Jim Goodnight im Computerworld-Interview 12.06.2018, 07:31 Uhr

SAS-CEO: «Computer lernen nicht»

Seit über 40 Jahren führt Jim Goodnight den Software-Konzern SAS. Im Interview äussert er sich zu den Grenzen von KI und die Herausforderung, Analytik an jeden Arbeitsplatz zu bringen.
Der SAS-Mitgründer Jim Goodnight hat in 40 Jahren zahlreiche Technik-Trends kommen und gehen sehen
(Quelle: Mark Schröder / NMGZ)
Mit der Digitalisierung der Wirtschaft wächst die Bedeutung von Analytik für das Geschäft. Die Daten gelten gemeinhin als das neue Rohöl, das mithilfe von Statistikanwendungen veredelt und für das Business verwertbar werden kann. Damit könnten für den Software-Hersteller SAS viele weitere erfolgreiche Jahre anstehen.
Allerdings muss es das Unternehmen zuerst noch schaffen, seine Speziallösungen für die breite Masse der Anwender in den Firmen brauchbar zu machen. Dabei sieht CEO und Mitgründer Jim Goodnight sich und seine Entwicklerkollegen auf einem guten Weg. Wie er SAS für die Zukunft positioniert und wie er die Konkurrenz einschätzt, erklärt Jim Goodnight im Interview mit Computerworld.
Computerworld: Wer sind die grossen Anbieter von Analytiklösungen in drei bis fünf Jahren? Ist SAS dann noch im Geschäft?
Jim Goodnight: [lacht] Ich denke schon! Was könnte ich anderes sagen? Zumindest die Vorzeichen dafür sind gut: SAS wächst weiterhin solide, unsere Anlässe wie das Global Forum [im April in Denver] und die lokalen Events wie das Schweizer SAS Forum [Ende Mai in Zürich] sind regelmässig ausgebucht. Das signalisiert mir, dass die Kunden ein grosses Interesse an unseren Lösungen haben.
Zudem sind wir durch unsere Investitionen in künst­liche Intelligenz, Machine Learning und neuronale Netze gut aufgestellt, um auch in Zukunft dem Markt voraus zu sein.
CW: Wer ist der grösste Wettbewerber von SAS? Ist es Google, IBM oder Microsoft?
Goodnight: Google macht viele Schlagzeilen mit seinen Anwendungen zur künstlichen Intelligenz. Sie haben den grossen Vorteil, dass sie unglaublich viele Daten nutzen können, um die Systeme zu trainieren. Das kommt ihnen beispielsweise bei Spracherkennung und akustischer Textausgabe zugute. Diese Anwendungen sind hervorragend! Auch ich nehme gerne mein Smartphone in die Hand, um Google mit Fragen zu löchern. In 99 Prozent der Fälle versteht mich die Software und liefert die korrekte Antwort.
Die Stärke unserer Lösungen liegt bei der Übersetzung von Sprache zu Text. Damit erleichtern wir zum Beispiel den Agenten in Callcentern die Arbeit. Nach einem Training der fachspezifischen Fragestellungen findet die Software auto­matisch passende Antworten, die der Agent anschliessend nur noch freigeben muss.
Zur Person
Jim Goodnight
gründete 1976 gemeinsam mit Anthony Barr, Jane Helwig und John Sall die Firma SAS. Seit dem ersten Tag, dem 1. Juli 1976, amtet er als CEO.
Goodnight hat Statistik an der North Carolina State University studiert und in dem Fach auch promoviert.

Open Source und SAS

CW: Wo steht Open Source im Wettbewerb zu SAS?
Goodnight: Open Source ist vermutlich unser grösster Wettbewerber. Häufig wird mit Open-Source-Technologie experimentiert, um analytische Fragestellungen zu beantworten. Kaum weniger häufig kommen die Anwender anschlies­send auf SAS zu, weil sie eine Komplettlösung für ihr Prob­lem wünschen. Denn der Open-Source-Markt im Bereich Analytik und Statistik ist sehr stark fragmentiert.
CW: Wie offen ist SAS für Open Source?
Goodnight: Auf der Viya-Plattform machen wir unsere statistischen Routinen sowie unsere Algorithmen für künst­liche Intelligenz und Machine Learning in einer Hoch­leistungsumgebung verfügbar. Durch das Massively Parallel Processing können die Daten extrem schnell verarbeitet werden. Diese Umgebung kann in diverse Programmiersprachen und Tools eingebunden werden. Wer Python-Routinen für das Machine Learning verwendet, kann Viya-Algorithmen die Arbeit machen lassen und mit dem fertigen Modell anschliessend in die Produktion gehen.
“Open Source ist vermutlich unser grösster Wettbewerber„
Jim Goodnight, SAS
CW: Die künstliche Intelligenz soll in Zukunft in allen SAS-Anwendungen dem Nutzer helfen, bessere und schnellere Ergebnisse zu finden. Sind dafür wirklich alle Ihre Programme geeignet?
Goodnight: Ich denke schon. Ein Ziel ist, die Bedienerfreundlichkeit zu erhöhen. Die Anwender sollen die Software nur mit den unbedingt notwendigen Details füttern müssen. Wenn die Maschine verstanden hat, um welche Fragestellung es geht, soll sie allenfalls die zusätzlichen Fakten selbst ermitteln und dann das Resultat liefern. Denkbar ist ausserdem, dass die Software anhand der vorhandenen Variablen selbstständig Empfehlungen für eine Auswertung liefern kann.
CW: Der Fachkräftemangel, insbesondere im Bereich Analytics, ist eine Herausforderung. Benötigen wir weniger Data Scientists, wenn die künstliche Intelligenz den Anwendern hilft?
Goodnight: Für Lösungen wie Visual Analytics und Visual Statistics benötigen die Kunden nicht mehr zwingend einen Data Scientist, um analytische Fragestellungen zu beantworten. Auch versierte Fachanwender können mit den Anwendungen komplexe Probleme lösen. Allerdings ist es natürlich immer sinnvoll, noch einen Fachmann bei­ziehen zu können. Deshalb werden die Data Scientists und Statistiker auch in Zukunft ihre Berechtigung behalten.

Die Grenzen der KI

CW: Welche Grenzen sehen Sie für künstliche Intelligenz und Machine Learning?
Goodnight: Maschinen «lernen» streng genommen natürlich nicht. Denn sie können gar nicht «lernen». Beim Machine Learning wird vielmehr immer nur ein Modell trainiert. Mit jedem neuen Datensatz, den die Maschine zu verarbeiten hat, wird dann idealerweise das Modell immer besser. Wenn schliesslich das bestmögliche Ergebnis erzielt ist, dann ist das Modell optimal. Das hat allerdings wenig mit echtem Lernen zu tun.
CW: SAS folgt IBM mit einem Spartenangebot für Analytics in der Medizin. Handelt es sich um eine Koope­ration oder ist es Ihre eigene Lösung?
Goodnight: Health Analytics ist unsere eigene Lösung. IBMs Watson war zunächst einmal eine Suchmaschine. Sie wurde mit allen relevanten Informationen beispielsweise zu Krebs gefüttert. Wenn dann nach einem spezifischen Krebssymptom gesucht wurde, lieferte die Maschine alle Antworten aus dem Pool, gepaart mit einem Relevanz-Score. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Technologie nicht besser war als ein Dutzend Mediziner. Nur kosten die Ärzte nicht 60 Millionen US-Dollar pro Jahr nur für die Wartung.
CW: Welchen Ansatz verfolgt SAS bei medizinischen Anwendungen? Offenbar nicht den der Suchmaschine …
Goodnight: [lacht] Nein, keine Suchmaschine. Wir trainieren neuronale Netze zum Beispiel mit Computertomografie-Scans von Krebspatienten. Die Maschine soll anhand der Bilder und dem Urteil der erfahrenen Ärzte lernen, Krebszellen in einem frühen Stadium zu erkennen. Oder wir lassen den Computer ermitteln, ob eine Chemotherapie das Wachstum der Krebszellen hemmt oder nicht. Bei diesen Bildvergleichen ist die Maschine weit besser als der Mensch, sodass die Software dem Mediziner bei der Diagnose helfen kann.
Zur Firma
SAS Institute
wurde 1976 gegründet. Die Geschäftsgrundlage war das Statistical Analysis System (SAS), mit dem acht US-Universitäten landwirtschaftliche Datensätze auswerteten.
Heute hat das Privatunternehmen über 14'000 Mitarbeiter sowie gut 83'000 Kunden in 149 Ländern.

SAS und die Cloud

CW: SAS ist eines der wenigen Grossunternehmen in Privathand. Wie konnten Sie Investoren und Übernahmeangebote fernhalten?
Goodnight: Wir wollten schlicht nie verkaufen oder an die Börse. Vielmehr lag unser grösster Fokus immer auf der Entwicklung und Forschung. Hier investieren wir noch heute rund 25 Prozent unseres Umsatzes. Diese Eigenart und die starke Einbindung der Kunden in die Entwicklung macht SAS zu einem speziellen Unternehmen.
“Wir wollten SAS schlicht nie verkaufen oder mit der Firma an die Börse„
Jim Goodnight, SAS
CW: Eine andere Besonderheit von SAS ist der grosse Anteil lokaler Installationen. Ist der Betrieb im eigenen Rechenzentrum ein Auslaufmodell?
Goodnight: Wir wollen den Kunden die Wahl überlassen. Einige Unternehmen haben bereits den Entscheid getroffen, ihre Infrastruktur in die Amazon-Cloud auszulagern. Auch dort können sie unsere Algorithmen einsetzen. Wenn der Kunde am nächsten Tag in die Google-Cloud wechseln möchte, können wir ihn ebenfalls bedienen.
Aktuell investieren wir viel Arbeit und Geld in Container-Technologie, um den Kunden auch in der Zukunft die Wahl zu lassen zwischen Cloud und On-Premises.
CW: Wäre es Ihr Wunsch, dass bestenfalls sämtliche Kunden ihre Systeme in die Cloud migrieren?
Goodnight: Alle Software-Unternehmungen wünschen sich, dass alle Kunden exakt die gleiche Systemumgebung verwenden. Denn dann müssten sie nur eine einzige und nicht Hunderte verschiedene Versionen unterstützen. Zum Beispiel setzen einige unserer Kunden Red Hat ein, andere bevorzugen Varianten wie Fedora oder Mandriva. Wieder andere nutzen Cloudera, die anderen Hadoop. SAS lässt sich überall einsetzen, auch wenn der Aufwand natürlich grös­ser ist als für eine einzige Umgebung.
CW: Das Internet of Things gilt als grosses Wachstumsfeld. Welche Herausforderung sehen Sie für Analytics?
Goodnight: Die riesigen Datenmengen, die durch die Anwendungen des Internet of Things entstehen, werden definitiv zu einer Herausforderung. Hinzu kommt die Geschwindigkeit, mit der die Datenmassen verarbeitet werden müssen. Wir haben Anwendungen gesehen, bei denen bis zu 400'000 Signale pro Sekunde analysiert werden müssen. Hier ist es sinnvoll, ein statistisches Modell zu ent­wickeln, das direkt auf den Geräten arbeiten kann, anstatt die Daten erst zu übermitteln. Wenn es zum Beispiel um den Entscheid geht, ob eine Windkraftanlage intakt ist, können in der Anlage zuerst die Messwerte analysiert werden, bevor die Maschine sich abschaltet oder Alarm schlägt.



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