30.01.2014, 11:44 Uhr
IT-Vergaben im Seco unter Korruptionsverdacht
Dem «Tages-Anzeiger» liegen Dokumente vor, die beweisen sollen, dass bei der Vergabe von Seco-Aufträgen seit Jahren bestochen wird. Involviert sind IT-Verantwortliche.
Wirtschaftsminister Johan Schneider-Ammann ist gefordert: im Seco soll bei der Vergabe von IT-Aufträgen seit Jahren Korruption geherrscht haben
Ein Beamter besucht als VIP die Fussballweltmeisterschaft, fliegt in die Ferien oder zu einem Herbert-Grönemeyer-Konzert, die Rechnung wird von einer privaten Firma übernommen. Im Gegenzug erhält diese Firma vom Arbeitgeber des Beamten Aufträge in Millionenhöhe, frisiert Rechnungen und teilt die Provision wieder mit dem Beamten. Diese aus Büchern und Filmen bekannten Szenen manifestieren sich nun in einem mutmasslichen Korruptionsskandal in der Schweizer IT-Szene. Dem Tages-Anzeiger liegen Dokumente vor, die beweisen sollen, dass bei IT-Vergaben im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) jahrelang illegale Geschäfte gemacht wurden. Ausgerechnet im Seco, das erst krzlich in die Schlagzeilen kam ? ebenfalls vom «Tagi» aufgedeckt ? weil es Aufträge in Millionenhöhe freihändig vergab.
Illegal zu Millionen
Im Zentrum der neusten Enthüllungen stehen ein für Informatiksysteme zuständiger Seco-Direktor (vom Tagi «A» getauft) sowie der Direktor («X») und Chef («Z») einer Informatikfirma («Hans Muster AG»). Dieses Dreigestirn soll seit mindestens 2006 die eingangs beschriebenen Praktiken durchgeführt haben. So soll A auf Kosten der Informatikfirma unter anderem als VIP an die Fussballweltmeisterschaft in Deutschland eingeladen und stolzer Besitzer von bis zu sechs VIP-Jahreskarten für Fussballspiele der Young Boys Bern gewesen sein. Im Gegenzug erhielt die Firma von X und Z Zuschläge für IT-Aufträge. Zuletzt zwei davon im Oktober 2013 für ein Total von 7,7 Millionen Franken. Dass diese beiden öffentlich ausgeschrieben werden mussten, schien dabei kein Problem zu sein. Die Auftragsvergaben liess sich das Trio durch weitere Einfälle weiter vergolden. Gemeinsam überlegte man sich, wie hohe Aufwände verbucht werden können, ohne dass eine Kontrollinstanz dies merkt. Ein Lösungsansatz: Bei Hardware-Anschaffungen versteckt die Hans Muster AG Rabatte, die sie von Hersteller erhält und eigentlich weitergeben müsste. Eine dafür anberaumte Sitzung soll folgenden Wortlaut beinhaltet haben: X: «Wenn ich jetzt noch einen Zusatzrabatt heraushole, dann möchte ich den ja nicht ausweisen.» Dann fragt er A: «Das wolltest du ja auch nicht?» Die Antwort: «Nein nein, klar nicht.» Dazu soll die Hans Muster AG dem Seco unzählige Stunden verbucht haben, die nicht geleistet wurden. Die Unterlagen des «Tages-Anzeiger» sollen zeigen, dass die Hans Muster AG für die Mitarbeiter, die mit Seco-Geschäften zu tun haben, zwei Arbeitszeitkonten führt. Im einen werden die effektiv erbrachten Leistungen erfasst, im anderen die «Bonusstunden». Ein Beispiel: Gemäss der «Verkäufer-Analyse» von X ? einem internen Dokument aus der Firma ? hat die Hans Muster AG dem Seco im November 2012 Leistungen von 56 823.10 Franken in Rechnung gestellt. Der zugewiesene Aufwand ist lediglich mit 7734.70 Franken ausgewiesen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: es ging zu lange gut
Es ging zu lange gut
Die Hans Muster AG konnte so riesige Gewinne erwirtschaften, X und Y erhielten als Dank fürstliche Boni. Alleine von Januar bis November 2012 sollen diese das Viereinhalbfache des normalen Salärs betragen haben. Dass ein Teil dieses Geldsegens an A weitergegeben wurde, ist anzunehmen. Das Trio fühlte sich bei seinen Machenschaften extrem sicher. A besass die Dreistigkeit/Dummheit, den Emailverkehr mit X und Y über seine berufliche Adresse zu führen. Wenn sich die Drei trafen, wurden die Sitzungen aufgenommen. Diese und andere Dokumente liegen mittlerweile dem «Tages-Anzeiger» vor. Und sie belasten auch eine weitere Person. « Z», der Inhaber einer anderen Informatikfirma, durfte sich im Oktober über einen Seco-Auftrag im Wert von 6,1 Millionen Franken freuen. Was daran merkwürdig erscheint ist, dass A eine private Webseite betreibt, die über einem Internetserver von Z läuft. Eine private Verbindung scheint auch hier zu bestehen. Vom «Tages-Anzeiger» mit dem Vorfall konfrontiert, hat Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann am Dienstag eine Administrativuntersuchung angeordnet, die ein externer Experte durchführen soll. Zu den Vorwürfen will auf Anfrage des «Tages-Anzeiger» keiner der Beschuldigten Stellung nehmen. Direktor X verliess die Hans Muster AG per Ende 2013, Firmenchef Y wechselte innerhalb des Unternehmens. A steht kurz vor seiner Pensionierung. Wer die Firmen sind, ist nicht bekannt. Wer die Zeit investieren möchte, kann aber mit Hilfe der weiteren Angaben im Tages-Anzeiger und der Seite www.simap.ch, dem Informationssystem über das öffentliche Beschaffungswesen der Schweiz, Detektiv spielen.