Die Zukunft heisst 5G
Wildwuchs bei den Standards befürchtet
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass viele Grundlagen für 5G bereits während der jahrelangen Evolution der noch aktuellen Vorgängergeneration 4G/LTE gelegt wurden. Wegen der stark verteilten Frequenzbänder wird das 5G- Zugangsnetz Radio Access Network (RAN) allerdings deutlich komplexere Strukturen als bisher aufweisen, die man so noch nicht kannte, und hohe Ansprüche an die Basisstationen und die damit verbundenen Endgeräte stellen.
Zudem sieht das RAN keinesfalls weltweit gleich aus, sondern weist je nach Kontinent, Region und Anwendungen Besonderheiten auf. Dies hat Tradition und begann bereits Ende der 90er-Jahre, als GSM-Netze in den USA auf 1900 MHz liefen, während sie in Europa auf 900 und 1800 MHz betrieben wurden. Bei UMTS ist der internationale Wildwuchs nochmals grösser und auch bei 5G scheint es so, als ob Asien eigene Wege beschreitet. Durch die weiter fortschreitende Verkleinerung von Mikrochips bei gleichzeitiger Erhöhung der Rechenleistung gelingt es aber immer besser, mehrere Frequenzbereiche oder RAN-Zugangsverfahren/Codecs etc. auf einem Chip zu integrieren. Ob und wie das bei 5G gelingen wird, muss sich noch zeigen.
Asiatische Länder gehen voran
Internationale Standards entstehen traditionell in Standardisierungsgremien. Experten aus verschiedenen Ländern versuchen hier in grosser und langwieriger Arbeit, gemeinsam eine funktionierende Lösung zu finden, was oft nicht leicht ist. Meist verfolgt eine Region (etwa Asien) mit ihren eigenen Betreibern und Lieferfirmen eine andere Strategie als andere Regionen (beispielsweise Europa oder Nordamerika). Selten sind in allen Ländern dieselben Frequenzen frei. So überrascht es nicht, dass bei 5G etwa 5 bis 6 verschiedene RANs diskutiert werden – abhängig vom Anwendungsfall, aber auch von Region und Frequenz. Die Führung unter den Gremien im Bereich Mobilfunk hat seit einigen Jahren das Gremium 3GPP (Third Generation Partnership Project, www.3gpp.org). Es vereint zurzeit sechs nationale Standardisierungsgremien aus Europa (1), USA (1), Japan (2), Korea (1) und China (1), was die asiatische Dominanz verdeutlicht. Mit der Focus Group IMT-2020, einer weiteren Standardisierungsgruppe aus der International Telecommunications Union (ITU), erfolgen zudem enge Abstimmungen über sogenannte «Proposal Submission Windows», eine Art Abstimmungsfenster, in dem die Arbeiten dieser Gremien möglichst eng synchronisiert werden.
Die Entwicklung mobiler Kommunikationsnetze mit der Möglichkeit zu Roaming, also mit grenzüberschreitender Verwendung der Endgeräte, startete bereits bei der ersten digitalen Mobilfunkgeneration 2G/GSM. Alle analogen Vorgänger werden unter 1G zusammengefasst. Die Netze waren eher national geprägt und daher proprietär. 3GPP als führendes Standardisierungsgremium hat unter diesem Gesichtspunkt während Jahrzehnten Wegweisendes geleistet – von der Öffentlichkeit blieb dies allerdings weitgehend unbemerkt
Quelle: Rüdiger Sellin
Die Arbeiten zur 5G-spezifischen Standardisierung starteten in 3GPP bereits mit dem Release 14. Dort wurde mit LTE-A Pro der letzte Feinschliff an 4G gelegt. Aber bereits mit Release 13, teils sogar in früheren Releases, wurden wichtige technische Grundlagen für 5G gelegt, so wie die Carrier Aggregation, die Grundlagen für IoT in 4G und 5G, Machine Type Communications (MTC), MIMO und «Beamforming», Indoor Positioning, was wichtig ist zur Ortung von Produktionsmitteln in der industriellen Produktion, Broadcast Messaging in einer Zelle, etwa im Katastrophenfall oder Emergency Services, was bei Unfällen respektive Notfällen äusserst wichtig ist.
Erste Rollouts und Anwendungsfälle
Es überrascht nicht, dass der asiatische Wirtschaftsraum auch bei 5G wiederum als Treiber des Mobilfunks agiert und erste kommerzielle Netze dort entstehen (Südkorea, Japan und China). 5G kommt zeitnah aber auch in den USA sowie in Europa auf (nach heutigem Stand Deutschland und Schweiz), jedoch mit jeweils anderen Szenarien. Die USA beschränken sich zunächst auf den Fixed Wireless Access (FWA), also 5G als eine Art Festnetz-Ersatz, und wollen dazu hochfrequente mmWs nutzen. Europa will hingegen auf dem 3,5-GHz-Band funken und sieht den Aufbau neuer Mobilfunkkapazitäten im Vordergrund. Weitere intensiv genutzte mobile Breitbandanwendungen sind hier die Treiber. Ultrahohe Frequenzbänder über 30 GHz sollen später (je nach nationaler Verfügbarkeit) aber auch hier durch 5G genutzt werden. Viele Anwendungsfälle in der produzierenden Industrie stehen bereits in der Erforschung oder sogar in der Erprobung (Industrie 4.0, Transportwesen). Für den asiatischen Raum wird der mmW-Einsatz früher als für Europa erwartet.
Nach Einschätzung des Ericsson Mobility Reports werden 1 Milliarde Menschen bereits 2023 5G nutzen. Diese Netze werden zunächst in dicht besiedelten Städten entstehen und Ende 2023 weltweit bereits 20 Prozent der Bevölkerung versorgen. Dies wird auch nötig sein, da sich der weltweite mobile Datenverkehr bis 2023 verachtfachen wird. Das wären ca. 110 Exabyte Daten pro Monat. Dies entspricht einem HD-Videostream, der während 5,5 Millionen Jahren läuft. Dass die entsprechenden Endgeräte bis zur breiten 5G-Einführung noch weiter schrumpfen müssen, steht ausser Frage. Noch vor zwei Jahren füllte ein solcher 5G-Prototyp einen Rollkoffer. Mittlerweile sind die Endgeräte für das neue Mobile-Zeitalter immerhin auf die Grösse eines 19 Zoll grossen Boards verkleinert. Die weltweiten Smartphone- und Chiphersteller arbeiten aber weiterhin intensiv an kompakteren und energieeffizienten 5G-Endgeräten und 5G-Chips, sodass gegen Ende des Jahres erste FWA-Endgeräte, sprich 5G-Router, und Anfang des kommenden Jahres erste Smartphones und Tablets am Markt erwartet werden.
Der Autor
Rüdiger Sellin
ist Diplom-Ingenieur (FH) und arbeitet seit 1992 als Fachjournalist SFJ/MAZ mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.