Praxisbeispiele
05.06.2018, 05:33 Uhr
So spielen Blockchain und KI zusammen
Künstliche Intelligenz eröffnet der Blockchain-Technik ganz besondere Perspektiven. Sie macht die in der Blockchain gesicherten Daten zugänglich für den Einsatz in der Praxis.
Der Begriff Blockchain wird meist mit Bitcoin und anderen Alternativwährungen in Verbindung gebracht. Dass es für die Blockchain, die eigentlich ein dezentrales Datenregister ist, auch Einsatzbereiche ausserhalb der Kryptowährungen gibt, ist bislang wenig bekannt.
Diesen Eindruck unterstützt eine Studie von Tata Consultancy Services (TCS) und Bitkom Research, wonach sich 50 Prozent der deutschen Unternehmen noch nicht mit dem Thema Blockchain beschäftigt haben und ihm nur 7 Prozent interessiert gegenüberstehen.
Anders bei Künstlicher Intelligenz (KI). Hier zeigen sich in der gleichen Studie 35 Prozent der befragten Unternehmen aufgeschlossen. Dabei könnten gerade in der Verbindung von KI und Blockchain spannende Einsatzmöglichkeiten liegen.
Sicherer Hub für Genom-Daten
Der Blockchain-Mechanismus ist optimal geeignet für den sicheren Austausch von Daten. Diese Eigenschaft nutzt beispielsweise das deutsche Start-up Shivom. Das junge Unternehmen aus München kombiniert Blockchain und KI mit einer weiteren aufregenden Technologie, der Genomik, um einen umfassenden Daten-Hub für Genom-Daten zu schaffen. Der KI-Anteil besteht in einer Reihe von Algorithmen, die von den Daten lernen, die dauerhaft in den Daten-Hub eingespielt werden.
“„Die Innovationen auf dem KI- und Blockchain-Markt lassen darauf schließen, dass wir derzeit höchstwahrscheinlich nur an der Oberfläche der Anwendungsmöglichkeiten kratzen.“„
Jessica Groopman
Industry Analyst und Co-Founding Partner von Kaleido Insights
Auf der einen Seite können Pharma-Unternehmen und Diagnostikfirmen diese Daten für Arzneimittelforschungen nutzen, auf der anderen Verbraucher ihre eigenen Gesundheitsdaten, beispielsweise von ihren Wearables oder medizinischen Geräten, live in die Plattform einspielen. Dort werden ihre Daten dann mit den bereits vorhandenen Genom-Daten abgeglichen, um Erkrankungen aufzuspüren.
Die Blockchain-Seite des Projekts ermöglicht die komplexe Verwaltung der Datenrechte und eine granulare Kontrolle der Zugriffe auf der Basis von Smart Contracts. «Die Blockchain-Technologie eignet sich ideal, um den meisten Sicherheitsaspekten nachzugehen, darunter Patienteneinwilligung, unklare Datenhoheit, Datenintegrität oder Benutzerauthentifizierung», erläutert Axel Schumacher, CEO und Co-Founder von Shivom. «Es ist sehr schwierig, vergleichbare Eigenschaften durch andere Technologien zu erreichen.»
Training für KI-Algorithmen
Einen ähnlichen Ansatz, jedoch aus einer anderen Perspektive, verfolgt VIA Science, das Lösungen für Predictive Maintenance und den Betrieb von Anlagen vor allem auf dem Energiesektor entwickelt.
VIA Science nutzt Blockchain für das Trainieren der KI-Algorithmen, damit sie in den Daten, die von Hunderten von Übertragungsmasten und -kabeln geliefert werden, Muster finden und analysieren.
In der Praxis ergibt sich die Notwendigkeit, diese Algorithmen mit einer sehr grossen Menge an Daten zu versorgen, denn: «Wenn sie nicht genug Daten haben, werden sie keine korrekten Vorhersagen machen können», betont Colin Gounden, der CEO von VIA Science. Diese Aufgabe kann sich laut Gounden im Einzelfall als ziemlich schwierig erweisen – entweder weil viele Unternehmen nicht genug Daten haben oder sie die Daten aus Sicherheitsgründen nicht teilen wollen.
Deshalb setzt VIA Science nun auf die Blockchain-Technologie, um die KI-Algorithmen von den Datenmassen, die an unterschiedlichen Orten gespeichert sind, lernen zu lassen, ohne dass diese Daten zwischen den Orten bewegt und zusammengeführt werden müssten.
Dieser Ansatz erlaube es sogar unterschiedlichen Unternehmen, mit ihren Daten zum Training der KI-Algorithmen beizutragen, sagt Gounden. «So stellen wir sicher, dass Datenintegrität und Datensicherheit sowie Vertraulichkeit in keiner Weise beeinträchtigt werden.»
Genauere Vorhersagen
Auch das Team des US-Start-ups Neureal sieht die Blockchain als Datenquelle für seine branchenübergreifende Plattform. Sie erhöht die Vorhersagegenauigkeit vorausschauender Analysen von Live-Datenflüssen aus Sensoren, Wearables oder Smartphone-Geräten. «Das Zusammenführen all dieser Daten und die permanente Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit kann kein Mensch kontinuierlich leisten», betont Wil Bown, Chief Architect bei Neureal.
“„Durch Blockchain wollen wir den Austausch KI-geleiteter Produkte und Dienstleistungen vereinfachen.“„
Deshalb will Neureal die Kraft der Community, die über Blockchain aufgrund ihrer Beschaffenheit einfach zu erreichen ist, für die Datenanalyse und die daraus abgeleiteten Vorhersagen nutzen. Das Ergebnis ist eine verteilte KI-Architektur; das System von Neureal nutzt freie Rechenleistung der Community für die Analyse grosser Datenmengen. Dabei treten die Plattform-Teilnehmer in einen Wettbewerb um die genauesten Vorhersagen. Um die Gewinner zu belohnen, gibt das Start-up die eigene Kryptowährung Neurons heraus.
Die Blockchain spielt dabei laut Bown eine entscheidende Rolle als Koordinationsplattform zwischen den Akteuren. Zudem schafft sie dank ihrer Eigenschaften wie Transparenz und Unveränderlichkeit der Daten auch das Vertrauen in das System. «Das, wofür ein Data Scientist Monate braucht, wollen wir in wenigen Tagen zur Verfügung stellen, weil unsere Technologie einen direkten Zugang zu Live-Daten ermöglicht.»
Transparenz schaffen
Sowohl KI als auch Blockchain liefern Ergebnisse und Daten, die vom Menschen kaum nachvollziehbar sind. Die Verbindung der beiden Techniken kann aber dazu beitragen, mehr Transparenz in die Prozesse zu bringen. KI kann beispielsweise die Informationen in einer Blockchain für den Menschen «übersetzen».
Genau das macht das US-Start-up Elementus mit einer Lösung für Interessenten, die in die Blockchain-Industrie investieren wollen. «Wie bei jeder anderen Art von Investition geht es hier um das Marktverständnis», erklärt Max Galka, Co-Founder von Elementus, «um die Beobachtung der allgemeinen Trends, aber auch der Veränderungen im engeren Sinn. Dafür braucht man zuverlässige Datenquellen.» Dabei enthalte die Blockchain eigentlich bereits alle nötigen Informationen. «Sie ist eine beispiellose, genaue und zuverlässige Datenquelle», so Galka weiter. Doch die Art, wie die Informationen darin gespeichert seien, mache es nahezu unmöglich, sie überhaupt zu extrahieren, geschweige denn zu interpretieren.
Elementus arbeitet deshalb an einem Tool, das die Informationen über verschiedene Arten von Transaktionen und Operationen in den Blockchains mit Hilfe von Algorithmen der Künstlichen Intelligenz in eine «normale» Sprache übersetzt. «KI agiert hier wie ein Expertensystem, das verschiedene Methoden verwendet, um die eigentliche Bedeutung dessen zu interpretieren, was in der Blockchain vor sich geht», sagt Galka. «Es gibt mehrere Möglichkeiten, das gleiche Ergebnis zu erzielen. Allerdings erlaubt es meines Wissens keine, um das systematisch zu machen.»
Andersherum kann eine Blockchain dafür sorgen, dass die KI-basierten Entscheidungen transparenter werden. Eine der grössten Herausforderungen bei Künstlicher Intelligenz sei die mangelnde Erklärbarkeit dessen, wie genau bestimmte Ergebnisse entstanden sind, stellt Jessica Groopman fest, die als Industry Analyst beim Forschungsunternehmen Kaleido Insights tätig ist: «Auch wenn die Blockchain die Blackbox der KI-Modelle nicht entschlüsseln wird, kann sie wie ein Kassenbuch alle KI-abgeleiteten Entscheidungen sicher verwahren.»
Diese Eigenschaft der Blockchain-Technologie nutzt das US-Unternehmen CognitiveScale unter anderem für seine vertikalen Lösungen in den Bereichen Medizinindustrie, Bankwesen, Handel, Versicherung und Kapitalmarkt. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz dient in diesen Branchen beispielsweise bei der Kundenverwaltung dazu, einen hohen Grad an Individualisierung zu erreichen oder das Fachwissen der Mitarbeiter zu skalieren, um mehr Kunden effizient unterstützen zu können. Die Blockchain ermöglicht dabei einen Audit Trail und die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen und schafft so Transparenz und Vertrauen in die Prozesse. «Auf dem gesamten Weg vom Dateneingang über die Informationen und die Erkenntnisse bis hin zu den eigentlichen Geschäftsergebnissen muss man nachverfolgen können, woher die Daten kommen und wer oder was den grössten Einfluss auf diese Prozesse hat», betont Ganesh Padmanabhan, Vice President für den Bereich Marktentwicklung bei CognitiveScale: «Eine Katze von einem Hund auf dem Bild zu unterscheiden ist eine Sache, aber die Ablehnung eines medizinischen Anspruchs, die im schlimmsten Fall zum Tod des Patienten und zu einer Gerichtsklage führen kann, ist etwas ganz anderes.»
Laut Padmanabhan ermöglicht es die Blockchain, die Datenhoheit zu gewährleisten. Und sie stellt ihm zufolge auch sicher, dass die Künstliche Intelligenz richtig läuft und genau das macht, was man von ihr will.
Verteilte Transaktionen
Eine besondere Rolle spielt die Zusammenführung von KI und Blockchain bei Smart Contracts. «Das maschinelle Lernen kann auf einzelne Teile der Blockchains angewandt werden, damit die gemeinsame Infrastruktur effizienter genutzt werden kann», erklärt Jessica Groopman von Kaleido Insights.
Was das in der Praxis bedeutet, weiss das UK-Unternehmen Green Running. Über seine Peer-to-Peer-Energie-Handelsplattform Verv verkaufen Kunden, die erneuerbare Energieträger und Batteriespeicher besitzen, überschüssigen Strom ohne Zwischenhändler an ihre Nachbarn.
“„Dank Blockchain-Technologie findet der Stromhandel auf einer von Natur aus sicheren Plattform statt.“„
Der KI-basierte Heimenergie-Hub, der die Grundlage für die Verv-Handelsplattform bildet, sammelt dafür Daten über das Verbrauchsverhalten spezifiziert nach den einzelnen Geräten und erstellt anhand dieser Daten ein Nutzungsprofil pro Haus. Ausserdem berechnet das Gerät unter Berücksichtigung der aktuellen Wolkenbedeckung sowohl die Solarenergieversorgung als auch den Energiebedarf voraus.
Blockchain und KI kommen dann bei der Festlegung der optimalen Gebotsstrategie zusammen. Auf Basis der Lastprofile der Nutzer, der Prognose über den zukünftigen Energieverbrauch in Verbindung mit der Vorhersage über die produzierte Energiemenge, kann der Verv-Hub ermitteln, wie viel Energie beim nächsten Zeitfenster für Gebote geliefert werden soll. Anschliessend werden die optimalen Gebote in einem Smart Contract festgehalten und bei erfolgreicher Ausführung in eine Blockchain geschrieben. Auch die tatsächliche Stromlieferung wird durch die Kombination der beiden Technologien gesteuert.
«Dank der Blockchain-Technologie findet der Stromhandel auf einer von Natur aus sicheren Plattform statt, auf der alle Aufzeichnungen darüber, wer was besitzt, in einem dezentralisierten und verteilten Register festgehalten und laufend aktualisiert werden», freut sich Peter Davies, CEO und Gründer von Green Running. «Die KI-Algorithmen sorgen dabei dafür, dass die Nutzer immer den besten Preis bekommen.»
Marktplatz für KI
Das US-amerikanische Unternehmen SingularityNET nutzt die Blockchain-Technologie ebenfalls für Smart Contracts, allerdings nicht in erster Linie.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist SingularityNET vor allem durch den Roboter Sophia. Das eigentliche Ziel des Unternehmens ist jedoch nichts Geringeres, als einen dezentral organisierten globalen Marktplatz für Künstliche Intelligenz zu schaffen.
«Die Einführung und das Training von KI sind sehr kostenträchtig», weiss Business Strategy Lead Graham Leach. SingularityNET will das ändern und die Kosten für die Implementierung von KI-Technologie erheblich senken.
“„Die Blockchain-Technologie eignet sich ideal, um den meisten Sicherheitsaspekten nachzugehen.“„
Blockchain ist dabei fest in dem System von SingularityNET verankert. Zum einen wurde sie im Zusammenhang mit den Smart Contracts implementiert, damit einzelne KI-Instanzen untereinander beispielsweise Verträge aushandeln können. «Durch Blockchain wollen wir den Austausch KI-geleiteter Produkte und Dienstleistungen vereinfachen», so SingularityNET-Experte Leach.
Zum anderen werden Metadaten in der Blockchain gespeichert, sodass jede Interaktion zwischen den beteiligten KI-Instanzen festgehalten wird. Langfristig will SingularityNET viele verschiedene Künstliche Intelligenzen schaffen, die sich über die Blockchain miteinander zu einer grossen gemeinsamen Künstlichen Intelligenz verknüpfen lassen.
«Blockchain ist essenziell für die Entwicklung unseres Ökosystems», betont Leach. «Für uns ist es nicht nur einfach eine zusätzliche Technologie-Schicht. Wir haben unser Geschäftsmodell immer wieder umgebaut, bis es unmöglich wurde, die Blockchain-Komponente herauszunehmen und trotzdem noch ein funktionierendes System zu haben.»
Fazit & Ausblick
Die meisten Beispiele, in denen Blockchain und Künstliche Intelligenz gemeinsam zum Einsatz kommen, zeigen, dass die Verbindung dieses Dream-Teams momentan noch in der Versuchsphase ist. Schaut man sich die Eigenschaften der beiden Technologien jedoch genauer an, dann wird deutlich, dass gerade in ihrem Zusammenspiel grosses Potenzial steckt.
«Der Vorteil von Blockchain für KI liegt in der Sicherheit und Prüfbarkeit», erklärt Jessica Groopman, deren Forschungsfokus bei Kaleido Insights in den Bereichen User Experience und Datenintegrität im Zusammenhang mit IoT, KI und Blockchain liegt.
Axel Schumacher von Shivom stimmt ihr zu: «Ein klarer Audit Trail wird die Vertrauenswürdigkeit und die Qualität von Daten verbessern.» Und auch Ganesh Padmanabhan bestätigt: «Aus meiner Sicht geht es bei etwa 90 Prozent aller KI-plus-Blockchain-Projekte darum, dass Blockchain als unveränderliche Datenstruktur angewandt wird.»
Auf der anderen Seite können all die vielen Daten, die in den Blockchains sitzen, mit Hilfe von KI zergliedert und extrahiert werden, erklärt Groopman. «Das macht sie wesentlich nützlicher und eröffnet für KI neue Einsatzmöglichkeiten», pflichtet ihr Max Galka von Elementus bei.
Insbesondere im Bereich Smart Contracts hält Padmanabhan den Einsatz von KI für überaus sinnvoll: «Einen Smart Contract zu erstellen ist relativ einfach. Wenn er allerdings je nach den Ereignissen in seiner Umgebung automatisch veränderbar sein soll, dann ist das ein klarer Fall für KI.»
Den bei allen beteiligten Firmen und Forschern, Experten und Analysten spürbaren Optimismus bringt Jessica Groopman auf den Punkt: «Die Innovationen auf dem KI- und Blockchain-Markt lassen darauf schliessen, dass wir derzeit höchstwahrscheinlich nur an der Oberfläche der Anwendungsmöglichkeiten für diese beiden Technologien kratzen.»