Konjunkturprognosen 25.04.2022, 06:40 Uhr

Gebremste Erholung

Die Schweizer Wirtschaft wird 2022 wachsen. Sie behauptet sich trotz des Ukraine-Kriegs. Allerdings wird die Nach-Corona-Erholung durch die Ereignisse in Osteuropa ausgebremst.
Wie sich die Konjunkturdaten 2022 genau entwickeln werden, ist schwierig vorherzusagen
(Quelle: Pixabay/Gerd Altmann)
Kaum hat sich die Schweizer Wirtschaft von der Corona-Krise erholt, dräut mit dem Krieg in der Ukraine, weitere Unbill auf die Ökonomie des Landes zuzukommen. Wahrlich keine gute Zeiten für Konjunkturforscher. Dennoch haben Wirtschaftswissenschaftler von der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich, vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und von der Grossbank UBS den Blick in die Kristallkugel gewagt.
Weil nicht sicher ist, wie lange die kriegerischen Auseinandersetzungen in Osteuropa anhalten werden und welche Folgen noch auf den Kontinent und die Schweiz zukommen werden, haben die KOF-Auguren wie schon zu Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 zu einem Kniff gegriffen und in diesem Fall zwei Szenarien entworfen.

Basisszenario der KOF

Beim günstigeren Szenario, das die KOF auch Basisszenario nennt, bleiben die wirtschaftlichen Folgen des Krieges auf die Weltwirtschaft mehrheitlich auf das zweite Quartal 2022 beschränkt. Hierbei wird von einer vergleichsweise kurzen Dauer des Krieges unter drei Monaten ausgegangen. Auch wenn die Wirtschaftssanktionen länger Bestand haben dürften, sind die Experten der KOF davon überzeugt, dass diese wenig Einfluss auf den Gang der helvetischen Ökonomie haben werden, da weder die Ukraine noch Russland bedeutende Handelspartner der Schweiz sind.
Die Prognostiker der KOF gehen in diesem günstigeren Fall von einem Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) der Schweiz von 2,9 Prozent aus. Das ist doch etwas tiefer als im letzten Jahr, als das BIP um 3,5 Prozent zulegte. Ohne Ukraine-Krieg – auch dieses fiktive Szenario hat die KOF berechnet – hätte das Schweizer BIP um 3,2 Prozent zulegen können.
Trotz der Auswirkungen des Ukraine-Kriegs kann sich die helvetische Wirtschaft somit weiter von der Coronakrise erholen. Für 2023 geht die KOF dann davon aus, dass das BIP nochmals um 2,3 Prozent zulegen wird. Die Rate liegt gemäss den Wirtschaftsweisen von der ETH deshalb tiefer als in diesem Jahr, da die Aufholeffekte nach der Coronakrise allmählich nachlassen.

Negativszenario der KOF

Allerdings könnte es auch sein, dass die Schweizer Wirtschaft nicht nur mit einem blauen Auge davonkommt. Denn im zweiten Szenario – von der KOF Negativszenario tituliert – wird der Krieg in der Ukraine anhalten und damit grössere Auswirkungen vor allem auf Westeuropa haben. In diesem Fall könnte der Franken stark aufgewertet werden. Da die helvetische Währung nach wie vor als sicherer Hafen für Anleger gilt, könnte die Nachfrage derart steigen, dass der Frankenkurs gegenüber dem des Euro um 8,3 Prozent steigen wird und gegenüber dem des US-Dollars um 2,6 Prozent.
“Ich gehe davon aus, dass unser Basisszenario doch etwas wahrscheinlicher sein wird als das Negativszenario„
Jan-Egbert Sturm, KOF-ETH
Auch unterstellen die KOF-Auguren in ihrem Negativszenario, dass es zu einem vollständigen Stopp aller russischen Energie- und Rohstoffexporte auch in die EU kommt. Dies würde dann nicht nur zu einer weiteren drastischen Verteuerung der Energiepreise führen, sondern auch zu Produktionseinschränkungen in einigen europäischen Ländern, was wiederum die ausländische Nachfrage nach Schweizer Produkten schmälern würde. Zu allem Übel würde dann auch noch der russische Rohstoffhandel über die Schweiz wegfallen, der nach Angaben der UBS immerhin einen Anteil von 5 Prozent am Schweizer BIP hat.
Bei diesem Negativszenario würde das BIP der Schweiz laut KOF im Jahr 2022 nur noch um 1 Prozent steigen.
Das sind doch 2 Prozentpunkte weniger als im günstigeren Szenario. Die negativen Folgen des Ukraine-Kriegs würde sich darüber hinaus auch auf 2023 auswirken. Laut KOF würde dann das BIP der Schweiz nur noch um 0,8 Prozent steigen.
Allerdings tendiert man bei der KOF (Stand: Ende März) dazu, dass sich eher das günstigere Szenario durchsetzen wird. Wie der Direktor der KOF, Jan-Egbert Sturm, in einem Online-Webinar für die Medien meinte, habe man zwar zwei Szenarien entwickelt, die beide einen realistischen Charakter hätten. So habe man etwa im Negativszenario nicht die Möglichkeit einbezogen, dass auch noch Nachbarländer mit in den Krieg gezogen würden. «Ich gehe aber davon aus, dass unser Basisszenario doch etwas wahrscheinlicher sein wird als das Negativszenario, bei dem doch die Schocks, die auf die Schweiz zukommen, relativ kräftig sein werden», hofft Sturm. «Immerhin reden wir beim Negativszenario über einen Ölpreisschock und damit über einen Inflationsschock, über einen Wechselkursschock, einen Nachfrageschock, weil Europa in eine Rezession rutscht», fügt er an.

Seco und UBS senken Prognose

Im Unterschied zur KOF haben weder das SECO noch die UBS ein solches Negativszenario entworfen. Dafür haben beide ihre Prognosen von Anfang Jahr aufgrund der Invasion Russlands in der Ukraine nach unten korrigiert. Gemäss SECO birgt dieser Krieg grosse Konjunkturrisiken. Er treffe aber die Schweizer Wirtschaft in einer bereits ­relativ guten Verfassung, meint das SECO. So erhole sich die Binnenkonjunktur trotz allem.
Computerworld Swiss IT/2022
Quelle: KOF, SECO, UBS
Die SECO-Expertengruppe geht daher neu von einem 2,8-prozentigen BIP-Wachstum 2022 aus und senkt damit die eigene Prognose vom Dezember 2021 um 0,2 Prozentpunkte. «Somit würde die Schweizer Wirtschaft vorläufig ihre Erholung von der Coronakrise mit einem überdurchschnittlichen BIP-Wachstum fortsetzen, wenn auch weniger dynamisch als in der Vorprognose erwartet», schreibt das Wirtschaftsekretariat in einer Mitteilung zu den Prognosen. Allerdings meinen auch die Auguren des SECO, dass ihre Vorhersage unter der Voraussetzung geschehe, dass ein deutlicher Abschwung bei wichtigen Handelspartnern der Schweiz ausbleibe, und insbesondere, dass es zu keinen massiven Energie- und Rohstoffengpässen in Europa komme.
Etwas vorsichtiger ist dagegen die Konjunkturprognose der UBS. Deren Ökonomen gehen von einem BIP-Wachstum 2022 von 2,5 Prozent aus. Damit korrigieren auch sie ihre Vorhersage von Ende Januar. Damals wurde von einem Wachstum von 2,8 Prozent ausgegangen. Auch die BIP-Vorschau auf 2023 wurde leicht nach unten korrigiert. Hier geht die UBS von einem Plus von 1,5 Prozent aus, verglichen mit 1,7 Prozent Ende Januar.

Schweizer Inflation bleibt moderat

Ein weiteres Schreckgespenst am Konjunkturhorizont ist die Inflation. Hier können die Prognostiker der KOF zumindest für die Schweiz Entwarnung geben, dies ganz im Gegensatz zu Teilen Europas und den USA, wo die Inflation schon zum zweistelligen Bereich tendiere. Im günstigen Szenario erwarten die ETH-Experten für 2022 eine Steigerung der Konsumentenpreise in der Schweiz um 1,6 Prozent. Und im Jahr 2023 soll der Anstieg bereits wieder auf 0,8 Prozent zurückgehen.
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Quelle: KOF
Im vorgehend beschriebenen Negativszenario könnte die Teuerung aber 2,8 Prozent 2022 und 1,2 Prozent 2023 erreichen. Damit überschreitet die hiesige Inflation temporär den von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) als Preisniveaustabilität angesehenen Bereich von weniger gleich 2 Prozent.
Warum aber bleibt die Schweiz eine Insel der geringen Teuerung sogar im von der KOF skizzierten Negativszenario? Gemäss Sturm findet dann die importierte Inflation zwar statt, sie wird aber gleichzeitig von der Aufwertung des Franken kompensiert.

Lieferengpässe bleiben ein Problem

Daneben bleiben Lieferengpässe ein Problem. Allerdings nur kurzfristig, wie Sturm ausführt. Denn offenbar haben Schweizer Firmen gelernt, mit unsicheren Lieferketten umzugehen. «Wir haben schon im vergangenen Jahr beobachten können, dass viele Unternehmen dazu übergegangenen sind, ihr Portfolio an Lieferanten auszuweiten, um hier weniger risikoreich unterwegs zu sein», sagt Sturm. Falle also ein Lieferant aus, könnten viele Unternehmen auf einen zweiten oder dritten Lieferanten aus einer anderen Region zurückgreifen.
“Wir haben gelernt – wirtschaftlich gesehen –, mit Corona umzugehen„
Jan-Egbert Sturm, KOF-ETH
«Vielleicht sollten wir nicht mehr von Lieferketten, sondern von regelrechten Liefernetzwerken sprechen», betont er. Darüber hinaus seien viele Firmen von der strikten Just-in-time-Produktion weggekommen und dazu übergegangen, Lager einzurichten, um auch so Lieferengpässe zu überbrücken.
Sowohl bei der Prognose der KOF als auch bei den Vorhersagen des SECO und der UBS spielt das Coronavirus und womöglich wieder in Betracht gezogene Massnahmen zu dessen Bekämpfung nur noch eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich sind die makroökonomischen Auswirkungen laut Sturm bereits im Winter 2020 und 2021 stark zurückgegangen und waren nicht mehr vergleichbar mit Anfang 2020. «Wir haben gelernt – wirtschaftlich gesehen –, einigermassen mit Corona umzugehen», lautet daher das Fazit des Konjunkturforschers.


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