24.10.2011, 06:00 Uhr
Querdenker, erhebt euch!
Der erfolgreiche Weg verläuft nicht selten fern der ausgetrampelten Pfade. Es brauche mehr Querdenker in den Unternehmen, heisst es allenthalben. Doch was bedeutet Querdenken und wie fördert man die Kreativität unter den Mitarbeitenden?
Der Autor ist Journalist und Texter in Winterthur. Der Beitrag ist ein Auszug aus der August-Ausgabe des SKO-LEADER, dem Verbandsmagazin der Schweizer Kader Organisation. Computerworld und SKO sind Medienpartner. Geschätzt und bewundert von den einen, sind sie anderen suspekt und gelten als anstrengende Nervensägen. Querdenker faszinieren. Sie polarisieren aber auch. Visionäre wie Gottlieb Duttweiler, Nicolas Hayek oder Werner Kieser haben eines gemeinsam: Sie verfolgten hartnäckig ihren Weg, zeigten Durchhaltewillen und bewegten sich als Nonkonformisten fern des Mainstreams. Sie waren kreativ und dachten oder denken noch heute quer. Querdenken nennt man auch laterales Denken. Informationen dürfen dabei subjektiv bewertet und selektiv verwendet werden. Querdenker gehen meistens wenig analytisch an Probleme heran und lassen sich mehr von ihrer Intuition leiten. Konventionelle Denkmuster stellen sie infrage – und sie suchen ganz bewusst unwahrscheinliche Lösungsansätze. Geht nicht, gibt es für sie nicht. Nicht zu verwechseln sind Querdenker mit Querulanten oder Querköpfen. Letztere sind meist vor allem darauf bedacht, Wirkung zu erzielen. Querdenkern ist es in der Regel ziemlich egal, was andere über sie denken.
Die Kunst des Regelbruchs
Der deutsche Trendforscher und Autor Sven Gábor Jánszky wird oft als «Rulebreaker» etikettiert. Unter diesem Titel und dem Zusatz «Wie Menschen denken, deren Ideen die Welt verändern» hat er 2010 ein Buch veröffentlicht, das anhand von Beispielen zu erklären versucht, worum es beim Querdenken geht. Jánszky schreibt etwa vom Hamburger Reeder, der wider jegliche Vernunft einen als unsanierbar geltenden Ex-DDR-Staatsbetrieb übernimmt und zum Erfolg bringt oder von einem ehemaligen eBay-Händler, der gegen die grössten Widerstände der gesamten Zunft Discount-Apotheken in Deutschland einführt. «So unterschiedlich die Geschichten und Charaktere auch sind, sie alle kennen ein Erfolgsgeheimnis: die Kunst des Regelbruchs», schreibt Jánszky, der mit seinem Buch durchaus auch provozieren will. «Ich werde jeden Tag versuchen, gefeuert zu werden!», lautet zum Beispiel Regel Nummer 10 seiner «zehn Regeln des Regelbruchs». Der Begriff des Querdenkens wird zuweilen überstrapaziert. Beim jährlich stattfindenden «Querdenker-Kongress» in München und dem zugehörigen «Querdenker-Club» sowie dessen «Querdenker-Magazin» scheint es zum Beispiel eher darum zu gehen, das Thema Innovation anders zu verpacken. Reto Schnyder, Gründer und Geschäftsführer der Basler Innovationsagentur Break/through kann mit dem Begriff nicht viel anfangen. «Was bedeutet Querdenken schon? Doch vor allem, nicht das zu tun, was man sonst so macht», meint er. Das Wort werde hauptsächlich von Leuten verwendet, die sehr angepasst sind und stur nach irgendwelchen BWL-Checklisten vorgehen. «Dann wollen sie einmal ausbrechen und machen einen Kreativ-Workshop, um darauf wieder zur Tagesordnung überzugehen», so Schnyder.
Keine Kreativität auf Knopfdruck
Klar ist: Kreatives Querdenken ist nicht auf Knopfdruck zu haben. Wer sonst risikoscheu, immer analytisch und am liebsten nach vorgegebenen Prozessen und Strukturen funktioniert, wird nicht plötzlich kreativ. Auch Apple-Chef Steve Jobs spaziert ja nicht einfach in seine Entwicklungsabteilung und erklärt: «Hi guys, jetzt denken wir alle mal quer!» Ist kreatives Querdenken wirklich gefragt, muss erst einmal ein entsprechendes Klima geschaffen werden, in dem sich Kreativität entfalten kann. Oder wie es Schnyder ausdrückt: «Das ist in der DNA des Unternehmens. Es braucht eine ermutigende Unternehmenskultur.»
Aus Misserfolgen lernen
Doch was ist dazu nötig? Schnyder und seine Kollegen haben sechs Faktoren ausgemacht, die Querdenken und damit Innovationen im Unternehmen fördern. Zunächst brauche es eine Misserfolgskultur, was nicht zu verwechseln sei mit Fehlerkultur. «Aus Misserfolgen soll man lernen, indem die Firma eine lernende Organisation ist.» Zweitens gehe es um Flexibilität. Viele Prozesse in Unternehmen töteten die Kreativität schlicht ab. Risikobereitschaft ist ein weiterer Faktor. Man müsse viel mehr die Chancen statt immer nur die Gefahren eines Projekts erkennen. Viertens sei Offenheit wichtig, also zum Beispiel ein früher, intensiver Austausch schon während eines «work in progress», statt möglichst bis zum Schluss alles als top secret zu erklären. Faktor Nummer fünf sei Vertrauen, und last but not least brauche es ein hohes Mass an «Commitment». Aufgrund seiner Beratertätigkeit glaubt Schnyder, dass es in Schweizer Unternehmen vor allem an der Misserfolgskultur mangle. Misserfolge würden immer noch am liebsten unter den Teppich gekehrt. Dabei entstehen grosse Produktinnovationen mit durchschlagendem Erfolg eben häufig erst durch vorausgehende Misserfolge. Ein gutes Beispiel dafür ist Nestlés Kaffeekapselsystem Nespresso. Zweimal scheiterte die Umsetzung grandios, bevor die Idee den Kaffeemarkt revolutionierte. «An Querdenkern fehlt es hierzulande nicht», wie Schnyder findet. «Vielmehr an denjenigen, die eine gute Idee auf den Boden und zum Erfolg bringen können.»
Genauer hinsehen
Von den gängigen Kreativitätstechniken wie Mindmapping, Brainstorming und dergleichen mehr hält Schnyder wenig. Sein Team arbeite heute stark mit den Erkenntnissen aus explorativen Recherchen. «Wir beobachten sehr genau auf der ganzen Welt und lassen uns davon inspirieren. Aus Bedürfnissen, die wir so erkennen, kreieren wir dann Ideen und Lösungsansätze», erklärt er seine Arbeit für Kunden wie BASF, Mammut, Carlsberg oder die Migros. «Kreativität beginnt mit der Neugierde», lautet auch das Credo von Gottlieb Guntern. Der frühere Arzt und Psychiater aus dem Wallis, der heute als Kreativitätsforscher und Coach tätig ist, hat diverse Bücher zum Thema geschrieben. Für ihn sind es mehrere Mechanismen, die den kreativen Prozess hemmen. Dazu gehört, dass wir uns zu oft blindlings an Facts und Figures klammern und dabei Ideen, Werte, Überzeugungen, Stimmungen und dergleichen mehr vergessen. Und, dass wir uns oftmals fanatisch aufs Ziel fixieren, dafür aber blind werden für alles, was nicht unmittelbar der Zielerreichung dient. Übertriebenes Interesse an Macht, Prestige, Karriere und Geld ist gemäss Guntern ebenfalls Gift für die Kreativität.
Hohe Frustrationstoleranz
Geht es um die erfolgreiche Umsetzung von wirklich innovativen Ideen, ist sehr viel Ausdauer gefragt. Kreative Menschen bringen nebst ihrer Begabung immer eine grosse innere Motivation mit. Sie engagieren sich leidenschaftlich für eine Sache und besitzen eine hohe Frustrationstoleranz. Auch wenns schwierig wird und sie starken Gegenwind spüren, bleiben sie produktiv und denken nicht ans Aufgeben. Nur so ist es einem Nicolas Hayek gelungen, die gesamte Schweizer Uhrenindustrie zu sanieren und später mit dem Aufbau der Swatch Group Wirtschaftsgeschichte zu schreiben.