Die neue Angst vor dem Blocksatz

DTP und DDE

Das Fazit zum Computerworld-Test lautete: «Mit Word für Windows hat man ein eigentliches Desktop-Publishing-System, das mit allen Segnungen der modernen Textverarbeitung ausgerüstet ist.» Die Funktionsvielfalt bringe jedoch auch mit sich, dass der Lernaufwand sehr gross sei, bis sich mit dem Produkt «vernünftige Resultate» erzielen lassen. Wer das Programm beherrsche, könne sich die Kosten für ein DTP-Programm getrost sparen.
Mehr noch: Im Zusammenspiel mit der Tabellenkalkulation Excel eigne sich Word auch als Reporting-Tool für die Geschäftssteuerung, so die Redaktorin. Hier schrieb sie der Textverarbeitung allerdings eine Funktion zu viel zu, denn der «Dynamic Data Exchange» (DDE, deutsch: dynamischer Datenaustausch) war ein Feature des Betriebssystems Windows 2.0. Es erlaubte Verknüpfungen zwischen (Word-)Dokumenten und (Excel-)Tabellen. Genau so konnten aber auch Daten in anderen Windows-Programmen verknüpft werden. Schorta erkannte das grosse Potenzial, das hier für die Betriebe schlummerte: Bestes Beispiel sei der monatliche Bericht des Filialleiters an den Hauptsitz. Der Bericht werde einmal getippt und mit Verbindungen zu den Arbeitsblättern der Tabellenkalkulation versehen. Verändere der Filialleiter im nächsten Monat die Umsatzzahlen in der Excel-Tabelle, würden die Werte im Bericht an den Hauptsitz automatisch mitverändert. Der Report müsse dann nur noch ausgedruckt und verschickt werden. Schöne neue Computerarbeitswelt.

Standard im modernen Büro

Der Testbericht zu Word könnte heute gleichlautend nochmals gedruckt werden. Dann würden einige Funktionen fehlen, ist das Programm doch in den vergangenen 30 Jahren noch viel mächtiger geworden. Und es hat seinen Platz ganz oben in den Verkaufslisten gefunden, ob nun aufgrund der Qualität, des Preises oder aus reiner Gewöhnung.
Microsoft hat es Anfang der 1990er verstanden, auf der Basis von Windows ein Büro-Ökosystem zu etablieren, in dem wir heute noch arbeiten (können). Damals war der Gates-Konzern noch einer von vielen Office-Anbietern, setzte mit Excel, Word & Co. allerdings schon früh den Standard. Die früheren Mitstreiter verpassten aus dem einen Grund (zuerst keine Windows-Version), dem anderen (fehlende Kompatibilität) oder dem dritten Grund (geringe Benutzerakzeptanz) den Anschluss, auch wenn sie funktional teilweise überlegen waren.
«Ways»
Paul liebt Silofutter
So gross der Funktionsumfang von Word schon 1991 gewesen sein mag: Wie fast allen anderen Textverarbeitungen auch fehlte eine Rechtschreibprüfung. Als eines der wenigen Programme brachte das Schweizer «Witchpen» auch diese Funktion mit. Der grosse kommerzielle Erfolg blieb jedoch aus. Das sollte sich 1991 ändern.
Zusammen mit der deutschen Firma eurologic innovative Software hatte der Entwickler und Informatikpionier Hannes Keller die Rechtschreibung in ein eigenes Programm ausgelagert. «Ways for Windows» liess sich in DOS- und Windows-Textverarbeitungen integrieren. Die Lösung war derart beeindruckend, dass Theo Lieven, Mitbegründer und Mitgeschäftsführer des deutschen PC-Discounters Vobis mit Keller einen Kaufvertrag abschloss: Ab Juli 1991 wurde «Ways for Windows» auf sämtlichen Highscreen-Computern von Vobis – damals rechnete man mit 250'000 verkauften Rechnern pro Jahr – vorinstalliert. Letztendlich sollten von «Ways» mehr als 3 Millionen Exemplare verkauft werden.
Im Kurztest von Computerworld wusste «Ways» zunächst jedoch nicht zu überzeugen: Bei der Eingabe von «Paul leibt Silvia» verbesserte das Programm zwar automatisch «liebt», bei «Silvia» schlug es aber unbegreiflicherweise «Silofutter» vor. Manche Fehler bemerkte das Programm überhaupt nicht – die Wörter mussten erst ins 250'000 Begriffe umfassende Wörterbuch eingetragen werden. Ausserdem wurde «muss» automatisch zu «muß» korrigiert – was hätte verhindert werden können, wenn das schweizerdeutsche Wörterbuch verwendet worden wäre, wie Computerworld eingestehen musste.



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