Auf dem Weg zur Industrie 5.0
Neuartige Produktionsplanung
Was Adidas in puncto Flexibilisierung zumindest hierzulande noch nicht gelungen ist, will nun das Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT, erreichen. Forscher am KIT entwickeln derzeit gemeinsam mit Partnern aus der Industrie und unter Federführung von Professor Jürgen Fleischer ein neues Produktionsplanungssystem, das die hohe Produktivität und Genauigkeit von Spezialmaschinen mit der Flexibilität und Wandlungsfähigkeit von Industrierobotern kombinieren und sich zudem sehr einfach bedienen lassen soll. Es trägt den etwas sperrigen Namen «Wertstromkinematik». Ein Wertstrom umfasst alle Aktivitäten, die zur Herstellung eines bestimmten Produkts nötig sind. Kinematiken nennt man spezielle Roboterarme, die besonders flexibel eingesetzt werden können.
«Die Wertstromkinematik kann die heutige Produktionslandschaft revolutionieren», ist Jürgen Fleischer überzeugt. Er ist Leiter des WBK Instituts für Produktionstechnik, das zum KIT gehört, und Initiator des neuartigen Produktionsansatzes. Die Wertstromkinematik könne grosse Hallen überflüssig machen und zudem lange Lieferketten oder Produk-tionsausfälle aufgrund von Engpässen verhindern. Sie setzt auf flexible Roboterarme, die sich nicht nur mit geringem Aufwand anders platzieren, sondern auch umprogrammieren und leicht mit anderen Werkzeugen ausstatten lassen. Fleischer ist sich daher sicher, dass Unternehmen, die auf eine steigende Nachfrage nach grösserer Variantenvielfalt ihrer Produkte setzen, letztlich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz erhalten.
Flexibel und produktiv
Fleischer und sein Team haben sich also vorgenommen, hohe Flexibilität mit hoher Produktivität zu verbinden. «Geeignete Produktionssysteme, die sich durch hohe Flexibilität und einen hohen Automatisierungsgrad gleichermassen auszeichnen, existierten bisher nicht oder nur in Ansätzen», ergänzt Edgar Mühlbeier, der ebenfalls am WBK forscht. Mit Wertstromkinematik schliesse man diese Lücke.
“Die Wertstromkinematik kann die heutige Produktionslandschaft revolutionieren.„
Jürgen Fleischer, Leiter Institut für Produktionstechnik beim WBK
Auch die 2020 durch die Covid-19-Pandemie ausgelöste weltweite Krise hat nach Ansicht von Professor Fleischer «vor Augen geführt, wie schnell die Bänder stillstehen können, wenn Nachschub für die Produktion aus dem Ausland nicht rechtzeitig zur Verfügung» stehe. «Wären unsere flexiblen Systeme im Einsatz, könnten regionale Betriebe im näheren Umkreis einspringen und die fehlenden Teile fertigen», erläutert er. Die mit der Wertstromkinematik mögliche Reduzierung von Transportwegen sei zudem schonend für Ressourcen und Umwelt.
Bisher werden in der Industrie vor allem spezialisierte Maschinen eingesetzt, die in der Regel nur für bestimmte Produktionsverfahren und -schritte ausgelegt sind. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat beispielsweise in DIN 8580 sechs grundlegende Fertigungsverfahren festgelegt: «Urformen», «Umformen», «Trennen», «Fügen», «Beschichten» und «Stoffeigenschaften ändern». Diese Verfahren setzen vor allem metallverarbeitende Betriebe ein. Die Begriffe stehen für Prozesse, bei denen zum Beispiel aus einem noch formlosen Rohstoff ein neues Werkstück hergestellt wird.
Der Nachteil daran ist, dass in der Regel komplett neue Maschinen angeschafft werden müssen, wenn neue Prozesse benötigt werden. Universalmaschinen, die eine Vielzahl von Verfahren abdecken, gibt es bislang nicht. Dabei ist es nicht so, dass nicht schon länger versucht würde, die Flexibilität zu erhöhen. Das Potenzial moderner Fertigungssysteme ist jedoch laut Jürgen Fleischer bereits weitgehend ausgeschöpft. Selbst die etwa bei der Produktion von Verbrennungsmotoren mittlerweile eingesetzten frei programmierbaren Bearbeitungszentren seien nur begrenzt flexibel einsetzbar, da sie nur Varianten ein und desselben Produkts herstellen könnten. Keiner könne heute genau sagen, was er in vier oder fünf Jahren produzieren wird, so Professor Fleischer.
Autor(in)
Andreas
Fischer