch kann man dem HTC U12+ nicht viel ankreiden. Der Glasbody mit Alurahmen sieht spektakulär aus. Nicht ganz die Eleganz eines Galaxy S9, aber eigen und auffällig. Besonders die rote Farbvariante mit ihrem schimmernden Liquid Glass sieht zum Anbeissen aus. Die Displayränder sind zwar etwas dicker als bei anderen Spitzengeräten, allerdings war HTC clever genug, mit einigen geschickt platzierten Kerben das U12+ etwas dünner wirken zu lassen.
Einziger Nachteil des Designs: Die Glasrückseite sieht schnell dreckig aus und zieht Fingerabdrücke an wie ein umgekippter Walnusstransporter die Eichhörnchen. Glas tendiert auch dazu, bei Stürzen zu zerbrechen, weshalb eine Schutzhülle beim U12+ empfehlenswert ist. Leider hat man dann auch wenig von der schönen Rückseite.
Die transparente Farbvariante ist ein kleiner Throwback in die 90er
Quelle: lpd / PCtipp
Apropos Rückseite: So schön der gläserne, gebogene Rücken des U12+ auch aussieht, auf einer nicht perfekt ebenen Oberfläche rutscht das Smartphone schneller weg als ein Rehkitz auf Glatteis.

Handhabung

Die direkte Verbindung zwischen Mensch und Maschine ist ein spannender Punkt in der technologischen Entwicklung von Smartphones. An die nicht optimalen Touch-Tastaturen haben wir uns gewöhnt, Sprachsteuerung, Gesten und andere Input-Möglichkeiten werden entwickelt, um die Bedienung des Smartphones besser und einfacher zu gestalten. Dabei ist es wichtig, dass der neue Input auch dem Nutzer einen Vorteil bringt. Oder zumindest keine Nachteile.
Letzteres ist beim HTC U12+ wohl vergessen gegangen. HTC hat im neuen Spitzengerät keine physischen Tasten mehr verbaut. Stattdessen sind der Power-Knopf und die Lautstärkeregelung nur noch metallene Ausbuchtungen aus dem Rahmen, die auf Druck reagieren. Allerdings springen diese Touch-Buttons schneller an als ein paranoides Rennpferd auf Speed. Nimmt man das Smartphone bei einer Demo in die Hand, bedient man es sehr gezielt und merkt somit nicht wirklich, wie unpräzise so ein System ist. Nach einigen Tagen Alltagsgebrauch treibt einen der Touch-Powerbutton jedoch in den Wahnsinn. Zu viele unabsichtliche Tastendrucke, zu viele nicht registrierte Drucke, zu unregelmässige Resultate.
Die Sidebuttons machen wenig Freude
Quelle: lpd / PCtipp
Ähnlich wie bei den digitalen Home-Buttons der neueren iPhones liefert das Smartphone eine leichte Vibration, um den erfolgreichen Druck zu bestätigen. Es gibt jedoch zwei grundlegende Unterschiede zwischen der Ausführung von Apple und derjenigen von HTC:
1. Das Feedback von Apple fühlt sich echt an. Drückt man den Home-Button des iPhones, denkt man wirklich, man drücke einen Knopf. Das geht so weit, dass viele iPhone-Nutzer nicht einmal merken, dass sie nicht wirklich einen physischen Knopf drücken. HTC löst dies deutlich weniger überzeugend. Drückt man auf den Power-Knopf des U12+, vibriert es irgendwo unten am Rand des Displays. Das irritiert fast so sehr wie das leise Summen eines Moskitos im Raum.
2. Der Home-Button des iPhones funktioniert zuverlässig. Das kann man von den HTC-Buttons nicht behaupten. Der Power-Button aktiviert häufig, ohne dass man es will. Auf der anderen Seite sind die Lautstärketasten schlicht zu langsam. Anders als bei physischen Tasten, benötigen die Touch-Tasten des U12+ eine kurze Zeit, um wieder aktiviert werden zu können. Will man also schnell zwei Tasten hintereinander drücken, funktioniert das meistens nicht. So hat sich auch das doppelte Drücken für die Kamera so gut wie erledigt. Immerhin geht das auch mit EdgeSense.
EdgeSense heisst eine weitere Touch-Technologie von HTC. Dabei wurden druckempfindliche Panels an der unteren Seite des Alurahmens verbaut. Durch diese können Sie das U12+ drücken, um spezifische Funktionen zu aktivieren. Verblüffend dabei: Bei EdgeSense kann die nötige Druckstärke eingestellt werden. Bei den Seitentasten nicht. Kein Wunder, funktioniert EdgeSense deutlich besser als die unzuverlässigen Seitentasten.
Drückt man das untere Drittel des U12+, passieren gute Dinge
Quelle: lpd / PCtipp
Sehr schön ist auch die neue Input-Möglichkeit des doppelten Antippens. So kann EdgeSense jetzt auf drei Arten ausgelöst werden: drücken, lange drücken und doppelt antippen. Jede der Methoden kann auf eine andere Funktion eingestellt werden, der Doppeltap sogar separat für links und rechts. So können Sie vier Smartphone-Funktionen einfach und ohne grosses Suchen aufrufen. Eine sinnvolle Innovation.

Software

Auf der Software-Seite erhält man von HTC das Übliche. Vorinstalliert ist Android 8.0 Oreo, Android P ist für das U12+ bereits bestätigt. Als Oberfläche verwendet HTC das altbekannte HTC Sense. Sense funktioniert grösstenteils einwandfrei. Allerdings könnten sowohl der Launcher als auch die HTC-eigenen Apps ein Facelift brauchen. Wirklich modern sieht das alles nicht mehr aus.
HTC Sense ist okay, aber nichts Besonderes
Quelle: Screenshot / PCtipp
Vorinstallierte Apps sind vorhanden, halten sich aber in Grenzen. Die meisten der vorinstallierten Apps sind von HTC und fast alle lassen sich komplett deinstallieren. Eine Ausnahme dazu bildet News Republic, eine News-App, die sich leider nicht entfernen lässt, sondern sich wie eine hungrige Hyäne an ihrer Beute festkrallt.
Das Interface könnte zudem ein wenig moderner sein
Quelle: Screenshot / PCtipp

Leistung, Batterie und Display

Grund für die starke Performance der Software auf dem HTC U12+ ist die solide Hardware darunter. Der Snapdragon 845 leistet ganze Arbeit. Zwar erklimmt der Chipsatz keine sinnbildlichen Höhen, von denen er auf die Konkurrenz hinunterblicken könnte, allerdings bewegt sich das U12+ auf Augenhöhe mit preislich vergleichbaren Modellen. Das heisst in der Praxis: Es läuft ruckelfrei und flott, sowohl beim Browsen als auch beim Gaming.
Leistung ohne Ausdauer bringt bei einem Smartphone jedoch wenig. Das U12+ bewegt sich hier im Mittelfeld. Der Akku hält bei einem neuen Gerät gut für einen Tag bei starker Nutzung, aber auch nicht mehr. Für durchschnittliche Nutzer sollte die Batterie problemlos bis abends halten. Bedenkt man die bulligen Masse des U12+, hätte man mehr erwarten können. Schlecht sind die Werte jedoch auf keinen Fall. Halt mehr auf dem Niveau des Reiters als auf jenem des Kamels.
RAM gibt es mit 6 GB mehr als genug und auch der Nutzspeicher sollte mit seinen 64 GB für die meisten Nutzer ausreichen. Für alle anderen gibt es einen microSD-Slot für mehr Speicher per Erweiterung.
Über das Display kann man sich kaum beklagen
Quelle: lpd / PCtipp

Display

Der grösste Batteriefresser ist beim U12+, wie bei anderen Smartphones auch, das Display. In diesem Fall handelt es sich um ein 6 Zoll grosses Super-LCD mit einer Auflösung von 2880 × 1440. Im Fachjargon nennt man das ein 18:9-Display. Findige Mathematiker merken schnell, dass auch 2:1 korrekt wäre. 18:9 lässt sich aber besser mit dem Display-Standard 16:9 vergleichen und ist daher in der Werbung beliebter.
Ebenfalls ein beliebter Messwert ist Pixel pro Zoll (PPI, pixel per inch). Das U12+ schafft es auf stolze 537 ppi und kann damit mit den Besten mithalten. Ebenfalls stark ist die Farbabdeckung, die sowohl DCI-P3 als auch sRGB vollständig abdeckt. Die Farben des Super LCD sind nicht ganz so kräftig wie einige OLED-Modelle der Konkurrenz. Das stört aber nur, wenn man zwei Geräte direkt nebeneinanderhält. Für sich allein ist das Display des U12+ absolut in Ordnung. So wie auch ein Papagei an sich ganz schön beeindruckend wirken kann, solange man ihn nicht neben einen Tukan setzt.

Kamera

Wahrscheinlich das Prunkstück des U12+ ist die Kamera. Hier kann HTC so richtig auftrumpfen. Überraschend ist das kaum, baut HTC doch schon seit Jahren gute Kameras in seine Smartphones ein. Die Kamera, oder Kameras, des U12+ liefert in praktisch jedem Bereich ansprechende Bilder. Bei Tageslicht schiesst das U12+ so detailreiche Fotos wie kaum ein anderes Smartphone.
Als Hauptmodul sind zwei sich ergänzende Kameras verbaut: Einmal eine 12-Megapixel-Weitwinkelkamera mit den grossen Ultrapixeln (1,4 Mikrometer) von HTC und einer maximalen Blendenöffnung von ƒ/1,75. Als zweite Kamera gibt es ein Tele-lastigeres Objektiv mit 16 Megapixeln (1 Mikrometer) und einer maximalen Blendenöffnung von ƒ/2,6. Beide Kameras verfügen über einen optischen Bildstabilisator und einen Kombo-Autofokus mit Phasenerkennung und Laser. Unter der Kamera ist zudem ein zweitöniger LED-Blitz verbaut. Wie alle Kamerablitze wird dieser aber weniger für gute Fotos benötigt, sondern damit man nachts nicht über seinen schlafenden Dackel stolpert.
Auch auf der Front gibt es zwei Kameras
Quelle: lpd / PCtipp
Anders als bei den meisten Konkurrenten setzt HTC auch auf der Front auf zwei Kameras. Beide lösen mit 8 Megapixeln (1,2 Mikrometer) auf und bieten eine maximale Blendenöffnung von ƒ/2. Anders als bei den Hauptkameras sind hier beide Brennweiten gleich. Die zweite Kamera wird stattdessen zur Erkennung von Tiefendaten verwendet. So können Effekte wie verschwommene Hintergründe besser dargestellt werden.
Bei der Bildqualität gibt es wie erwähnt nichts zu beanstanden. Das U12+ kann bei den meisten Lichtbedingungen ganz oben mitspielen. Lediglich bei sehr dunklen Szenen kämpft das U12+ mit Bildrauschen.
Bei Tageslicht macht das U12+ alles perfekt
Quelle: lpd / PCtipp
Details sind eine Stärke des U12+
Quelle: lpd / PCtipp
Die künstliche Tiefenunschärfe von HTC ist ausgezeichnet
Quelle: lpd / PCtipp
Nachtaufnahme bei 3300 ISO
Quelle: lpd / PCtipp
Auch im Bereich Video liefert das U12+ ansprechende Qualität. 4K bei 60 FPS sind kein Problem, wenn auch nicht mit der höchsten Bitrate.
Kamera-App und Funktionalität bewegen sich auf hohem Niveau. Die Bedienung der Kamera ist angenehm, alle wichtigen Funktionen sind vorhanden und relativ speditiv erreichbar. Panorama, Nacht-Modus, Pro-Modus, Hyperlapse und sogar ein Selfie-Panorama sind vorhanden. Auch eine Zeitlupenfunktion ist eingebaut, wenn auch nicht eine Superzeitlupe wie beispielsweise bei Sony oder Samsung.

Fazit

Stellen Sie sich vor, Sie sind als Fotograf in einem Zoo. Der Zoo an sich ist toll. Viele schöne Tiere, ausgezeichnete Anlagen, eine perfekt auf den Job abgestimmte Kamera. Aber der Auslöser Ihrer Kamera funktioniert nicht richtig. Manchmal löst er einfach so aus, manchmal gar nicht. Manchmal verstellen Sie aus Versehen Ihre Einstellungen damit. So fühlt es sich an, das HTC U12+ in den Händen zu halten. Frustrierend. Und es wäre nur halb so frustrierend, wenn das U12+ sonst ein schlechtes oder einfach mittelmässiges Smartphone wäre. Ist es aber nicht. Mit normal funktionierenden Seitentasten wäre das U12+ eines der besten Smartphones, die Sie aktuell kaufen könnten. Mit den Touch-Tasten hingegen ist das Gerät mehr eine Zumutung als eine Freude.
HTC U12+
Positiv: Design, Kamera, Audio
Negativ: Touch-Buttons, Oberfläche
Details: 6-Zoll-Display (1:2, 2880 × 1440), Snapdragon 845 (Achtkern, 2,8 GHz), 6 GB RAM, 64 GB Speicher (erweiterbar), 12 Mpx + 16 Mpx Hauptkameras (ƒ/1,75 und ƒ/2,6), 8 Mpx Frontkameras (ƒ/2), 3500 mAh Akku, USB-C 3.1, Android 8.0
Strassenpreis: Fr. 869.–
Info: htc.com



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