22.07.2016, 14:30 Uhr

«Mit Zuwanderungsstopp ist der Schweiz sicher nicht gedient»

Der Infrastrukturprovider Six sieht durch die Zuwanderungsbeschränkung ernsthafte Probleme auf den IT-Werkplatz Schweiz zukommen, sagt IT-Chef Robert Bornträger im Interview.
Die Zuwanderungsbeschränkung könnte zum ernsthaften Problem für den IT-Standort Schweiz werden. Dringend benötigte Fachkräfte könnten nicht mehr so einfach ins Land geholt werden. Robert Bornträger, CEO Division Global IT der Six Group, sagt im Interview mit Computerworld, dass er Schweizer Software dann wohl oder übel im Ausland entwickeln lassen muss. Denn auch in der Aus- und Hochschulbildung tut die Schweiz zu wenig, um den wachsenden Bedarf zu decken, kritisiert er. Vor etwas mehr als zwei Jahren haben Sie die Leitung der IT bei Six übernommen. Was hat sich innerhalb der Six verändert und was haben Sie verändert? Robert Bornträger: Es hat sich nichts verändert. (lacht) Nein, es hat sich natürlich relativ viel verändert. Die IT ist zentralisiert, die Geschäftsbereiche haben sich neu ausgerichtet. Sie können sich nun mehr auf das Business konzentrieren. Der Konzern hat sich ebenfalls neu positioniert, tritt vermehrt in der Öffentlichkeit auf und sorgt auch für Publicity. Innerhalb von Six hat die IT einen viel höheren Stellenwert erhalten. Die Mitarbeiter haben neu viel bessere Karrierepfade, was uns zu einem sehr attraktiven Arbeitgeber macht. Das lässt sich auch an der extrem tiefen Fluktuationsrate ablesen. 
Wie hat sich der Group-CIO in den letzten zweieinhalb Jahren verändert? Jede Transformation, die man mitmacht, muss man auch selbst leben. Alle Mitarbeiter verändern sich, wodurch ich mich auch verändere.  Intern ist es für mich wichtig, die Verantwortung delegieren zu können. In einer so grossen Organisation wie der Six-Informatik kann ich mich nicht mehr um alle Detailthemen kümmern. Dafür habe ich heute Manager, die Fachleute in den Bereichen sind. Meine Hauptaufgaben sind: das richtige Personal am richtigen Ort einzusetzen, Identifizieren und Mitigieren von Risiken sowie das Umsetzen der zentralen strategischen Vorhaben. Die wichtigsten Akteure in der Transformation sind allerdings immer die Mitarbeiter. Sie sollen den Weg mitgehen wollen. Deshalb pflegten wir eine offene Kommunikationskultur, trafen uns in Diskussionsrunden und Workshops. Für die Transformation haben wir einen kollaborativen Ansatz gewählt, bei dem interne Projektarbeitsgruppen alle Lösungen selbst erarbeitet haben. Anschliessend wurden die gefundenen Lösungen ausführlich diskutiert und letztendlich vom Management abgenommen. Neu haben wir in der Six-Informatik eine der spannendsten IT-Organisationen der Schweiz. Wir besitzen nicht nur Standard-Applikationen, sondern haben auch dedizierte Entwicklungen in Betrieb.  Nächste Seite: Vollzeitstelle für Visumsbeschaffung Woher bekommen Sie die Leute für eine der interessantesten IT-Organisationen der Schweiz? Da kommen wir zu einem schwierigen Thema. Generell kann ich heute sagen, dass wir die Leute bekommen, die wir brauchen. Sie stammen von Fachhochschulen, Universitäten, Technischen Hochschulen, aus der Schweiz und aus dem Ausland. Allerdings wächst der administrative Aufwand ständig.  Six und auch die Six-IT ist eine internationale Organisation. Wir haben Standorte in der Schweiz und im Ausland, beispielsweise Luxemburg, Österreich und auch Grossbritannien. Eine der ganz grossen Herausforderungen ist, Leute aus einer ausländischen Niederlassung in die Schweiz zu holen. Ich muss für jeden einzelnen Mitarbeiter ein Visum beantragen. Der administrative Aufwand ist der Wahnsinn!  Wie häufig kommt das vor? Ich spreche bis anhin von ein paar Dutzend Personen, die in der Schweiz an einem Projekt mitarbeiten sollen. Wie hoch ist der Aufwand für die Visumsbeschaffung? Für die vergleichsweise kleine Organisation wie Six mit rund 4000 Mitarbeitern weltweit kostet das bestimmt eine Vollzeitstelle. Seit Anfang Jahr müssen die Kollegen diese Mehrarbeit leisten, Formulare ausfüllen und sie dem Amt einschicken.  Ich mag gar nicht an die Zeit denken, falls die Kontingentierung zum Gesetz wird. Dann wird es richtig mühsam! Ich werde dann nicht mehr die Mitarbeiter in die Schweiz holen können, ich werde die Arbeit ins Ausland verlegen müssen. Damit ist der Schweiz sicher nicht gedient! Wie konkret sind die Pläne, die Entwicklung ins Ausland zu verlagern? Six hat heute eine grosse Fertigungstiefe in der Schweiz. Zwei Drittel der Entwicklung finden hier statt. Allerdings überlegen wir, ob das langfristig noch tragbar ist. Heute kann ich noch Schweizer als Mitarbeiter anstellen oder Personen in die Schweiz holen. Aber ein internationales Projekt ist schon jetzt einfacher im Ausland umgesetzt als in der Schweiz. Hinzu kommen die Kosten: Mitarbeiter in der Schweiz zu finden ist zweifellos kostenintensiv, sie zu beschäftigen ebenfalls. Es ist eine Tatsache, dass sehr gute Leute im Ausland für tiefere Saläre zu haben sind. Damit wandert die Arbeit ab. Nächste Seite: Konsequenzen der Kontingentierung Welche Konsequenzen erwarten Sie durch die Kontingentierung? Wenn wir nicht mehr im EU-Raum rekrutieren können, dann wird es sehr schwierig. Circa ein Drittel der neu rekrutierten Mitarbeiter stammen heute aus den EU-Ländern. Wird dies in Zukunft verboten, werden wir die Arbeit ins Ausland verlegen müssen.  Können Sie eine Prognose geben, wie sich die Kontingentierung auf die Verteilung von Entwicklungsarbeit auswirkt?
Eine Prognose ist schwierig. Aber so viel: Wenn sich die Kontingentierung zu unserem Nachteil entwickelt, dann wird viel Entwicklung ins Ausland abwandern. Denn der Bedarf ist weiterhin gross: Allein die Fusion von Paymit und Twint beispielsweise erfordert immense Programmierarbeit. Es müssen unterschiedlichste Ressourcen, Skills und Teams zusammengebracht werden, die dynamisch und schnell neue Lösungen kreieren sollen. Diese Entwicklung ist heute in der Schweiz geplant. Wenn das Personal aber nicht zu bekommen ist, kann das nächste Twint problemlos auch im Ausland programmiert werden. Nebenbei liesse sich womöglich noch ein ausländischer Markt gleich mit erschliessen. Eine Aktivität von Six zur Rekrutierung ist der Hackathon. Welchen konkreten Nutzen haben Sie daraus gezogen? Benefits hatten wir in unterschiedlichen Bereichen: Der Hackathon hat positiv zum Image von Six beigetragen. Wir werden nicht mehr als die, starre Infrastruktur-Providerin angesehen, sondern als ein dynamisches Unternehmen mit innovativen Ideen. Intern gab es viele Impulse für die Angestellten. Die Mitarbeiter, die selbst an dem Anlass teilgenommen haben, haben den Spirit des Hackathons mit ins Unternehmen gebracht. Ein Aspekt war, dass die Teilnehmer innerhalb kurzer Zeit beachtliche Lösungen entwickelt haben. Sie haben auch ihre Kollegen neu motiviert. Schliesslich haben wir Kontakte knüpfen können zu hervorragenden jungen Ingenieuren, die wir auch gerne anstellen wollen. Beim Hackathon 2015 waren wir damit schon erfolgreich. Ist es heute schwieriger als vor vielleicht zwei Jahren, Talente in die Schweiz zu holen? Oder: Hat das Image der Schweiz unter den Initiativen gelitten? Nein, wir haben nicht festgestellt, dass das Image gelitten hat. Allerdings haben wir durchaus wahrgenommen, dass das Ausland viel aktiver in der Vermarktung geworden ist – insbesondere in der IT. Zum Beispiel hat Deutschland in der Schweiz einige Marketing-Kampagnen lanciert, um die Leute wieder zurück zu holen. So gibt es bei einigen Kandidaten die Überlegung, ob sie zurückgehen gehen oder gar nicht erst in die Schweiz wechseln.  Welchen Stellenwert hat das Talent Recruiting bei Six, auch ausserhalb der IT? Six lebt von den Skills der Mitarbeiter. Echte Routine-Arbeiten sind selten. Damit sind das Talent Recruiting und das Talent Management ganz wichtig. Es reicht von der Lehre, den Studienabgängern bis hin zur Förderung der aktuellen Mitarbeiter. Neu denken wir darüber nach, für junge Studenten eine Möglichkeit zu schaffen, schon während des Studiums einzusteigen. Natürlich ist das Ziel, sie nach dem Abschluss gleich zu übernehmen.  Gibt es ein spezielles Talent Management für die IT? Nein, HR leistet das Talent Management für die gesamte Six. Auch das Post-Trading ist zum Beispiel ein Know-how-intensives Geschäft. Hier ist das Branchenwissen sehr spezifisch, das man nicht einfach so auf dem Markt einkaufen kann. Dafür müssen wir die Leute selbst entwickeln und fördern. Das gilt auch für die Börse oder das Kreditkartengeschäft, bei denen wir entweder der einzige Anbieter sind oder eine führende Position einnehmen. Damit sind wir auch beim Personal in der Verantwortung.  Nächste Seite: mehr Frauen in der Informatik Was könnte getan werden, um die Personalengpässe zu vermeiden?  Das Schweizer Ausbildungssystem ist hervorragend, das duale System mit Lehre und Studium ebenfalls. Beides sollten wir weiter entwickeln.  In diesem Zusammenhang sehe ich die IT als eine extrem wichtige Wertschöpfung in der Schweiz. Heute ist die IT allerdings in der Ausbildung und im Studium noch viel zu wenig repräsentiert. In der Grundschule, in der Sekundarschule, und teilweise auch in der Mittelschule wird Informatik nicht als Fach angeboten. Stattdessen diskutieren wir darüber, ob wir Englisch oder Französisch oder was auch immer auf den Lehrplan nehmen. Das Fach, das wirklich auf alle Schweizer Lehrpläne gehört, ist die Informatik. Hier dürfen nicht Excel oder Word gelehrt werden, sondern Algorithmen und Logik. 
Weiter ist in der Schweiz der Frauenanteil in der Informatik lächerlich tief. Wir sprechen von zehn bis zwölf Prozent. Das ist eine Katastrophe! Dabei eignet sich der Job ideal auch für Teilzeitarbeit. So liessen sich Familie und Beruf perfekt kombinieren. In allen drei Bereichen gibt es kaum bis gar keine Förderung. Allerdings haben wir die Chance, die Schweiz zu einem der wichtigsten Informatikstandorte weltweit zu entwickeln.  Bildet Six selbst in der Informatik aus?
In der IT denken wir darüber nach, mehr Lehrlinge auch für Bereiche anzunehmen, die über die klassischen Sparten Infrastruktur und Applikationsentwicklung hinausgehen. Ein neues Berufsbild ist der Mediamatiker, eine Kombination aus neuen Medien und der Informatik.  Die Entwicklung in der Lehrlingsausbildung und auch im Betrieb ist schon absehbar: Die administrativen Tätigkeiten werden je länger, je weniger gefragt sein. Die Infrastruktur wird in eine Cloud wandern, standardisiert und virtualisiert. Dann braucht es weniger Infrastruktur-Know-how. Stattdessen werden Applikationsentwickler und eben Mediamatiker an Bedeutung gewinnen. Six will dieser Entwicklung vorgreifen, indem wir auch die neuen Ausbildungsberufe anbieten sowie auch mehr Lehrlinge einstellen. Auch Six erwägt den Wechsel in eine wie auch immer geartete Cloud? In den nächsten Jahren wird auch bei Six die Cloud zur Realität. Heute sind wir zum Beispiel mit den elektronischen Arbeitsplätzen schon auf dem Weg. Es muss jedoch umfassend geklärt werden, wie es um Datenschutz und Vertraulichkeit steht. Eine reine Public Cloud ist keine Option aufgrund der sensiblen Informationen, mit denen wir umgehen. Unsere Lösung wird eine Hybrid Cloud. Zum Beispiel die Börsenplattform oder das Kreditkartengeschäft werden sicher On-Premises bleiben.

Robert Bornträger 

ist seit 2008 verantwortlich für die Entwicklung und den Betrieb der gesamten Infrastruktur der Six. Zuvor war er CEO der Telekurs Services, CIO der Swiss International Air Lines und Mitglied der Geschäftsleitung bei Swisscargo und Cargologic. Er studierte Wirtschaftswissenschaft mit Fachrichtung Wirtschaftsinformatik an der Universität Zürich.



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