Noser auf der CeBIT
15.03.2016, 10:13 Uhr
Die EU reguliert zu viel. Schweiz und Deutschland müssen Führungsrolle übernehmen
Die Schweizer ICT steht gut da, weiss es aber nicht. ICTSwitzerland-Präsident Ruedi Noser, Nikolaus Wirth, ETH-Präsident Lino Guzzella und Bundesministerin Johanna Wanka analysieren die Schweizer ICT-Industrie.
Bitkom-Präsident Thorsten Dirks zog für die europäische ICT-Industrie eine knallharte, ernüchternde Bilanz. "Wir haben die erste Halbzeit fünf zu null verloren", sagte Dirks Montagabend auf dem Swiss Summit der CeBIT. Alle grossen Plattformen seien in den USA entstanden. Die Schweiz und Deutschland hätten zwar sehr starke, weltweit erfolgreiche Leitindustrien: Pharma, Lebensmittel, Automobil, Maschinenbau und Elektrotechnik. "Wir müssen es aber auch schaffen, diese Industrien zu digitalisieren", beschwor Dirks.
Schädliche Regulierung aus Brüssel
Uber, Google, Facebook und Airbnb kommen sämtlich aus den Vereinigten Staaten. Woran liegt es, dass schweizerische, deutsche oder französische Firmen mit ihren amerikanischen Kollegen nicht so richtig mithalten können? Die Ideen sind da, aber an der Vermarktung mangelt. "Die EU in Brüssel reguliert zu viel", das ist für Ruedi Noser, Präsident von ICTSwitzerland, der Grund. Er sprach auf dem Swiss Summit Montagabend. Die Schweiz und Deutschland mit ihren starken Industrien müssten eine Führungsrolle in der Digitalisierung übernehmen. Denn mit 28 Mitgliedsländern sei der Sprung nach vorne nicht zu machen, so Nosers Resümee. Die ETH Zürich gehört zu den 10 besten Universitäten weltweit. "Sie kennen den Spruch: Die USA erfindet es, China produziert es und Europa reguliert es", sprach ETH-Präsident Lino Guzzella zum Publikum. Das sei nicht der Weg zum Erfolg. Guzzella fasst die digitale Transformation, die zurzeit leidenschaftlich diskutiert wird, so zusammen: "Alles, was Regeln hat, wird sich automatisieren und durch Algorithmen erledigen lassen". In der Informatik-Ausbildung sieht der ETH-Präsident Defizite. "Wir müssen unsere Studenten lehren, nicht Regeln zu befolgen, sondern Regeln kreativ zu brechen". Das sei in Zukunft die wichtigere Fähigkeit.
Schweizer Charakterstärken
Qualität und Zuverlässigkeit, die Schweizer Charaktereigenschaften, seien die Stärken der Schweizer Industrie, unterstrich die Informatik-Legende Nikolaus Wirth, der unter anderem die Programmiersprache Pascal erfunden hat. Ein hohes Innovationstempo wie in den USA dürfe diese Ziele nicht verdrängen. Da bestehe eine Gefahr, wir sollten die USA nicht kopieren, warnte Wirth. Denn in Konsequenz kommen dann in der Software-Industrie halb ausgereifte Programme auf den Markt, die gar nicht richtig funktionieren. Ein hohes Innovationstempo ohne Qualität nütze niemandem und sei oft sogar schädlich. Die ETH Zürich und andere weltberühmte Schweizer Universitäten seien Elitehochschulen, aber Eliten seien in der Schweiz nicht beliebt, kritisiert Wirth seine Landsleute. Eigentlich will keiner so recht dazu gehören, es sei verpönt, zur Elite zu gehören. Zudem sei in der Schweiz der unternehmerische Ansatz zu klein gedacht. Man konzentriert sich lieber zunächst auf den Schweizer Heimatmarkt. Ganz anders die USA: Wird im Silicon Valley ein Startup gegründet, dann will es gleich die Weltmärkte erobern. On das nun letztlich klappt oder nicht, sei dahin gestellt. Aber von diesem "Think big" wünschen wir uns auch in der Schweiz mehr.
Gleich lange Spiesse
"Ich reise öfter mit Startups ins Silicon Valley, und da gibt es ganz viele Erfolgserlebnisse", erzählt dagegen Ruedi Noser. Schweizer Startups hätten gleich lange Spiesse, das hätten die Schweizer nur noch nicht gemerkt. Die Amerikaner seien von der Ausgereiftheit der Schweizer Ideen begeistert. Amerikaner mögen schneller sein, Schweizer und Deutsche sind qualitätsbewusster, lassen sich mehr Zeit und kommen dann mit validen Konzepten auf den Markt. Das beeindrucke die Amerikaner, erzählt Noser von seinen USA-Reisen. Johanna Wanka, die deutsche Bundesministerin für Bildung & Forschung, wandte sich direkt an die Schweiz. Deutschland und die Schweiz machten mehr als 1500 Projekte gemeinsam, betonte die Ministerin. Die Schweiz sei ein sehr wichtiger Partner für Deutschland, und wir wollen, dass das so bleibt. Da war schon ein Drängeln zu spüren, denkt man an die Durchsetzungsinitiative der SVP, die vor Kurzem vom Schweizer Wahlvolk deutlich abgelehnt worden war. "Wir sind daran interessiert, gemeinsame Wege zu finden, deshalb freuen wir uns sehr, dass die Schweiz Partnerland der CeBIT ist", so Wanka weiter. Später in ihrem Vortrag war vom "voll assoziierten Mitglied Schweiz" die Rede. Solange die Regulierungswut aus Brüssel tobt, ist damit realistischerweise aber wohl nicht zu rechnen.