Neuer Mobilfunk-Standard
29.06.2018, 11:00 Uhr

Ericsson-Schweiz-CEO: Deshalb braucht die Schweiz 5G-Netze

In den USA und Asien entstehen erste 5G-Netze. Doch wie sieht es in der Schweiz aus? Ericsson Schweiz arbeitet zusammen mit Swisscom und der ETH Lausanne am Thema 5G. Martin Bürki, CEO Ericsson Schweiz AG, erläutert den Stand der Entwicklung.
Martin Bürki ist Schweiz-Chef des Mobilfunkausrüsters Ericsson
Computerworld: Herr Bürki, warum braucht die Schweiz neue 5G-Netze?
Martin Bürki: 5G ist die neueste Mobiltechnologie und wird weltweit eingeführt. Sie wird grosse Vorteile bieten. So steigt die Funkkapazität um den Faktor 1000, was eine 10- bis 30-fach höhere Datenübertragungsrate pro Funkzelle bedeutet. Im Vergleich zu den heutigen LTE/4G-Netzen verbessert 5G die mobile Breitbandversorgung in einem heute kaum vorstellbaren Mass – ein Quantensprung also. 5G ermöglicht damit völlig neue Anwendungen für Industrie, öffentliche Dienste und private Nutzer.
CW: Was bedeutet das konkret?
Bürki: Während die aktuelle 4G-Technik LTE Advanced (LTE-A) Übertragungsraten zwischen 300 bis 1000 Mbit/s bietet, stösst 5G mit bis zu 30 Gbit/s pro Funkzelle in den Bereich schneller Datennetze vor – ein deutlich spürbarer Fortschritt. Das erhöhte Tempo ist aber nur ein Aspekt von 5G, denn dank der neuen Technologie ergeben sich ganz neue und bisher ungekannte Anwendungen. So lassen sich z.B. Maschinen in Echtzeit steuern, was Produktionsprozesse vereinfacht. Oder der Verkehr lässt sich via 5G dank ultrakurzer Reaktionszeiten in Echtzeit regeln. Das verhindert nicht nur Staus, sondern auch Unfälle.
CW: Warum baut man dazu nicht einfach LTE/4G aus?
Bürki: Die bisher genutzten Frequenzbänder sind im Bereich von 800 MHz bis 2,6 GHz praktisch voll ausgelastet. Zudem nutzen alte Mobilfunknetze wie GSM/2G das Spektrum nur sehr ineffizient, weshalb es Swisscom und Salt auf 2020 abschalten werden, Sunrise bereits 2018. Die mobil übertragene Datenmenge verdoppelt sich jährlich dank dem Boom von Smartphones und Tabletts, und dies seit Jahren. Die Betreiber sind daher gezwungen, ihre Netze dauernd auszubauen, um den Verkehr zu bewältigen. Das geschieht bei LTE/4G ja auch laufend. Trotzdem reichen die Kapazitäten bei diesem Wachstum bald nicht mehr aus, auch wegen neuer mobiler Anwendungen. Daher muss 5G kommen, auch wegen seiner sehr tiefen Latenz.
CW: Welche Frequenzbereiche sind für 5G angedacht?
Bürki: Für 5G braucht es eine neue Infrastruktur, die in höheren Frequenzbereichen als bisher betrieben wird. Zunächst wird man mit Frequenzen ab 3,4 GHz beginnen. Später sind noch höhere Frequenzbänder ab 24 GHz denkbar. Problematisch ist jedoch die Tatsache, dass die Reichweite mit steigender Frequenz dramatisch sinkt. Mit solchen Frequenzen kann man praktisch nicht mehr in Gebäude eindringen. Bereits im mittleren GHz-Bereich beträgt die Wellenlänge nur noch wenige Millimeter, weshalb es eine grosse Zahl von Mikrozellen braucht, um eine brauchbare Abdeckung zu erreichen. Auch die Energieeffizienz steigt markant. Dies ist besonders bei Anwendungen im Internet of Things (IoT) von zentraler Bedeutung, weil beispielsweise Sensoren über mehrere Jahre autonom über kleine Batterien funktionieren müssen.
CW: Mit welchen neuen Verfahren trumpft 5G auf, um solche Leistungen zu erbringen?
Bürki: Hier scheinen die von 4G und höherwertigen WLANs bereits bekannten Verfahren MIMO (Multiple Input, Multiple Output) sowie «Beamforming» im Vordergrund zu stehen. Bei MIMO läuft das Signal über mehrere Kanäle parallel, die durch eine grössere Anzahl feiner Antennen im Endgerät wie auch in der Basisstation untergebracht sind. MIMO wird bei 5G weiter ausgereizt, auch deshalb der Begriff «Massive MIMO». Um eine grosse Anzahl von Endgeräten zu versorgen, werden die Basisstationen dazu mit Dutzenden bis Hunderten von Sende- und Empfangseinheiten versehen. Die Einheiten kommunizieren mit zahlreichen, räumlich getrennten Mobilgeräten gleichzeitig im gleichen Frequenzbereich. Sogar Reflexionen der Funkwellen an Gebäuden und die daraus entstehenden Verzögerungen und mehrfachen Übertragungswege nutzt 5G zur Kapazitätserhöhung. In der Funkzelle weiter entfernte Endgeräte werden zudem mit einem schmaleren, aber längeren Funkstrahl erreicht, nahe Geräte mit einem kurzen, aber deutlich breiteren Funkfeld – daher auch der Fachbegriff «Beamforming».
CW: Ihr CTO Frank Henschke sagte am letzten Kongress des Branchenverbands Asut, dass der Aufbau eines neuen 5G-Mobilfunknetzes in der Schweiz ohne eine Anhebung der geltenden Grenzwerte schlicht nicht möglich ist. Wie ist da der heutige Stand? Und steht Martin Bürki nun täglich vor dem Bundeshaus?
Bürki: Unsere heutige NISV (Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung) ist heute noch zehnmal strenger als die auf den WHO-Empfehlungen aufbauenden Bestimmungen in den europäischen Staaten. Unsere heutige NISV verhindert in der Tat neuartige Verfahren wie «Beamforming» und «Massive MIMO» und stellt 5G für die Schweiz generell in Frage. Unter diesen Bedingungen sind 90 % der heutigen Antennenstandorte in Städten nicht 5G-fähig. Dies haben Tests klar belegt. Diverse parlamentarische Vorstösse haben gezeigt, dass ein Umdenken im Gang ist. Eine Lösung steht aber noch aus.
CW: Wann rechnen Sie in der Schweiz mit ersten 5G-Netzen?
Bürki: Swisscom hat erste 5G-Infrastrukturen bereits für Ende 2018/Anfang 2019 angekündigt. Daneben wird die ComCom im Herbst 2018 die Vergabe neuer Frequenzen vornehmen – ein Meilenstein auf dem Weg zu 5G.
Alles Wissenswerte zum Thema 5G können Sie zudem im Hintergrundbericht «5G: Der neue Mobilfunkstandard im Detail» nachlesen.
Zum Autor
Rüdiger Sellin
ist Diplom-Ingenieur (FH) und arbeitet seit 1992 als Fachjournalist SFJ/MAZ mit den Schwerpunkten ICT und Elektrotechnik.



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