26.06.2009, 14:49 Uhr
Die IT wird interdisziplinär
Auf Servern und Speichern hat die Virtualisierung längst Einzug gehalten, nun breitet sie sich auch auf die restliche IT-Infrastruktur aus. Netzwerk- und Sicherheitskomponenten werden integriert, die Ausfallsicherheit erhöht. Das Rechenzentrum wandelt sich zur unternehmensweiten Cloud.
Urs Stephan Alder ist Geschäftsführer von Kybernetika, Betreiber des grössten herstellerunabhängigen IT-Labors der Schweiz, und Trainer für Digicomp
Unternehmen beschränken sich heute längst nicht mehr darauf, mittels virtueller Umgebungen die Leistung der Server-Hardware auszureizen. Was auf den Servern begonnen hat, erobert nun die gesamte IT-Infrastruktur: Erklärtes Ziel ist es, das Rechenzentrum in eine «Cloud» zu verwandeln, die Server-, Speicher- und Netzwerkressourcen je nach Bedarf bereitstellt. Diese Stossrichtung skizzierte VMware-CEO Paul Maritz an der kürzlich durchgeführten Hausmesse VMworld Europe. Unterstützung dürfte er dabei von seiner Konkurrenz erhalten, allen voran Citrix und Microsoft. Sie hegen mit ihren Virtualisierungsstrategien ganz ähnliche Pläne.
Treiber für alle Virtualisierungsmassnahmen ist der enorme Kostendruck, der die Unternehmen zwingt, die Betriebsausgaben der IT zu senken. Die Konsolidierung von Servern mithilfe virtueller Umgebungen reduziert die Server-Hardware, während virtualisierte Anwendungen den Aufwand für den Unterhalt senken. Ausserdem stehen die Ressourcen in der Cloud je nach Bedarf bereit, die Unternehmen erhalten damit die Chance, viel schneller auf veränderte Marktbedingungen zu reagieren. Dieser Weg bedingt aber nicht nur ein Umdenken bei der Konzeption der Infrastruktur. Es müssen auch Lücken geschlossen werden, bei denen die Virtualisierungsrezepte noch fehlen.
Software-Modul statt Rack
Die klassische Server-Virtualisierung umfasst den Betrieb und die Verwaltung der Betriebssystemumgebungen. Hier haben die bestehenden Konzepte zur Verschiebung der Einflussmöglichkeiten geführt. Prominentestes Beispiel ist das Netzwerk. Während in der physischen Welt der Netzwerkadministrator noch jeden einzelnen Server kontrollieren konnte, verlagert sich das Netz - zumindest teilweise - in die Virtualität. Für die Netzwerkabteilung bedeutet das einen Verlust an Granularität.
Nun kommen Netzwerk und Virtualisierungstechnik zusammen: Mit dem Nexus V1000 hat Cisco kürzlich den ersten reinen Software-Switch präsentiert, der sich in VMware-Umgebungen integriert. Damit erhält die Netzwerkabteilung die gleiche Sicht und Einflussmöglichkeit zurück, die sie in der physischen Welt gewohnt war. Sie kann nun wie gehabt den Datenfluss jedes Servers kontrollieren, unabhängig davon, ob es sich um virtuelle oder reale Umgebungen handelt. Der virtualisierte Switch ist ein erster Schritt in Richtung eines einheitlichen Managements der gesamten Umgebung.
Ausfallsicher und modular
Noch eine andere entscheidende Schwachstelle der Virtualisierung wird jetzt beseitigt. Ein Ausfall in der Hardware und damit des Hypervisors liess bislang die virtuellen Rechner abstürzen. Künftig werden Software-technische Hochverfügbarkeitsmechanismen dafür sorgen, dass die betroffenen Umgebungen automatisch und innert Sekundenbruchteilen auf anderen Servern weiterlaufen. Damit bietet sich Virtualisierung verstärkt für den Betrieb unternehmenskritischer Applikationen an, weil sich die Ausfallzeiten nochmals reduzieren.
Die Virtualisierung erstreckt sich aber nicht nur auf weitere Infrastrukturkomponenten, sondern verändert auch die Strukturen, indem gewisse Aufgaben modularisiert werden. So könnte beispielsweise ein einziges Virenscannermodul alle auf einem physischen Server laufenden Umgebungen von zentraler Stelle aus schützen. Separate Malware-Abwehr auf Mail- und File-Server wäre damit überflüssig, was Systemressourcen schont und Kosten senkt.
Eine zentrale Schaltstelle
Das Rechenzentrum, das sich zur unternehmensinternen oder privaten Cloud formiert hat, besitzt eine Virtualisierungsebene, die sich über alle Infrastrukturbereiche - Server, Netzwerk und Storage - erstreckt. Die Verwaltung dieser Schicht kontrolliert optimalerweise eine einzige Management-Software. Das entsprechende Tool wird damit zur zentralen Schaltstelle, die alle Bereiche umfasst. Die Konfiguration von Netzwerk, Storage und der virtuellen Umgebungen selbst werden eines Tages von einem zentralen Schaltpult aus betreut. Damit verändert Virtualisierung auch die Arbeit der IT-Spezialisten.
Dieses zentrale Management-Tool kümmert sich auch um die Desktops und Notebooks, die ebenfalls «virtualisiert» werden. Bislang ist die Virtualisierung von Desktop und Applikationen noch wenig verbreitet. Doch das wird sich aufgrund des Kostendrucks bald ändern. Alle wichtigen Virtualisierungsanbieter arbeiten derzeit an Techniken, um den speziellen Anforderungen auf dem Desktop Herr zu werden und eine zentrale und kostengünstige Verwaltung dieser Systeme und Anwendungen möglich zu machen.
Virtuell mobil
Auf dem Desktop ist weniger die Hardware-Auslastung ein Thema als vielmehr das effiziente Management grosser Umgebungen und der Energieverbrauch. Die virtuelle Lösung: Alle Arbeitsplatz-PCs greifen auf ein zentrales Betriebssystemabbild zu. Statt Hunderte von PCs patchen und aktualisieren zu müssen, reicht es im Idealfall, die zentrale Konfiguration zu pflegen, das sogenannte «Golden Image».
Eine besondere Herausforderung stellen mobile Rechner dar, die nicht permanent mit dem Unternehmensnetzwerk verbunden sind. Solche Notebooks müssen auch ohne LAN-Anschluss auf ein Betriebssystem zugreifen können. Hierzu werden Verfahren entwickelt, um die virtuelle Umgebung lokal zwischenzuspeichern, um LAN-unabhängig zu arbeiten. Wird das Notebook wieder ans Firmennetz angeschlossen, synchronisiert es Betriebssystem und Daten automatisch mit dem Server.
Know-how muss wachsen
Virtualisierung trägt zur Kostensenkung bei, indem die verfügbaren Ressourcen besser genutzt werden. Doch die Integration verschiedener Infrastrukturkomponenten bleibt nicht ohne Einfluss auf die Anforderungen an die IT-Spezialisten. Waren bisher Aufgaben wie Netzwerk- und Serverbetreuung klar getrennt, so verschmelzen nun diese Bereiche. Der Netzwerktechniker muss etwas von Virtualisierung verstehen, und der Serveradministrator kümmert sich auch um die Netzwerkkonfiguration der virtuellen Umgebungen. IT-Spezialisten müssen also lernen, interdisziplinär zu denken und zu arbeiten. Das dürfte in den meisten Fällen nicht ohne zusätzliche Weiterbildung funktionieren. Gut geschultes Personal ist aber entscheidend, um die Virtualisierungsstrategie erfolgreich umzusetzen und von den Vorteilen zu profitieren. Sonst droht die Gefahr, dass sich die angestrebte Wolke als undurchschaubares Nebelgebilde entpuppt.
Urs Stephan Alder