Business-Satire 14.10.2021, 06:21 Uhr

Déjà-vu aus der Teppichetage

Über Schulterklopfen und Schockpausen, Sparwut und Ideenkompetenz – und den unerschütterlichen Glauben an die Zukunft eines Unternehmens und an seine Führungsmannschaft.
Keinesfalls satirischer Natur war in Tokio der Auftritt der Schweizer Frauen-Staffel über 4 × 100 Meter. Riccarda Dietsche, Salomé Kora, Ajla Del Ponte und Mujinga Kambundji (v. l.) erreichten den Final, hatten da aber ein Déjà-vu-Erlebnis der unschönen Art: Nach der WM 2019 in Doha und der EM 2018 in Berlin landeten sie in Tokio erneut auf dem undankbaren 4. Rang
(Quelle: Keystone/Peter Klaunzer)
Der Firmenchef hat zur Sitzung geladen. Es sei eine ausserordentliche, flüstert man sich zu, und die Fantasien dazu machen auf dem Büroflur die Runde. Ja, das ist so eine Sache mit der internen Kommunikation: Im Leitsatz steht wunderbar «wir kommunizieren zeitnah, offen, transparent, konstruktiv». In der Umsetzung heisst das dann:
  • zeitnah = in diesem Leben
  • offen und transparent = man versteckt nicht, dass man etwas zu verstecken hat
  • konstruktiv = nichts, was Chefsache ist, geht sonst jemanden etwas an
Allerdings gibt der persönliche Algorithmus in Hannes’ Kopf zu bedenken: «Wenn die Vorzeichen so stehen wie gerade jetzt, dann handelt es sich in der Regel nie um besonders frohe Botschaften, die der Chef im Geschäftsleitungsgremium zu verkünden hat.» So weit, so gut. Als Leiter der Produktion macht sich Hannes auf den Weg ins frisch renovierte Sitzungszimmer. Auch wenn dringende Investitionen im Bereich Digitalisierung der Produktionsanlagen aus finanziellen Gründen verschoben wurden – im Sitzungszimmer des Chefs wird gezeigt, dass Geldengpässe nur vorübergehend sein können. Man glaubt an die grossen Big Points und hat das Refugium entsprechend ausstaffiert: Nappalederstühle, Holztisch aus Vavona-Maser mit hochglanz­lackiertem Furnierblatt eines besonderen Padouk-Stammes. Die Form nicht einfach angelehnt an die ovale Ikea-Tischplatte «Olivia», sondern als stilisiertes Firmenlogo. Teppich aus Kirman-Fasern, Smartboard der aktuellsten Generation – das kann zwar niemand bedienen, beschreibt aber den unerschütterlichen Glauben an die Zukunft.
Die Sitzung startet. Es geht los. Zuerst das übliche Ritual: Jedes Mitglied des besagten Gremiums rapportiert fein säuberlich seine grossen Taten. Man trifft sich ja auch, um über operative Geschäfte der letzten Woche zu elaborieren. Das alles gleicht immer mehr einer Werbeveranstaltung nach dem Schema «mein Haus, mein Boot, mein Auto» und «meins ist noch grösser».

Die Lage ist ernst

Jeder weiss, dass es unter dieser Oberfläche auch etwas anderes gibt. Doch Hannes hat sich ebenfalls an diesen neuen Duktus des Debatten-Stils gewöhnt, der da verkündet «auf-die-Schulter-klopfen-and-we-are-the-best». Er hält sich natürlich geflissentlich daran. Davon abfallen würde auffallen bedeuten. Und das ist im Moment gerade nicht so gut. Abgesehen davon hat Hannes clever berücksichtigt, dass der neue CEO – er ist jung, dynamisch, spricht nur englisch (obwohl er aus Berlin kommt) – auch nichts anderes hören will. Und wenn doch, quatscht er einen zu, bis man klein beigibt mit einem «I do my very best, dass es besser wird – we are the joke».
Durch den leicht finsteren Gesichtsausdruck des Chefs und den eintreffenden Controller wird allen Anwesenden schnell klar: Heute werden hier keine Geschenke verteilt. Der Chef kommt direkt auf den Punkt, beamt mithilfe des herbeigeeilten IT-Supporters die aktuellen PowerPoint-Slides über den Geschäftsgang auf den 80-Zoll-Bildschirm. Die Kurven kennen allesamt nur eine Richtung: abwärts. Cashflow, Ertrag, Umsatz, EBIT. «Immerhin siehts ziemlich parallel aus», denkt sich Hannes. Nach der berühmten Denk- und Schockpause geht es in die Diskussion der Stellungnahmen. Jeder wird einzeln aufgerufen, seine Meinung zur Ursache klar mündlich zu offenbaren und gleich passende Massnahmen vorzuschlagen.

Das alte Spiel

«Wir haben extrem Mühe, die Produkte zu verkaufen, solange wir nichts Aktuelles in der Palette haben, da muss die Produktion zwingend nachliefern.» Das Statement der Verkaufsleitung ist eindringlich. Hannes, der sich direkt an­gesprochen fühlt, legt nach: «Stopp! Wir sind ständig am Forschen. Aber der Verkauf schafft es nicht, hier wirklich neue Kunden zu akquirieren. So bleiben wir natürlich stehen. Abgesehen davon: Solange die Finanzabteilung die Forschungsgelder streicht, können wir nicht nachlegen.» Da platzt der Finanzchef in die Runde: «Wir können kein Geld ausgeben, das wir nicht haben! Solange das Marketing die Hausaufgaben nicht macht, endlich ein Image aufzubauen, das uns auch potente Geldgeber sichert, können wir von einer guten Zukunft einfach nur träumen.» Entsprechend muss die Marketingchefin reagieren: «Wo kein Geld fürs Marketing da ist, da können wir nichts tun. Ausser wir hätten die richtigen Leute, die auch mit kleinerem Budget kreativ sein könnten. Da hat ganz offensichtlich die HR-Abteilung die Hausaufgaben nicht gemacht, jüngere, ideen­kompetentere Leute an Bord zu holen.»
Die HR-Leiterin hat so oder so nur darauf gewartet, bis dieser ständig gleiche Vorwurf wieder kommt, und antwortet lakonisch: «Jede Firma hat die Mitarbeitenden, die sie verdient. Punkt.» Genau das bringt jetzt den Chef auf die Palme: «Seine» Firma verdiene so oder so nur die besten Mitarbeitenden, die besten Kunden, die besten Produkte, den besten Markt …
«Hannes managt»
ist eine Geschichten-Serie mit feinsinniger Satire aus den und über die Management-Etagen. Hannes ist als Produktionsleiter in einem grossen, international aufgestellten Industrieunternehmen tätig. Als Mittfünfziger ist er in der Geschäfts­leitung unterdessen das älteste Mitglied.


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