20.01.2009, 09:37 Uhr
Ein graubrauner Kasten macht Computergeschichte
Kaum ein Gerät hat die Computerwelt derart umgekrempelt, wie der Mac-Rechner von Apple. "Heute ist eigentlich jeder Computer auf der Welt ein Macintosh", schwärmt Steve Wozniak, Mitgründer von Apple, und verweist auf die Ähnlichkeit der grafischen Benutzeroberfläche von Windows-, Linux-, Unix- und Macintosh-Rechnern.
Dumpfe Glatzköpfe in grauer Sträflingskleidung sitzen in Reih und Glied vor einem riesigen Bildschirm, auf dem ein an Orwells "Grossen Bruder" erinnernder Potentat eine Ansprache hält. In diese Versammlung platzt eine blondierte Athletin, die in ihrer roten Turnhose auffallend bunt aussieht, und schmettert einen Vorschlaghammer gegen die übergrosse Gestalt auf dem Monitor. Dieser explodiert und es erscheint ein Schriftzug, mit dem Apple die Einführung des Macintosh-Computer am 24. Januar 1984 ankündigt. Wie der Werbefilm, der während des Endspiels der amerikanischen Football-Liga ausgestrahlt wurde, suggeriert, sollte die später von Apple-Mitgründer Steve Jobs vorgeführte braungraue Rechenkiste den Computermarkt wenn nicht umkrempeln, so doch nachhaltig beeinflussen. Zu den wichtigsten Neuerungen gehörten die grafische Benutzeroberfläche und die Maus. Beide Features waren nicht ausschliesslich auf Apples Mist gewachsen, sondern schon Jahre vorher am Palo Alto Research Center (Parc), dem Forschungszentrum der Firma Xerox, entwickelt worden. Aber Apple verpackte diese Techniken als erste in ein seriengefertigtes Gerät, das auch für den "Mann auf der Strasse" halbwegs erschwinglich, wenn auch mit 2500 Dollar und in der Schweiz mit gut 10'000 Franken, nicht gerade ein Schnäppchen darstellte. Weiter gehts auf der nächsten Seite. Ein weiteres Novum war die Programmierumgebung Toolbox. Statt für eine Applikation alle Befehle bis auf die Hardwareebene ausformulieren zu müssen, gab die Werkzeugkiste den Mac-Entwicklern einen Bausatz in die Hand. Die Folge: Alle Mac-Programme sehen ähnlich aus und sind daher einfacher zu bedienen.
Es beginnt im Parc
Um die Entstehung des Macs ranken sich zahlreiche Legenden und Mythen. Eine dieser Legenden erzählt von einem Besuch von Jobs 1979 im Parc. Dort bastelten die besten Ingenieure der USA an einem Alto genannten Computer. Dieser Prototyp, ein tischplattenfüllendes Ungetüm, wies alle Merkmale auf, die wir heute von einem PC gewohnt sind. Er verfügte über eine Maus als zusätzlichem Eingabegerät und eine grafische Benutzeroberfläche. Nach dem Besuch soll sich Jobs in den Kopf gesetzt haben, den Alto nachzubauen und zum selben Preis des Apple II, dem PC von Apple, zu vermarkten. Lesen Sie mehr auf der nächsten Seite.
Jobs beginnt darauf das Projekt Lisa (Large Integrated System Architecture). Dieser Computer war dem künftigen Macintosh technisch gesehen überlegen, so verfügte Lisa über Multitasking-Fähigkeiten. Doch Jobs hatte keine glückliche Hand bei der Führung des Lisa-Projekts. Apple-CEO Mike Markkula entzog ihm die Projektleitung. Jobs mischte darauf im Projekt von Jef Raskin mit, der bereits seit 1979 an der Entwicklung des Macintosh werkelte und als eigentlicher Urvater des Mac gelten darf. Lisa wurde zwar doch noch auf den Markt gebracht. Das Gerät war aber zu teuer und wurde zum Flop.
Der erste Mac
Mit viel Marketinggetöse stellte Steve Jobs am 24. Januar 1984 den ersten Macintosh der Öffentlichkeit vor. Dieser besass einen 128 KByte grossen Zwischenspeicher, der nicht erweitert werden konnte. Zu diesem gesellte sich ein 64 KByte grosses Read Only Memory (ROM), in dem Teile des Betriebssystems untergebracht waren. Mehr Infos über den ersten Mac finden Sie auf der nächsten Seite. Der erste Mac verfügte über ein einziges Diskettenlaufwerk und keine Festplatte. Nur gerade 400 KByte fassten die Disketten, die nicht wie damals üblich 51/4 Zoll massen, sondern 31/2. Auch der Bildschirm war mit seinen neun Zoll Durchmesser nicht gerade riesig. Das Ganze wurde vom Motorola-Chip 68000 mit einer Taktfrequenz von acht MHz angetrieben.
Der Ur-Mac war wirtschaftlich gesehen ein Wagnis: Denn die braungraue Kiste war zu nichts und niemandem kompatibel, weder zu IBMs 1981 eingeführten PC, noch zu Apples früheren Rechnern Apple I und II. Auch fehlten ihm Applikationen, die einen Umstieg gerechtfertigt hätten. Die damals geläufige Tabellenkalkulation 123 von Lotus wurde erst 1991 portiert. Mit der Textverarbeitung Macwrite konnten höchstens kürzere Schriftstücke verfasst werden, die auf einem Nadeldrucker ausgegeben ästhetisch nicht überzeugten. Auch das Zeichenprogramm Macpaint war Welten entfernt von heutigen CAD-Programmen (Computer Aided Design). Kein Wunder, wurde der erste Mac von vielen Kritikern als Spielzeug abgetan. Dies trotz seiner Verdienste wie der grafischen Benutzeroberfläche, mit der Befehle durch «sehen und klicken» ausgewählt wurden und nicht umständlich erinnert und in eine spröde Commandozeile getippt werden mussten.
Killerapp kam später
Ein gewisser Durchbruch gelang Apple erst, als ein Jahr darauf ein Laserdrucker und das von Aldus entwickelte Seitengestaltungsprogramm Pagemaker 1.0 auf den Markt kam. Durch diese Kombination wurde es möglich, auf der eigenen Tischplatte einen kleinen Druckereibetrieb zu errichten: Das Desktop Publishing war geboren. Aber auch durch diese Killerapp-Kombination konnte der Macintosh nie das Gros der Büroanwender, bei denen die seit 1981 verfügbaren IBM-PC mit Microsofts Disk Operating System (DOS) ihren Dienst verrichteten, erreichen. Immerhin galt Apple zeitweise mit Marktanteilen von rund zehn Prozent als zweitgrösster PC-Bauer. Weiter gehts auf der nächsten Seite. Gründe für den mangelnden Markterfolg gibt es viele: Der wohl wichtigste ist der, dass Apple es verpasst hatte, die Macintosh-Technik zu lizenzieren. Erst 1990, als Microsoft mit Windows 3.0 ihre erste brauchbare grafische Benutzeroberfläche für ihr Disk Operating System (DOS), das auf allen IBM-Clones lief, veröffentlichte und Apple in Bedrängnis brachte, wurde die Idee einer Lizenzierung und Portierung auf IBM-Rechner in Erwägung gezogen. Doch Apples Führungsriege verwarf die Idee als «zu spät». Auch das Clone-Intermezzo von 1995 bis 1997, als Firmen wie Power Computing Macintosh-Nachbaus in Lizenz herstellen durften, brachte nicht die erhoffte Verbreiterung der Mac-Betriebssystem-Anwenderbasis. Vielmehr schnitten die Cloner sich einen guten Teil des hochmargigen Highend-Marktes ab.
CEO-Verschleiss
Überhaupt waren die 90er Jahre eine turbulente Zeit für Apple. John Sculley wurde 1993 durch Michael Spindler ersetzt. Scully half den Mac etablieren, wurde von Jobs an Bord geholt und schickte diesen 1985 in die Wüste. Spindler, der ehemalige Apple-Deutschlandchef, war nicht gerade ein charismatischer Führer, aber er verpasste den Macs einen neuen, schnelleren Prozessor, den Power-PC. Doch finanziell ging es dem Konzern zunehmend schlechter. Ende 1995 wurde der Schuldenberg so gross, dass die Aktionäre nach einem Führungswechsel verlangten. Anfang 1996 stieg Gilbert Amelio auf den Apple-Thron. Der Sanierer von National Semiconductor kehrte auch in Cupertino mit eisernen Besen. Er spaltete Apple in eigenständige Bereiche auf und entliess Teile der Belegschaft. Ende 1996 erzielte die Firma wieder knapp Gewinne. Gleichzeitig kündigte Apple an, Jobs Neugründung Next, die einen Rechner mit dem Unix-Derivat Nextstep entwickelt hatte, zu übernehmen und damit Jobs wieder an Bord zu holen. Amelios anfänglicher Finanzerfolg schlug sich 1997 ins Gegenteil um. Apple erwitschaftete riesige Verluste, worauf Amelio gehen musste. Jobs wurde CEO, zunächst ad interim. Unter Jobs Ägide konnte Apple sich aufrappeln. Zu diesem Turnaround haben zunächst die kunterbunten iMac-Modelle beigetragen. Danach aber konnte Jobs mit dem iPod und schlussendlich mit dem iPhone und dem iPad neue Anwenderschichten anzapfen. Dies wiederum hatte zur Folge, dass auch die Macintosh-Rechner wieder mehr nachgefragt wurden.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: «Jobs hätte den Mac beinahe verhindert»
Jobs hätte den Mac beinahe verhindert
Der Macintosh sei das Kind von Apple-Chef Steve Jobs, meinen viele. Kein Wunder: Hat doch der erste Mac 1984 von Jobs in seinem synthetischen Stimmchen geschwärmt, dieser sei "wie ein Vater" zu ihm gewesen.
Nach Recherchen von Owen Linzmayer, der in seinem Buch "Apple Confidential 2.0" die Geschichte der Firma minutiös festhält und sich mit vielen Apple-Mitarbeitern der ersten Stunde unterhalten hat, ist dieser Eindruck allerdings falsch. Vielmehr habe Jobs den Macintosh fast verhindert, als dessen Entwicklung noch in den Kinderschuhen steckte. Der eigentliche Vater des Mac sei Jef Raskin. Der zum Berater mutierte Uniprofessor wird von Apple 1978 angeheuert, um Handbücher zu schreiben. Ab etwa 1979 baut er einen 500 Dollar teuren Game-Computer, was ihm aber wenig Spass bereitet. Daneben beginnt er ein neues Projekt, das er Macintosh nennt. "Ich wollte einen Rechner bauen, der auf die Bedürfnisse des Anwenders Rücksicht nimmt, was damals unvorstellbar war", erinnert sich Raskin. Er skizziert also einen Computer für den "Mann auf der Strasse". Raskin geniesst zwar die Unterstützung des Aufsichtsrats. Ansonsten werkelt er allein am Mac.
Vor allem Jobs frotzelt gegen Raskins Projekt, besonders nachdem dieser sich seinen Schüler Bill Atkinson als Programmierer, der auch für Jobs Unternehmensrechner Lisa Software schreibt, sowie Apples Mitgründer und Technologiepapst Steve Wozniak an Bord holt. "Jobs hasste die Idee", wird Raskin zitiert. "Er rannte durch die Flure und schrie 'Nein! Das wird nie funktionieren'". An jeder Aufsichtsratssitzung versuchte er, das Mac-Projekt kleinzureden.
Doch später lässt sich Jobs überzeugen und ist dann Feuer und Flamme für den Mac. So sehr, dass er, als Apple-CEO Mike Markkula ihn vom Lisa-Projekt abzieht, ins Mac-Lager wechselt. Dort ist er zunächst für die HardwareEentwicklung zuständig, während Raskin die Softwareprogrammierung managt. Der charismatische Jobs setzt das Mac-Projekt schnell zuoberst auf die Apple-Traktandenliste. Als er 1982 auch den Softwarearm übernehmen will, kündigt Raskin und Jobs erhält die alleinige Erziehungsberechtigung für das Baby.