06.11.2008, 13:26 Uhr

Wie grün ist Green IT wirklich?

Die Welt steckt mitten im Klimawandel. Die Ursache dafür ist der zu hohe CO2-Ausstoss. Er liegt aktuell bei rund 38 Milliarden Tonnen. Welchen Beitrag kann Green IT zur Reduzierung des CO2-Ausstosses leisten? Computerworld hat dazu Peter Arbitter, Leiter Portfolio und Technologie Management bei Siemens IT Solutions and Services in München, befragt.
"Eine grüne Technologie, die diesen Namen verdient, steht bisher noch weitgehend aus", meint Peter Arbitter von Siemens IT Solutions and Services
Computerworld: Green IT wird von den IT-Herstellern offensiv vermarktet. Wie gross ist der positive Umwelteffekt entsprechender Techniken in Servern, PCs und Speichersystemen?
Arbitter: Bei allem Bemühen der IT-Hersteller, ihre Techniken mit einem grünen Kleid zu umgeben: Eine grüne Technologie, die diesen Namen verdient, steht bisher noch weitgehend aus. Wirklich grün wären diese Techniken, wenn sie mit Leistungen sparsamer umgehen würden. Doch solange immer komplexere Software der Hardware immer mehr Leistung abverlangt beziehungsweise die Hardware für immer komplexere Programme mehr Leistung einräumt, wird es Green IT im eigentlichen Sinne nicht geben. Denn bekanntlich erfordert mehr Leistung mehr Energie, deren Verbrauch mehr CO2 erzeugt.
Computerworld: Können Sie diese Entwicklung an Zahlen festmachen?
Arbitter: Nach einer Studie von IDC (International Data Corporation) für die USA hat sich dort der Stromverbrauch binnen der letzten sechs Jahre verdoppelt. Auch für die kommenden Jahre sieht das Marktinstitut, wenn auch nicht ganz in dem Masse wie bisher, in den US-Rechenzentren einen weiter steigenden Energieverzehr voraus. Gartner warnt, dass schon Ende diesen Jahres fast die Hälfte der Rechenzentren weltweit nicht die nötige Power- und Cooling-Kapazitäten haben werden, um ihre High-Density-Ausstattung zu unterstützen. Das heisst im Umkehrschluss: Die immer leistungsfähigeren Rechner in den RZ verbrauchen immer mehr Energie und erzeugen immer mehr Abwärme, die wiederum durch Energiezufuhr abgeführt werden muss.
Computerworld: Also für die Unternehmen ein Teufelskreis, aus dem es für sie bei steigenden Strompreisen kein Entrinnen gibt?
Arbitter: Das stimmt so nicht. Auch ohne eine grüne Technologie, also mit immer leistungsfähigerer Hard- und Software, können die Unternehmen deutlich Energie und Kosten einsparen, dadurch auch die Umwelt und das Klima entlasten. So wurde die Software über die Jahre grosszügig auf zu viele Server verteilt. Insider schätzen, dass heute nur 15 bis 25 Prozent der Server-Kapazitäten ausgeschöpft werden. Der Löwenanteil der Kapazitäten liegt also buchstäblich brach, vergeudet aber dennoch Energie. Das liegt daran, dass Server im Leerlauf fast genauso viel Strom verbrauchen wie unter Volllast. Dieses Missverhältnis zwischen verfügbarer und genutzter Leistung gilt es nachhaltig zu beseitigen. Es bietet reichlich Spielraum, um per Virtualisierung, also über eine effiziente Verteilung von Verarbeitungslasten auf die verfügbaren Kapazitäten, die Server weit effizienter als heute auszuschöpfen. Per Virtualisierung können viele Server abgeschaltet werden. Dadurch werden deutlich Strom, Kosten und CO2 eingespart. Aber erst wenige Unternehmen haben diesen Weg eingeschlagen. Die Analysten der Experton Group veranschlagen, dass bisher lediglich 15 Prozent der Server virtualisiert wurden.
Computerworld: Gehen Sie von einem ähnlichen Missverhältnis bei den Speichersystemen aus?
Arbitter: Bei diesen Systemen ist das Missverhältnis nicht so gross wie bei den Server-Kapazitäten. Genügend Spielraum, um per Virtualisierung die Online-Festplatten besser auszuschöpfen sowie Datenbestände frühzeitig auf kosten- und verbrauchsgünstigere Offline-Platten oder Band zu verschieben, gibt es aber auch hier. Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu wissen, dass die Lesezugriffe auf Online-Platten, deren Speicherkapazität nahezu ausgereizt wird, besonders viel Strom verbrauchen. Aber auch jede neue Online-Festplatte, die angesichts der steigenden Datenflut aktiv geschaltet wird, ist ein Stromverzehrer und produziert Kosten und CO2. Virtualisierte Speicher können einfach intelligenter und dadurch deutlich wirtschaftlicher und energieschonender eingesetzt werden.
Computerworld: Wie finden die Unternehmen dort, wo der Schuh am meisten drückt, nämlich bei den Servern, zum richtigen Virtualisierungsmass?
Arbitter: Zuerst muss das Verarbeitungspotenzial bekannt sein, das binnen der nächsten drei bis fünf Jahre gebraucht werden wird. Die Geschäftsprozess-Optimierung in den Unternehmen wird jedenfalls einen erheblichen Mehrbedarf an Leistung nach sich ziehen. Danach sollte analysiert werden, inwieweit das gesteckte Leistungsziel über die bestehenden Server mittels Virtualisierung ihrer Kapazitäten erreicht werden kann. Zeichnet sich trotz Virtualisierung ein Fehlbedarf an Verarbeitungspotenzial ab, muss an den richtigen Stellen innerhalb der Server-Infrastruktur gezielt in neue, leistungsstärkere Rechner sowie ergänzend dazu in Power- und Cooling-Geräte investiert werden. Ausserdem macht es Sinn, im Rechenzentrum den Kreislauf an Power- und Cooling zu überdenken. In einer intelligenteren Platzierung solcher Geräte sowie in Massnahmen, gegebenenfalls die entstehende Abwärme zum Heizen des Gebäudes zu nutzen, können für das Unternehmen erhebliche Einsparungen stecken. Wird die Server-Infrastruktur richtig dimensioniert und professionell virtualisiert, trägt das ausserdem zu einer Reduzierung der Administrations- und Wartungskosten bei.
Computerworld: Ist eine solche Analyse nicht äusserst komplex? Oder anders gefragt: Kann nicht diese hohe Komplexität schnell zu Fehleinschätzungen führen, in diesem Fall bei der richtigen Dimensionierung des virtualisierten Server-Pools?
Arbitter: Dieses Vorhaben ist zweifellos äusserst komplex und damit auch fehleranfällig. Deshalb arbeitet Siemens IT Solutions and Services eng mit mehreren Lehrstühlen der Technischen Universität München (TUM) zusammen. Das Ergebnis dieser engen Kooperation: ein Optimierungsverfahren zur Server-Konsolidierung und -Virtualisierung. Die Simulations- und Analyse-Software - sie läuft auf einem Standard-Notebook - bezieht in die Leistungsauslegung und Kostenbewertung alle Faktoren wie die Prozessorarchitektur der Server, die interne Belüftung, Power-Aggregate, Klimatisierung und 19-Zollschränken ein. Auch der Stand der Abschreibung der einzelnen Server wird bei den Simulationsläufen und der anschliessenden Bewertung berücksichtigt. So kann das Unternehmen sicher und schnell zum richtigen Outfit seines virtualisierten Server-Pools einschliesslich der flankierenden Geräte finden.
Computerworld: Wie findet das Unternehmen heraus, wo gezielte Neuinvestitionen anstehen?
Arbitter: Die Simulations- und Analyse-Software arbeitet mit zwei Modellen. Das erste Modell bezieht sich auf die Werte der installierten Hardware. Dadurch wird schnell transparent, ob die bestehenden, virtualisierten Verarbeitungskapazitäten ausreichen oder nicht. Das zweite Modell geht der Frage auf den Grund, welche Auswirkungen gezielte Neuinvestitionen auf das Leistungsprofil und die Kosten haben. In der Praxis sollten, selbst wenn die bestehende Hardware ausreichen sollte, beide Modelle durchgespielt werden. Denn gezielte Investitionen in Server und flankierende Geräte können im Vergleich zum ersten Modell zu besseren Leistungsergebnissen bei niedrigeren Kosten führen. Deutlich Kosten einsparen können die Unternehmen also allemal.
Computerworld: Zurück zur Green IT: Inwieweit kann Server- und Speicher-Virtualisierung durch Energieeinsparungen zu einem besseren Klima beitragen?
Arbitter: Die Bedeutung von Green IT im klassischen Sinne, sofern energiesparende Technologien verfügbar wären, sollte für das Klima nicht überbewertet werden. Die Rechenzentren rund um den Globus steuern aktuell lediglich zwei Prozent der Gesamtlast an CO2 bei. Übrigens: Das ist in etwa die CO2-Last des gesamten Flugverkehrs. Also auch der positive Beitrag von Videokonferenzen als Ersatz für Geschäftsfernreisen sollte für das Klima nicht überbewertet werden. Zum Hintergrund: Von den rund 38 Milliarden Tonnen an CO2 werden nur knapp über 11 Milliarden Tonnen durch Wälder und die Meeresoberfläche umgewandelt werden. Um das CO2-Problem nachhaltig zu mildern, müsste also bei den grösseren Verursachern der Hebel angesetzt werden.
Die Weichen gegen die Erderwärmung müssen somit ausserhalb der Rechenzentren gestellt werden, wo 98 Prozent des Stroms verbraucht werden. Siemens IT Solutions and Services hat deshalb ein ,,IT for Sustainablity"-Portfolio definiert. Weil die Informationstechnik heute in allen wirtschaftlichen Bereichen eine wichtige Rolle spielt, kann sie dort helfen, den Energieverbrauch zu reduzieren.
Das Interview führte Hadi Stiel, freier Journalist aus Bad Camberg bei Frankfurt.



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