«Nächstenliebe funktioniert auch ohne IT»

Grösste Enttäuschung als CIO

CW: Was war Ihre bisher grösste Enttäuschung als CIO?
Haller: Vor sieben Jahren hatten wir den visionären Plan gefasst, für unsere 160 Standorte schweizweit eine zentrale Telefonie-Lösung einzuführen. Alle Mitarbeitenden sollten ihr Smartphone nutzen können, auf dem via App die klassische Telefonie abgelöst werden sollte. Wir hatten einen bekannten Telefonie-Dienstleister mit diesem Projekt beauftragt. Er hat zwar geliefert, die App hat aber nie so funktioniert, wie wir es geplant hatten. Es gab viel Frustration unter den Nutzenden und auch bei uns in der IT. Nicht einmal die Eskalation des Projekts auf die Firmenzentrale des Partners in Nordamerika brachte eine Besserung, sodass wir nach vielen Jahren die Übung abgebrochen haben.
Während der Pandemie kam Microsoft Teams auf, das einfach funktionierte und sich als Alternative anbot. Nun setzen wir bei den Softphones auf Teams, was sich in der Praxis sehr gut bewährt. Sowohl am Desktop als auch unterwegs auf dem Smartphone telefonieren die Kolleginnen und Kollegen heute ausschliesslich via Teams. Sie unterscheiden so auch, ob sie dienstlich oder privat erreichbar sein wollen: In der App lassen sich Zeiträume definieren, in denen jemand erreichbar ist. Ruft eine Person ausserhalb der persönlichen Arbeitszeiten an, bleibt das Handy stumm. Unsere Mitarbeitenden haben viel Freude an der Lösung.
Mit der Vision, eine schweizweit einheitliche Telefonie-Lösung bei der Heilsarmee zu etablieren, ist CIO Mathias Haller gescheitert
Quelle: Samuel Trümpy
CW: Wie viel Heilsarmee funktioniert, wenn der Server down oder das Netzwerk getrennt ist?
Haller: Unser Geschäft dreht sich in erster Linie um die Menschen. Nächstenliebe funktioniert auch ohne IT [schmunzelt]. Zur Sicherstellung einer professionellen Dienstleistung sind wir aber natürlich auch auf eine zeitgemässe und zuverlässige Infrastruktur angewiesen. Diese kann im schlimmsten Fall aber auch mal ein paar Stunden offline sein. Das beruhigt – auch angesichts der aktuellen Diskussion um Energiemangel und eine mögliche Stromknappheit. Wir haben just in der vergangenen Woche unsere Infrastruktur und IT-Systeme im Hinblick auf diese Szenarien getestet. Nun kann ich mir die Aussage erlauben, dass wir sicher mal ein paar Stunden ohne die zentrale IT weiterarbeiten könnten. Die administrativen Tätigkeiten am Hauptquartier müssten wir für den Moment einstellen, die Systeme für die medizinische Versorgung würden jedoch weiterlaufen. Die Kassensysteme in den Brockis ebenfalls, denn sie sind nicht direkt in die Infrastruktur der Heilsarmee eingebunden.
Auch die Tatsache, dass wir zum Beispiel die Office-Anwendungen von einem Dienstleister aus der Cloud beziehen, verringert die Wahrscheinlichkeit, dass alle Systeme gleichzeitig ausfallen. Auf einen Cyber-Angriff, der sicherlich einigen Schaden anrichten könnte, sind wir vorbereitet. Wie es bei einem landesweiten Stromausfall aussieht, können wir aber nur mutmassen. Dann gibt es jedoch sicherlich wichtigere Probleme zu lösen als den Betrieb der Kassen in den Brockis [schmunzelt].
CW: Sie haben «Leitlinien» für die Digitalisierung der Heilsarmee erarbeitet. Welchen Wert hat dieses Papier vor dem Hintergrund des doch eher traditionellen Geschäftsmodells Ihrer Organisation?
Haller: Danke für die Frage! Sie stand auch für uns am Anfang der Überlegungen. Wir sind aber zum Schluss gekommen, dass die Leitlinien auch für uns hilfreich sein können. Denn die Digitalisierung ist ein Fakt der heutigen Zeit. Sie fordert – wie jede andere gesellschaftliche Entwicklung – eine Antwort oder Reaktion aller betroffenen Gruppen. Wir als Heilsarmee müssen die Frage beantworten, wie wir mit dieser neuen Entwicklung umgehen. Bei der Beantwortung helfen uns die Leitlinien. Sie helfen ebenfalls bei der richtigen Priorisierung der anstehenden digitalen Projekte. Denn einerseits sind unsere Mitarbeitenden verunsichert in der neuen Realität und andererseits kommen auch andere gemeinnützige Organisationen auf uns zu und holen sich Rat. Wir als eine der grössten NGO [Non-Governmental Organization, Anm. der Redaktion] der Schweiz wollen in dieser Hinsicht auch Vorbild sein für die kleineren Organisationen.



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