Windows-8-Test 02.03.2012, 10:59 Uhr

Anwender an die Macht

Microsoft stellt sich dem Trend der verbraucherorientierten IT. Mit Windows 8 übernehmen die Endanwender das Kommando. Die Grenzen zwischen privat und beruflich schwinden.
Bisher durfte oftmals nur die Führungsriege entscheiden, mit welchem Gerät sie arbeitet. So verbreiteten sich iPads und iPhones schnell in der Teppichetage. Normale Angestellte sitzen weiterhin vor grauen «Kisten» oder tragen «Backsteine» als Laptops mit sich herum. Aufgrund von Sicherheitsrisiken und begrenzten IT-Ressourcen für das Verwalten unterschiedlicher Gerätetypen sind Desktops vielerorts genormt. So sind iPads unterhalb der Teppichetage dann auch die Ausnahme. Geht es nach Microsoft, wird es diese Trennung in den kommenden Jahren immer weniger geben. «Bring Your Own Device»-Szenarien werden den Arbeitsalltag von Büroangestellten verändern – wie es heute teils schon bei Geschäfts-Handys praktiziert wird. Dabei will Microsoft natürlich eine grosse Rolle spielen – in erster Linie mit Windows 8 auf beliebigen Plattformen. Für den IT-Verantwortlichen soll es in Zukunft keine Rolle mehr spielen, ob der Angestellte an einem unternehmenseigenen Rechner arbeitet oder sein privates Tablet mit ins Büro bringt. Beide Geräte müssen aus der Firmenperspektive gewisse Standards erfüllen, die Microsoft aber natürlich mit bekannten Werkzeugen wie Active Directory, Gruppenrichtlinien oder Verschlüsselung durchsetzen kann. Der Anwender muss seinem IT-Leiter allenfalls noch das Zugeständnis machen, dass er während seiner Arbeitstätigkeit gewisse Rechte abtritt oder Einschränkungen in Kauf nimmt – etwa keine Filesharing-Clients im Firmennetz betreibt. Nächste Seite: Windows vom USB-Stick Eine Option für den Anwender wird sein, sein Arbeitspensum im Büro, im Heimbüro oder unterwegs an einem privaten Computer zu erledigen. Ohne ein Ohr für Microsofts PR-Maschinerie geht das natürlich heute schon. Im Apple-Land Schweiz einigen sich die IT-Abteilung und die Anwender vermutlich auf das iPad als alternatives Arbeitsgerät. Das Tablet hat aber diverse Nachteile im beruflichen Umfeld. Einer ist die Verweigerungshaltung Apples, Herstellern von Sicherheits-Software einen genügend tiefen Einblick in den Quellcode des iOS-Systems zu gewähren. Technologien zum Schutz von System und Daten lassen sich so kaum auf dem iPad implementieren.
Das andere Extrem sind Android-Tablets. Google gibt den Hardware-Lieferanten nur einen Rahmen vor, in dem sich Hersteller frei bewegen und beispielsweise Geräte mit virtuosen Funktionskombinationen bauen können. Davon machen Produzenten wie Acer, Amazon, Asus, Lenovo, Samsung, Sony und zum Beispiel Toshiba rege Gebrauch. Der Integration in ein Unternehmensumfeld steht in erster Linie die kaum zu beherrschende Vielfalt an Geräte- und Software-Varianten entgegen. Microsoft will den Mittelweg gehen: Nicht allzu starre Vorgaben für die Geräte-Lieferanten bei gleichzeitiger Kontrolle über die Software. Trotz Portierung auf die ARM-Plattform wird Windows 8 weiter ein geschlossenes System bleiben, in das etwa Entwickler von Sicherheitslösungen gerade so viel Einblick bekommen, dass ihre Tools das Betriebssystem und die Daten adäquat absichern können.

Windows ohne eigenen PC

Neben der künftigen Auswahl bei den Formfaktoren gestattet Microsoft den Nutzern von Windows auch, ihr komplettes Betriebssystem mit Anwendungen und Daten auf ein mobiles Speichermedium auszulagern. Statt eines Tablets oder eines Notebooks bringt der Mitarbeiter zum Beispiel seinen USB-Stick mit ins Büro. Dort kann er an einem beliebigen Thin Client in seiner gewohnten Computing-Umgebung arbeiten. Die Technik nennt Microsoft «Windows to Go». Das gesicherte System wird mittels der BitLocker-Verschlüsselung geschützt. Als Host wird ein Computer vorausgesetzt, der mindestens die Hardware-Anforderungen von Windows 7 erfüllt, bestenfalls sogar die von Windows 8. Weiterer Vorteil: Nach getaner Arbeit bleiben auf dem Host keine Spuren zurück, so das Versprechen Microsofts. Nächste Seite: der Windows-Vorteil
Ein Argument, das sicher für Windows 8 spricht, ist die lange Liste kompatibler Hard- und Software. Mit diesem Pfund will Microsoft natürlich auch künftig wuchern. Den Aussagen von Windows-Chefentwickler Steven Sinofsky zufolge arbeiten alle Peripheriegeräte und Programme für Windows 7 auch mit der nächsten Betriebssystemversion. Soweit die Theorie. Im Test – auf einem Samsung-Tablet wurde Windows 8 über eine fertige Konfiguration des Vorgängers installiert – bestanden 25 Programme den Kompatibilitätstest. 4 fielen durch. Für Symantecs Norton Internet Security 2011 bot der Setup-Assistent von Windows 8 keine andere Wahl als das Entfernen von der Festplatte an. Nach Aussage von Stefan Wesche, Security-Experte bei Symantec, wird die neue Produktgeneration aber auf den kommenden Microsoft-Code getrimmt: Norton 360 Version 6 unterstützt schon Windows 8, sagt Wesche. In der Kompatibilitätsliste unter den funktionsfähigen Applikationen aufgeführt ist die Bing-Toolbar für Internet Explorer. Sie produziert allerdings erst beim Aufruf des Browsers einen Fehler. Dabei handelt es sich aber um einen Konflikt mit Version 10 des Microsoft-Browsers, der bei Windows 8 vorinstalliert ist.

Windows-Ökosystem

Ein anderes Alleinstellungsmerkmal von Windows ist die grosse Entwicklergemeinde. Sie besitzt nicht erst seit dem Schalttag, sondern schon seit September vergangenen Jahres den Programmcode von Windows 8. Bis zum voraussichtlichen Verkaufsstart des Betriebssystems im Herbst werden der neu lancierte «Windows Store» gut gefüllt und auch die bestehenden Windows-Anwendungen an das teils neue Bedienkonzept angepasst.
Zum Beispiel arbeitet Mozilla an einer Version des Firefox. Microsoft schreibt aktuell einen Apps-Programmierwettbewerb nach dem anderen aus. Am 2. April 2012 zeichnet die hiesige Niederlassung an der «Shape»-Konferenz im Swissôtel Zürich die beste Anwendung mit dem neuen «Microsoft Switzerland App Award» aus. Auch Microsoft trägt seinen Teil zur App-Vielfalt bei. Eine zentrale App im privaten wie im Unternehmensumfeld ist SkyDrive. Das Backup-Tool ist nun bei Windows 8 vorinstalliert. Ähnlich wie bei iCloud sichern Benutzer von Windows ihre Daten in der Cloud – haben dafür allerdings nicht nur 5, sondern 25 Gigabyte Kapazität frei. SkyDrive lässt sich zudem verwenden, um bei einem Gerätewechsel Systemkonfigurationen von einem Windows-8-PC auf einen zweiten zu übertragen. Apple bietet mit iCloud einen ähnlichen Service. Nächste Seite: Killer-Applikationen Nach Jahrzehnten an der Computertastatur haben manche das Schreiben mit der Hand fast verlernt. Oder aber die Handschrift war noch nie richtig chic, sodass man sich lieber an den Rechner setzt, wenn zum Beispiel eine Bewerbung zu Papier gebracht werden soll. In beiden Fällen will Windows 8 eine Alternative anbieten. Microsoft hat für die Tablet-PC-Edition von Windows XP im Jahr 2002 eine Handschrifterkennung entwickelt und diese anlässlich der nachfolgendenden Betriebssystem-Versionen immer wieder verbessert. So auch diesmal. Alternativ zur virtuellen Tastatur blendet Windows 8 auf Wunsch ein zweizeiliges Eingabefeld ein, in dem nach Belieben drauflos geschrieben werden kann. Voraussetzung ist allerdings ein Stylus, der dem Testgerät – Samsungs 700T – beilag. Es kann auch mit dem Finger geschrieben werden, diese Methode ist allerdings noch ungewohnter als das Tippen auf der Tastatur.
Windows 8 erkennt Wörter noch während des Schreibens und wird dabei natürlich von der Rechtschreibkorrektur unterstützt. Im Test waren weder mehrere Schreiber in einer Zeile noch eine unleserliche Handschrift ein Problem für den Microsoft-Algorithmus. Bei Apple und Google – den beiden grössten Wettbewerbern auf dem Tablet-Markt – sucht man eine Handschrifterkennung vergeblich. Der iPad-Konzern könnte eine solche Technologie aber in der Hinterhand haben, denn der «Newton»-PDA aus dem Jahr 1993 konnte die Handschrift des Benutzers lesen. Fünf Jahre später entschied Steve Jobs allerdings, die Fortentwicklung sowie die Produktion des PDAs einzustellen.

Kosten sparen im Netzwerk

Für den Unternehmenseinsatz lukrativ können zwei von Windows 7 geerbte Funktionen sein: BranchCacheund DirectAccess. Erstere verkürzt die Zeit für das Herunterladen von Daten von einem Server in der Firmenzentrale für die Benutzer in Zweigstellen. Letztere erspart den Aufbau und Betrieb eines meist teuren VPN. In Windows 8 neu ist dagegen ein Netzwerkmanagement-Tool für Mobilfunk und WiFi. Die Anwendung lässt sich so konfigurieren, dass der Windows-Client immer die kostengünstigste Variante für den mobilen Internetzugriff auswählt. Beispielsweise lassen sich die oftmals preiswerteren WiFi-Hotspots als bevorzugte Zugangsvariante voreinstellen. Nächste Seite: Quasi-Monopol Im Jahresendquartal hat Microsoft 75 Millionen Lizenzen von Windows 7 verkauft. Apple brachte im gleichen Zeitraum 15 Millionen iPads an die Weihnachtsfrau und den Weihnachtsmann, Google aktivierte geschätzt 0,6 Millionen Android-Tablets in den drei Monaten. Auf den ersten Blick beruhigende Zahlen für Microsoft. Allerdings ist die Windows-Sparte das Sorgenkind des weltgrössten Software-Konzerns, während die Tablet-Sparten von Apple und Google die Musterknaben sind. Die iPad-Verkäufe legten im Jahresvergleich um 111 Prozent zu, der Windows-Bereich verzeichnet ein Minus von 6 Prozent.
Die Schweiz gilt als der Markt mit einer der weltweit grössten Verbreitung von Apple-Produkten. Insbesondere hierzulande wagt sich Microsoft also mit Windows 8 auf besetztes Terrain. Die «Consumer Preview» getaufte Beta des kommenden Betriebssystems demonstriert mit durchdachten Funktionserweiterungen und einer eigenen Interpretation der Tablet-Bedienoberfläche aber, dass Microsoft verstanden hat: Die «Consumerization» der IT ist Realität – Trends setzt nicht mehr die Unternehmens-IT, sondern der Endkunde.

Preis als letzte Chance

Im Kampf um Marktanteile kann ein neuer Wettbewerber nur erfolgreich sein, wenn er Alleinstellungsmerkmale bietet. Die freie Wahl der Oberflächen, Integration von «alten» Windows-Programmen und «neuen» Metro-Apps und auch die Handschrifterkennung sind drei Pfunde, mit denen Windows 8 wuchern kann. Nun muss es nur noch den Weg in die Läden finden. Angesichts der Stabilität der «Consumer Preview» ist der Weg womöglich nicht mehr so lang. Allgemein wird mit dem Verkaufsstart im Herbst gerechnet. Unterdessen sind aus den Häusern Fujitsu, HP, Lenovo und zum Beispiel ViewSonic Signale zu empfangen, dass an Windows-Tablets gearbeitet werde. Zwar sind von den Herstellern keine echten Preisbrecher zu erwarten, aber attraktive Produkte dürfen auch einen Franken mehr kosten. Sollte die Überzeugungsarbeit bei den Tablet-Interessenten scheitern, bleibt Microsoft noch die Preisschraube – das Windows-8-Tablet zum Schnäppchenpreis. In diesem Fall würde aber die Börse über ein einstelliges Umsatzminus der Betriebssystemsparte vermutlich sogar jubilieren.



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