Swisscom 16.05.2024, 10:34 Uhr

Schweizer FTTH-Drama: Verfahrene Situation

Die WEKO verhängte jüngst eine Busse gegen Swisscom wegen Wettbewerbsverletzung beim Glasfaserausbau. Der Telko-Riese muss zudem auf gesplittete Glasfasern in P2MP-Technik (Point-to-Multipoint) verzichten und zur P2P-Bauweise (Point-to-Point) zurückzukehren.
Zum Leidwesen der Konsumenten gleicht die FTTH-Versorgung in der Schweiz derzeit einer grossen Baustelle.
(Quelle: Bild generiert mit Dall-E)
Mitte Dezember 2020 eröffnete die Wettbewerbskommission (WEKO) eine Untersuchung zum Glasfaserbau von Swisscom. Deren Vorgehen bei FTTH (Fibre To The Home) störte den kleinen Provider INIT7, der auf einen freien Zugang mit unbeschalteten Glasfasern pochte («dark fibre»). Daraufhin eröffnete die WEKO eine Untersuchung gegen Swisscom und verfügte einen Baustopp. Gegen diese vorsorgliche Massnahme klagte Swisscom, die Ende September 2021 durch das Bundesverwaltungsgericht jedoch abgewiesen wurde. Auch das Bundesgericht als höchste Instanz bestätigte Ende November 2022 die von der WEKO verfügten Massnahmen. Damit konnte die WEKO das Verfahren gegen Swisscom fortsetzen.
WEKO: Verstoss gegen das Kartellrecht
Ende April 2024 wurde Swisscom für ihr Verhalten mit rund 18 Mio. CHF gebüsst. Zudem macht die WEKO der Swisscom Vorgaben zum Ausbau des Glasfasernetzes, damit ihre Mitbewerber die FTTH-Infrastruktur mitbenutzen können. Daher ist statt P2MP nun wieder die zeit- und kostenaufwändigere P2P-Technik mit vier Glasfasern zu bauen. «Auf diese Weise kann die bisherige Angebotsvielfalt bei leitungsgebundenen Internetzugängen in der Schweiz auch auf dem Glasfasernetz gewährleistet werden – zugunsten von Konsumenten und Unternehmen», sagt die WEKO in ihrer Mitteilung.
Zudem sind alle 500'000 mit P2MP gebauten FTTH-Anschlüsse bis Ende 2025 umzurüsten – ein wirtschaftlicher Super-GAU für Swisscom, die – wen überrascht es – das WEKO-Urteil nicht akzeptiert und ans Bundesverwaltungsgericht weiterzieht. Sie argumentiert in ihrer Medienmitteilung, dass «alle Mitbewerber auch bei der P2MP-Topologie bei Swisscom nicht-diskriminierend einen Datenstrom zu einem bestimmten Anschluss beziehen können und damit wie bisher ein komplettes und wettbewerbsfähiges Angebot inkl. Telefonie, Internet und TV anbieten können».
Swisscom nicht einverstanden
Dabei ermöglicht P2MP «nach Ansicht von Swisscom den effizientesten und kostengünstigsten FTTH-Ausbau in der Schweiz. Darüber hinaus ist die P2MP-Topologie beim FTTH-Ausbau in den allermeisten europäischen Ländern vorherrschend, regulatorisch akzeptiert und kartellrechtskonform. Swisscom ist deshalb der Ansicht, sich wettbewerbsrechtlich korrekt verhalten zu haben».
Swisscom verweist darauf, dass der «Ausbau mit P2P aufwendiger ist, zu mehr Tiefbauarbeiten und insbesondere in ländlichen Gemeinden zu Verzögerungen führt. Mit P2P werden bis 2030 bis zu 10% weniger Haushalte erschlossen werden können, als es mit P2MP möglich gewesen wäre, und der Abschluss des FTTH-Ausbaus wird einige Jahre später erfolgen».
Konsequenzen für die Endkunden
Gegenüber dem staatlichen Medienhaus SRF sagte die WEKO-Präsidentin Laura Baudenbacher im Mittagsgespräch vom 30.04.2024 dazu: «Uns sind diese Argumente bewusst. Aber wenn mehr Konkurrenz die Glasfasertechnologie anbieten kann, dann führt das auch zu tieferen Preisen und mehr Innovation. Mit unserem Entscheid haben wir sichergestellt, dass die Kosten weiter heruntergehen und dass die Angebote noch grösser werden, zum Vorteil von uns allen im Land». Dieser Argumentation zu folgen fällt eher schwer, weil sie weder Innovation fördert noch zu zwangsläufig tieferen Kosten führt – im Gegenteil.
Erweist die WEKO den auf FTTH wartenden Endkunden somit nicht eher einen Bärendienst, statt für den immer wieder betonten freien Wettbewerb zu sorgen? SRF fragte nach: «Ihr Entscheid führt zwar zu mehr Wettbewerb, aber er führt gleichzeitig dazu, dass etwa 500'000 Internetanschlüsse nicht in Betrieb genommen werden können. Wegen des Urteils müssen Leitungen umgebaut werden. Das ist nicht konsumentenfreundlich.» Dazu Baudenbacher: «Das ist eine unbefriedigende Situation, und wir sind uns dessen voll bewusst. Auf der anderen Seite muss man berücksichtigen, dass wir sofort eingegriffen haben, als wir von diesem Ausbau des Netzes erfahren haben.» Sie spricht dann noch von einem «Gesetzesverstoss» und einem «rechtswidrigen Ausbau des Glasfasernetzes» – grobes Geschütz also.
Erneute Verzögerungen
Swisscom wird seit ihrem Bestehen von staatlichen Stellen (WEKO, BAKOM, ComCom, BUWAL etc.) überwacht und mit Auflagen bedacht. Hinzu kommen Tausende von Klagen gegen den Ausbau der essentiell wichtigen und von Firmen wie Privaten genutzten Mobilfunknetze, was auch die Mitbewerber trifft. Bei FTTH auf dem Land ist Swisscom hingegen meist der einzige Anbieter, der überhaupt Präsenz zeigt. So ist es technisch und betriebswirtschaftlich verständlich, dass ausserhalb der grossen Städte die durchaus gängigen P2MP-Bauweise bevorzugt wurde. In den teils sehr alten Kabelkanälen auf dem Land ist bisweilen nicht überall genug Platz für den Vierfaserausbau mit P2P, was Erweiterungsbauten nach sich ziehen könnte.
Auf eine Art absurd erscheint das Ganze, wenn man bedenkt, dass eben genau der Staat 51% der Swisscom-Aktien hält, jedes Jahr mehr als 500 Mio. CHF Dividende erhält und somit ein vitales Interesse daran haben sollte, dem Konzern nicht unnötig Steine in den Weg zu legen. Nun wird das Bundesverwaltungsgericht darüber zu bestimmen haben, wie das Schweizer FTTH-Drama weitergeht. Sollte Swisscom auch dort abblitzen, bliebe als letzte Instanz das Bundesgericht, wobei die Bundesrichter chronisch überlastet sind und sich Verfahren stark in die Länge ziehen. Bisweilen werden dort aber auch WEKO-Klagen zugunsten Swisscom abgewiesen, wie die Mitteilung vom 18. April 2024 zeigt. Ausgangspunkt war ein Fall, der ins Jahr 2008 (!!!) zurückgeht.

Autor(in) Rüdiger Sellin



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