07.07.2005, 10:56 Uhr
Ernüchterung nach der Euphorie
Einst als Zukunftstrend propagiert, hat die Realität das Online-Lernen wieder eingeholt. Noch immer fehlt es an Inhalten.
«Vom E-Learning-Boom in den neunziger Jahren haben vor allem die Hardware-Verkäufer profitiert», fasst Matthias Vatter die letzten zehn Jahre im E-Learning-Markt zusammen. Vatter ist Co-Geschäftsführer der Berner Lernetz AG, die sich auf die didaktische Konzeption und Erarbeitung von Inhalten für elektronische Lernmedien spezialisiert hat. «Was fehlt, sind meist die entsprechenden Inhalte. Bis anhin wurde in der Schweiz das meiste Geld in die technische Infrastruktur oder in aufwändige Lernplattformen investiert», fährt Vatter fort. In den Bereichen «Informations-/Bildungsinhalte», «Entwicklung neuer Vermittlungsformen» und «neue Geschäftsmodelle» seien grössere Investitionen sowohl von der öffentlichen Hand als auch von der Privatwirtschaft ausgeblieben. Die Eidgenossenschaft stehe, verglichen mit anderen europäischen Staaten, in den damit verbundenen Bereichen «E-Learning» und «E-Government» denn auch hinten an, meint Vatter. Dieses Bild zeige sich auch in der schweizerischen Weiterbildungslandschaft. So würden einzelne Universitäten ihre vor wenigen Jahren teuer eingekauften Lernplattformen wegen schlechter Nutzerzahlen schon wieder abschalten, weiss Vatter.
Auch in Grossunternehmen wird der eigentliche Nutzen noch weitgehend verkannt. Unter dem Stichwort E-Learning wird den Lernwilligen eine meist stark textbasierte Lernplattform vorgesetzt. Die Vorteile verschiedener medialer Vermittlungsformen wird dabei weitgehend ausser Acht gelassen. Stattdessen wird gemeinsames Lernen und Kommunikation in Newsgroups geboten. Die Tatsache, dass E-Learning-Abteilungen meist dem IT-Bereich untergeordnet und nicht etwa der Aus- und Weiterbildung zugeteilt werden, unterstreicht zusätzlich die falsch gesetzten Prioritäten.
Es sind denn auch vor allem die Weiterbildungsbereiche von Branchenverbänden wie Swissmem (Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie) und Gastrosuisse (Verband für Hotellerie und Restauration), die die Entwicklung von E-Learning vorantreiben. Die Mitglieder beider Vereinigungen haben einen hohen Bedarf an örtlich und zeitlich unabhängiger Wissensvermittlung sowie am Lernen in Häppchen.
Fredy Haag