03.01.2008, 08:33 Uhr
«Die IT krankt an ihrem falschen Image»
Alfred Breu, Präsident der Zürcher Lehrmeistervereinigung Informatik (ZLI), mahnt eine Imagekorrektur der IT-Branche an. Nur so könne der nahezu ausgetrocknete IT-Arbeitsmarkt belebt werden.
Computerworld: Wie präsentiert sich die IT-Branche der Schweiz im neuen Jahr?
Alfred Breu: Die Leistungen der Schweizer IT-Branche sind im internationalen Vergleich hervorragend. Sie beschäftigt 230000 Personen und erarbeitet 32,5 Milliarden Franken Wertschöpfung, also acht Prozent des Brutto--inlandproduktes (BIP). Sie hat beste Chancen, qualitativ hochstehende Produkte auf den Weltmärkten zu verkaufen. Vorausgesetzt, sie hat die Fachkräfte für die Entwicklung. Entsprechend bedeutend ist der IT-Arbeitsmarkt. Die Zahl der in der IT involvierten Menschen wird eher zu- als abnehmen.
Wie viele Informatiker fehlen denn derzeit?
Im Kanton Zürich begannen dieses Jahr 315 Lehrlinge, 57 Mittelschüler, 74 Privatschüler, 63 Berufsumsteiger und 161 Studenten an ETH und Uni Zürich ihre IT-Ausbildung. Andererseits wurden rund 1300 Informatiker pensioniert. Schweizweit stehen rund 1600 IT-Lehrlinge und 300 IT-Hochschulabsolventen 10000 Abgängen aller Art aus der IT-Branche entgegen. Das Defizit von gut 8000 Informatikern ist riesig. Zum Vergleich: In der ganzen EU fehlen rund 70000 IT-Spezialisten. Grundsätzlich könnten in den bestehenden Schweizer Ausbildungsgefässen schon heute deutlich mehr Informatiker ausgebildet werden. Aber es fehlen schlicht die interessierten Schulabgänger und Maturanden.
Weshalb fehlt das Interesse der jungen Leute an der IT?
Ein Grund ist die andauernde Outsourcing- und Offshore-Diskussion. Entsprechende Meldungen in den Medien lassen die IT «unsicher» erscheinen. Outsourcing wird als Rationalisierung und Entlassungen verstanden. Das nährt Ängste.
Was unternehmen Sie 2008 für die IT-Lehrlingsausbildung?
Die Informatik-Lehrmeistervereinigung informiert die Schüler über den wirklichen Stand der IT. Der IT-Standort Schweiz ist sehr stark, die Leistungen der Lehrabgänger sind topp, die Perspektiven für junge Leute perfekt. In der Schweizer IT-Branche, die viele internationale Konzerne angelockt hat, bestehen ideale Karriere- und Berufschancen. Das vermitteln wir an Berufsmessen, bei Veranstaltungen in Berufsberatungszentren und in Schulen. Parallel planen wir ein zweijähriges Basislehrjahr, um den Firmen den Einführungsaufwand ihrer Lehrlinge zu vereinfachen. Den Verantwortlichen - besonders der grossen Unternehmen - muss klar werden, dass bei jährlich fünf Prozent IT-Abgängern eine gleich hohe Nachwuchsausbildung nötig ist. Die Informatik-Lehre bildet zudem die erste Etappe des Fachhochschul-Bachelors der Informatik.
Qualifikationen sind in der IT gefragt. Was tun Sie, um die Nachwuchskräfte für eine entsprechende Qualifikation zu motivieren?
Wir beraten Betriebe und Lernende über die höhere Berufsbildung. Nach der Lehre sollen die jungen Menschen eine Fachhochschule oder höhere Fachschule besuchen oder sich berufsbegleitend auf höhere Fachprüfungen mit dem eidgenössischen Fachausweis oder Diplom vorbereiten.
Wohin bewegt sich der IT-Stellenmarkt?
Wenn es allen Beteiligten gelingt, das Image der IT zu korrigieren und sie als Mitentwicklerin neuer Produkte, Verfahren und Prozesse zu positionieren, ist ein Turnaround in einigen Jahren möglich. Aber das bedingt das Engagement aller! Bildung ist eine langfristige Angelegenheit - Image-Aufbau auch. Wir müssen die Betriebe dazu bringen, auch in der IT für sich selbst sorgen: Selber auszubilden ist der einzige Weg aus dem Dilemma.
Was ist nötig, um die Situation zu stabilisieren?
Die IT-Anbieter müssen an die Öffentlichkeit treten, ein «strategisches Personalmanagement» aufbauen und laufend überlegen, welche Mitarbeiter sie wann brauchen. Dann müssen sie diese rechtzeitig und in adäquatem Mass ausbilden.
Die IT hat bisher die berühmte Schweizer Qualität noch nicht erreicht! Da muss sie noch deutlich an sich arbeiten. Was mit Bildung zu tun hat. Der Konkurrent des Schweizer Informatikers ist ein IT-Hochschulabsolvent aus einem anderen Land. Also muss der Schweizer Nachwuchs auch IT-Spezialist werden, um bestehen zu können.
Was passiert sonst?
Es werden noch mehr ausländische Top-Informatiker, etwa aus Indien, ins Land geholt werden. Deren Interesse am Schweizer Arbeitsmarkt ist der beste Beweis dafür, dass der IT-Standort Schweiz klar besser ist, als das Offshore-Entwickeln! Sonst würde man ja nicht die Inder holen, sondern die Entwicklung nach Indien auslagern.
Volker Richert