09.03.2017, 15:15 Uhr

«Ich kaufe kein Auto mehr, sondern Mobilität»

Die Amag-Gruppe stellt ihr aktuelles IoT-Projekt vor. Was ist der Business Case dahinter? Antworten liefert das Interview mit den Verantwortlichen.
* Michael Kurzidim ist freier Technik- und Wirtschaftsjournalist Die Amag-Gruppe zählt zu den führenden Autoimporteuren der Schweiz. Zum Portfolio gehören Hersteller wie VW und Seat, aber auch Luxusmarken wie Porsche und Bentley. 2016 erwirtschaftete das Unternehmen mit Hauptsitz in Zürich hierzulande einen Umsatz von rund 4,55 Milliarden Franken. Philipp Wetzel, Leiter Group Marketing & New Business, und Frank Böhmerle, Leiter Business Development Aftersales, sprachen mit Computerworld über ihr aktuelles IoT-Pilotprojekt. Computerworld: Herr Wetzel, sind die Schweizer Autonarren? Philipp Wetzel: Die meisten Schweizer sehen Mobilität eher pragmatisch. Aber auf Schweizer Strassen rollen etwa 4,5 Millionen Fahrzeuge; davon stammen 1,2 Millionen aus unserem Hause. Jährlich werden in der Schweiz rund 300 000 Neuwagen zugelassen. 95 000 davon kommen von der Amag. CW: Dann läuft doch alles gut. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine mobile IoT-Cloud-Lösung auf die Beine zu stellen? Wetzel: Der Markt verändert sich. Neue Player drängen in den Markt und wir müssen strategisch neue Wege beschreiten, um auch in Zukunft weiter erfolgreich zu sein. Künftig wird der Besitz am Auto nicht mehr so entscheidend sein. Wenn selbstfahrende Fahrzeuge auf den Markt kommen, erhält der Sharing-Gedanke eine viel grössere Bedeutung. Ich muss kein Auto mehr besitzen, sondern kann mir spezifische Mobilität kaufen. CW: Der Eigentümer eines Maseratis oder Bentleys wird Ihnen da nicht zustimmen. Autos sind immer noch Prestigeobjekte. Frank Böhmerle: Das Luxussegment braucht etwas länger, aber der Massenmarkt wird definitiv in diese Richtung gehen. Wetzel: Der urbane Raum wird vorangehen, der ländliche Raum wird folgen. Für die Amag heisst das: Wir werden möglicherweise in Zukunft weniger Autos verkaufen und müssen uns schon heute überlegen, wie wir in der Gesamtmobilität auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen können, auch um Schweizer Arbeitsplätze zu sichern. CW: Wie könnte Ihre neue Rolle aussehen? Wetzel: Das prüfen wir zurzeit intensiv. Das Fundament für alle neuen Mobilitätsszenarien ist die IT, also Daten, Sensoren, Rechnerleistung und Vernetzung. Deswegen pilotieren wir Cases, zum Beispiel mit SAP. Wir dürfen uns nicht mit Studien und theoretischen Projekten begnügen. ! KASTEN ! Nächste Seite: Konkreter Pilot mit SAP CW: Was pilotieren Sie konkret zusammen mit SAP? Böhmerle: Unternehmen mit Fuhrparks, also mit einer grossen Anzahl von Dienstwagenfahrern, führen Fahrtenbücher. Zusätzlich benötigen viele unserer Kunden ein gutes Flotten­management. Sie wollen sehen, wer wie viel Benzin verbraucht und wie die Fahrer ihre Fahrzeuge führen. Diese Daten wurden bislang zum Grossteil manuell in ein Flottenmanagementsystem eingegeben. Unsere Fahrzeuge können die Daten senden – mit Verbrauchswerten, GPS-Daten, Kilometerleistung, allem Drum und Dran. Die meisten heute auf den Schweizer Strassen rollenden Fahrzeuge verfügen noch nicht über selbstvernetzende Systeme. Unser Ansatz: Wir wollen mit den Daten, die ein spezieller Dongle im Fahrzeug sendet, und dem Flottenmanagement einen Zusatznutzen für unsere Flottenkunden schaffen. Auch die vorausschauende Wartung ist ein Thema. Das alles zu verknüpfen, liegt eigentlich auf der Hand. CW: Müssen dafür die Fahrzeuge nachgerüstet werden? Böhmerle: In den meisten Fahrzeugen ist die Sendefähigkeit noch nicht enthalten. Daher offerieren wir einen Hardware-Dongle, der in den OBD-Port (On-Board-Diagnose-Port) des Fahrzeugs passt und die Konnektivität herstellt. CW: Ihre Kunden müssen also zuerst einmal investieren. Mit welchen Vorteilen kann man rechnen? Böhmerle: Wir wissen aus Pilotprojekten in anderen Ländern, dass sich das Einsparpotenzial zwischen 5 und 10 Prozent bewegt. Sie sparen Manpower, Servicekosten und können zum Beispiel die Verfügbarkeit ihrer Flotte erhöhen. Wetzel: Schon allein die Tatsache, dass Sie etwas kontrollieren, führt dazu, dass sich die Flottenfahrer ganz anders verhalten. Wenn jemand schaut, wie ich als Fahrer das Auto behandle, wie ich beschleunige und bremse, wie kraftstoffarm ich unterwegs bin, dann fahren die Leute ökonomischer und sensibler. Es wird Hitlisten geben, wer am kraftstoffärmsten fährt, es wird vielleicht Wettbewerbe und Preise geben. Damit lässt sich innerhalb einer Firma deutlich etwas bewegen. Böhmerle: Firmen mit Lastwagenfuhrparks bieten schon lange Optimierungsprogramme an. Die Schulungen basieren pro Fahrer auf den vorher erhobenen Daten. Einsparpotenziale beim Kraftstoffverbrauch jenseits der 10 Prozent sind damit durchaus realisierbar. Bei Flotten mit 1000 oder mehr Fahrzeugen multipliziert sich der Einspareffekt natürlich.Wetzel: Dienstfahrzeuge werden meist viel gröber behandelt als das eigene Fahrzeug. Wenn aber über Sensoren nachverfolgt werden kann, wer wann was gemacht hat, dann behandeln die Fahrer ihre Fahrzeuge ganz automatisch pfleglicher. Das wird bei Flottenfahrzeugen, bei Rental Cars und bei Shared Cars der Fall sein. Heute gehen Sie einmal um das Auto herum, um es auf Schadstellen zu untersuchen. Mit unserem OBD-Dongle dagegen können Sie belegen, wer möglicherweise als Verursacher von Schäden infrage kommt. Nächste Seite: Fazit des Projekts CW: Wie ist Ihr IoT-Projekt mit SAP bislang gelaufen? Böhmerle: Gut gefallen haben uns die Entwicklungs­geschwindigkeit und die agilen Methoden, die zum Einsatz kamen. Der Startschuss fiel im September letzten Jahres, und der Abschlusstermin war der 21. Dezember. Planung und Umsetzung haben knapp vier Monate gedauert. Das Fahrtenbuch haben wir in agilen, zweiwöchigen Sprints entwickelt. Anfang Januar haben wir dann mit 180 unserer eigenen Fahrzeuge den Livepiloten gestartet. Die Feedbacks sind positiv. CW: Konnten Sie die anvisierten Einsparpotenziale von 5 bis 10 Prozent realisieren? Böhmerle: Es ist noch zu früh, dazu etwas zu sagen. In der Pilotphase liegt bei uns der Fokus zunächst darauf, Erfahrungen zu sammeln und eine Datenbasis aufzubauen. Auch der Datenschutz ist ein wichtiges Thema, dem wir uns eingehend widmen werden. Nächste Seite: Erfahrungen aus der Praxis Erfahrungen aus der Praxis: das IoT-Projekt der AmagTechnisch besteht die Lösung aus zwei Komponenten: Der Software SAP Vehicle Insights, basierend auf der SAP Cloud Platform, und einem Dongle, der das Fahrzeug drahtlos mit der Cloud verbindet. Dieser meldet Daten wie Tempo, Ort, Kraftstofffüllstand oder Kilometerstand. Die IT-Projektleiter auf Amag-Seite, Damir Cvitkovic und Ariane Schuder, haben viel aus dem Pilot gelernt. Rückblickend habe alles tipptopp geklappt, resümiert Cvitkovic. Allerdings habe es eine spürbare Zurückhaltung bei den Mitarbeitenden gegeben, was die Erfassung der Daten angeht. Faktisch werde jede Bewegung eines «verdongelten» Fahrzeugs aufgezeichnet. Das könne ein mulmiges Gefühl hervorrufen, erklärt IT-Projektleiterin Ariane Schuder. «Wir haben eine Lösung mit sehr grossem Potenzial ins Leben gerufen, die jedoch auf die Akzeptanz der Nutzer angewiesen ist», betont sie. Deshalb wurde ein «Privacy Mode» eingeführt, mit dem die Fahrer die Daten einer Fahrt für andere ausblenden können. Die Fahrer entscheiden selbst, wer was sehen darf. Auch das sei der Sinn von Pilotprojekten, unterstreichen Schuder und Cvitkovic: Bedürfnisse aufseiten der Anwender zu ermitteln und darauf einzugehen. Ausserdem geht es darum, die Massentauglichkeit der Lösung zu testen. Was mit 20 Fahrzeugen klappt, funktioniert nicht automatisch auch mit 800. Derzeit wird nur ein Teil der verfügbaren Daten ausgewertet. Es gibt noch viel Potenzial für zukünftige Anwendungen, z. B. Predictive Maintenance: Wenn jemand sein Fahrzeug oft im höheren Drehzahlbereich fährt, lassen sich Rückschlüsse auf die Lebensdauer bestimmter Verschleissteile ziehen. Die Amag führt momentan Gespräche mit Partnern, die Dienstleistungen rund um den Mobilitätsmarkt anbieten, um für ihre Kunden nützliche Pakete zu schnüren. Wartung, Kraftstoffbeschaffung, Car Wash und Servicebetriebe – es gibt viele Möglichkeiten.


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