Auf dem Weg zur Industrie 5.0
Volatile Märkte
Das Ziel der Wertstromkinematik ist dagegen eine individualisierte Produktion, die trotzdem hoch produktiv ist. Das lässt sich nur mit modularen und rekonfigurierbaren Fertigungssystemen erreichen. Die bisherige Anlagentechnik genügt dafür nicht. Man müsse sich den Boden einer auf Basis der Wertstromkinematik erstellten Anlage wie eine Art Legoplatte vorstellen, auf der sich sogenannte Nullpunktspannvorrichtungen befinden, die nicht nur genauestens eingemessen wurden, sondern über die auch Energie und Signale übertragen werden können. Auf diesen Punkten lassen sich dann standardisierte Roboterarme, die Kinematiken, anbringen, die sich selbst mit unterschiedlichen Werkzeugen wie Schweisszangen, Fräsen oder auch Messwerkzeugen ausstatten können.
Damit soll letztlich eine Flexibilität möglich sein, wie sie heute eigentlich nur 3D-Drucker bieten. Es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit: Auch beim 3D-Druck läuft im Grunde alles digital. Eine Datei aus dem Internet genügt, um auf Knopfdruck ein komplett anderes Teil herzustellen. Trotzdem sind die Möglichkeiten des 3D-Drucks im Vergleich zur echten industriellen Produktion begrenzt.
Kognitive Verbesserungen
Für die Wertstromkinematik werden keine klassischen Roboter benötigt, weil diese noch nicht flexibel genug sind. Das System lässt sich nach Angaben von Professor Fleischer eher mit der Zusammenarbeit mehrerer Menschen vergleichen. Bestimmte Aufgaben könne ein Mensch durchaus alleine erfüllen. Für andere Aufgaben oder wenn eine höhere Genauigkeit erforderlich sei, müssten dagegen mehrere Personen zusammenarbeiten. Wenn zwei Menschen zum Beispiel gemeinsam etwas Schweres heben, könne der Stärkere dem Schwächeren helfen und die Last ausgleichen. So etwas lasse sich auch mit Kinematiken verwirklichen, kündigt Fleischer an.
Durch eine Koppelung mehrerer Roboterarme können höhere Genauigkeiten oder auch einfach nur mehr Kraft erreicht werden. Die mit der Wertstromkinematik möglichen neuartigen Fertigungsanlagen sollen zudem in der Lage sein, selbstständig die verschiedenen Ausgangsteile, die benötigt werden, zu positionieren und weiterzureichen oder auch selbst ihre Werkzeuge auszutauschen.
Das alles funktioniert nur mit einer vollständig digitalisierten Prozesskette, die mit einem in CAD erstellten Produkt beginnt. Dieses wird zunächst analysiert, dann wird eine spezielle Hallenplanung umgesetzt. Dabei wird unter anderem festgelegt, welche Kinematiken an welcher Stelle stehen müssen und welche Werkzeuge und Bewegungsprogramme sie benötigen. Die Planungs- und Inbetriebnahmezeit für eine komplett neue Fertigungsanlage soll sich dank der Wertstromkinematik erheblich verkürzen lassen.
Die dafür erforderlichen Planungs-Tools gibt es noch nicht oder nur in Ansätzen. Bislang existieren lediglich Prototypen und Entwürfe. Gebe es diese erst einmal, dann könne man die «Produktion komplett auf ein höheres Niveau der Flexibilität und Wandelbarkeit heben», ist Jürgen Fleischer überzeugt. Das erfordere jedoch noch einige Schritte und es werde noch Jahre dauern, bis es so weit sei.
Autor(in)
Andreas
Fischer