«Unsere Plattform ist ein Schweizer Sackmesser»

Defizite der «alten» Welt

CW: Die Wirtschaft global und auch in der Schweiz ist verunsichert wegen des Konflikts in der Ukraine. Beteiligt sich ServiceNow an den Sanktionen gegen Russland?
McDermott: Mein Herz bricht beim Gedanken an die Menschen in der Ukraine! Russland führt einen brutalen Krieg gegen einen souveränen Staat, der durch nichts zu entschuldigen ist.
Ich persönlich habe sehr gute Freunde in der Ukraine. Einer von ihnen ist Wladimir Klitschko, ein anderer sein Bruder Vitali, der Bürgermeister von Kiew. Beiden und allen ihren Mitstreitern helfen wir als Unternehmen soweit wir können. Dabei unterscheiden wir uns nicht von allen anderen Firmen, die eine beeindruckende Solidarität mit den Menschen in der Ukraine beweisen – auch mit den Sanktionen gegen Russland.
Aber um Ihre Frage zu beantworten: Wir machen keine Geschäfte mit russischen Firmen und sind auch in Russland nicht aktiv. Entsprechend sind wir auch nicht von Sanktionen betroffen. Aber wir haben auch keine Kunden in der Ukraine, weil wir die Expansion in diese Länder bisher nicht geschafft haben.
CW: Welchen Einfluss hat der Krieg in Osteuropa auf das globale Geschäft?
McDermott: Meine Beobachtung ist, dass sich die mittlerweile agileren Lieferketten der Kunden in der neuen Krisensituation bewähren. Die Unternehmen verlegen sich auf nationale oder sogar regionale Anbieter. Wenn global gesourct wird, erfolgen Umstellungen mittlerweile fast in Echtzeit. Die Energieversorgung ist ein gutes Beispiel, bei der Europa sich sehr schnell von Russland gelöst hat und nun Alternativen etabliert. Einer unserer Kunden, ein grosser Automobilhersteller, hat seine 4000 Zulieferer innerhalb eines Monats umgestellt. Dabei hat ihm unsere Plattform sehr gute Dienste geleistet. Die Geschwindigkeit, mit der Veränderungen umgesetzt werden können, ist zu einem echten Wettbewerbsfaktor geworden.
Ein guter Beleg dafür ist der Fakt, dass 1996 die Lebensdauer einer Firma noch 30 Jahre betrug. 2022 überleben Firmen durchschnittlich 16 bis 19 Jahre. Mit dieser verkürzten Lebenserwartung gehen weitere Veränderungen einher. Wie viele der 30 wertvollsten Unternehmen der Welt sind heute noch so wertvoll wie vor 30 Jahren? Die Antwort lautet: keine. Und vor 30 Jahren stammten vier der fünf wertvollsten Firmen aus Japan. Heute ist keine einzige japanische Firma mehr in den Top 5. Daraus lernen wir: Kein Unternehmen kann sich der digitalen Transformation entziehen. Wer es versucht, wird verlieren. Europa agiert hier noch erstaunlich zögerlich.
CW: Bemerkenswert, dass gerade Europa bei der Transformation hinterherhinkt.
McDermott: Ja, das ist tatsächlich bemerkenswert. Insbesondere in so innovativen Ländern wie der Schweiz oder Deutschland. In Gesprächen mit den Führungskräften in Europa höre ich immer wieder die Aussage, dass sie zwar von ihren IT-Abteilungen das Signal erhalten, sie könnten die digitale Transformation schaffen. Aber im Business werde noch zu sehr an den traditionellen Praktiken festgehalten. Hier kann ServiceNow eine Hilfe sein, um die ­digitale Transformation heraus aus der IT in die Fach­bereiche zu übertragen.
Zur Person und Firma
Bill McDermott wurde im November 2019 zum CEO von ServiceNow berufen. Erst kurz zuvor hatte er den Vorstands­vorsitz bei SAP abgegeben, den er seit Anfang 2010 ­innehatte. McDermott war 2002 bei dem deutschen Software-Konzern eingetreten. Zu den weiteren Stationen des 60-Jährigen zählen Führungsposten bei Xerox, Gartner und Siebel Systems. Er studierte Betriebswirtschaftslehre und hält einen MBA der Kellogg School of Management der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois.
ServiceNow wurde 2003 von Fred Luddy in San Diego als Glidesoft gegründet. Eine erfolgreiche Finanzierungsrunde und drei Jahre später benannte Luddy das Unternehmen um in ServiceNow. 2011 wurde die Niederlassung in der Schweiz gegründet. 2012 folgte der Börsengang. Die fast 11 200 Angestellten, davon ein Drittel in der Software-Entwicklung, beliefern weltweit mehr als 6200 Kunden. www.servicenow.com



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