02.08.2017, 06:10 Uhr

Mit Quantencomputern komplexe chemische Prozesse aufklären

Wissenschaft und Computerindustrie setzen grosse Hoffnungen auf Quantencomputer, mögliche Anwendungen beschreiben sie aber meist nur vage. Anhand eines konkreten Beispiels zeigen Wissenschaftler der ETH Zürich nun, was künftige Quantencomputer tatsächlich zu leisten vermögen.
Künftige Quantencomputer werden den Reaktionsmechanismus des Enzyms Nitrogenase berechnen können. Im Bild das aktive Zentrum des Enzyms und eine für die Berechnung zentrale mathematische Formel.
Nichts geringeres als eine technologische Revolution erwarten Fachleute von Quantencomputern: Sie sollen bald schon Probleme lösen können, die wegen ihrer hohen Komplexität ausserhalb der Reichweite klassischer Supercomputer liegen. Die Datenverschlüsselung und -entschlüsselung sowie die Lösung spezieller Probleme in der Physik, Quantenchemie und Materialforschung sind oft genannte Anwendungsgebiete.
Wenn es um konkrete Fragen geht, deren Beantwortung Quantencomputer voraussetzen, blieben Experten bisher jedoch meist vage. Forschende von der ETH Zürich und von Microsoft Research präsentieren nun in der Fachzeitschrift PNAS erstmals eine ganz konkrete Anwendung: die Berechnung einer komplexen chemischen Reaktion. Damit veranschaulichen die Wissenschaftler, dass von Quantencomputern tatsächlich wissenschaftlich relevante Beiträge zu erwarten sind. Anhand von Simulationen zeigen die Forschenden um die ETH-Professoren Markus Reiher und Matthias Troyer, dass sich eine komplexe chemische Reaktion mithilfe eines Quantencomputers berechnen lässt. So ein Quantencomputer müsste von «moderater Grösse» sein, wie Matthias Troyer sagt. Er ist Professor für Computational Physics an der ETH Zürich und derzeit für Microsoft tätig. Die von den Wissenschaftlern präsentierte Reaktion ausschliesslich mit einem klassischen Supercomputer zu berechnen, wäre kaum möglich – insbesondere, wenn die Lösung ausreichend präzis sein soll.

Eines der komplexesten Enzyme

Als Anschauungsbeispiel verwendeten die Forscher in ihrer Studie eine besonders komplexe Reaktion aus der Biochemie: Bestimmte Mikroorganismen können dank eines speziellen Enzyms, einer Nitrogenase, die in der Luft vorkommenden Stickstoffmoleküle spalten und daraus chemische Verbindungen mit nur einem Stickstoff-Atom herstellen. Wie genau die Nitrogenase-Reaktion abläuft, ist jedoch unbekannt. «Es ist dies eine der grossen ungelösten Fragen der Chemie», sagt Markus Reiher, Professor für Theoretische Chemie an der ETH Zürich. Mit heutigen Computern lässt sich das Verhalten einfacher Moleküle recht genau berechnen. Für die Nitrogenase beziehungsweise deren aktives Zentrum sei dies jedoch praktisch nicht möglich, da das Molekül zu komplex sei, erklärt Reiher. Komplexität heisst in diesem Fall, wie viele Elektronen innerhalb des Moleküls über verhältnismässig lange Strecken miteinander wechselwirken. Je mehr Elektronen die Wissenschaftler berücksichtigen müssen, desto umfangreicher werden die Berechnungen. «Mit bestehenden Methoden und klassischen Supercomputern kann man Moleküle bis höchstens rund 50 stark wechselwirkenden Elektronen berechnen», so Reiher. Beim aktiven Zentrum der Nitrogenase müsse man jedoch deutlich mehr solcher Elektronen berücksichtigen. Weil sich auf einem klassischen Computer der Aufwand für jedes zusätzliche Elektron verdoppelt, bräuchte es dafür unrealistisch hohe Rechenkapazitäten. Nächste Seite: Andere Computer-Architektur

Andere Computer-Architektur

Wie die ETH-Forschenden nun zeigten, werden hypothetische Quantencomputer mit nur 100 bis 200 Quanten-Bits (Qubits) komplexe Teilprobleme innerhalb von einigen Tagen berechnen können, dank derer der Reaktionsmechanismus der Nitrogenase schrittweise bestimmt werden könnte. Dass Quantencomputer solche herausfordernden Aufgaben überhaupt lösen können, liegt unter anderem daran, dass sie grundsätzlich anders aufgebaut sind als klassische Computer. Quantencomputer benötigen pro zusätzlich zu berechnendes Elektron nicht doppelt so viele Bits, sondern einfach ein zusätzliches Qubit. Wann es solche «moderat grossen» Quantencomputer geben wird, ist allerdings ungewiss. Derzeitige experimentelle Quantencomputer besitzen erst um die 20 rudimentäre Qubits. Bis zu einem Quantencomputer, bei dem mehr als hundert qualitativ hochstehende Qubits für Rechenoperationen zur Verfügung stehen, wird es noch mindestens fünf, vermutlich jedoch eher zehn Jahre dauern, schätzt Reiher.

In Massen und miteinander vernetzt

Weil Quantencomputer nicht alle Aufgaben lösen können, werden sie klassische Computer dereinst nicht verdrängen, sondern ergänzen, wie die Forscher betonen. «Die Zukunft wird geprägt sein von einem Zusammenspiel von klassischen Computern und Quantencomputern», sagt Matthias Troyer. Im Fall der Nitrogenase-Reaktion wird es so sein, dass Quantencomputer berechnen, wie die Elektronen in einer bestimmen Molekülstruktur verteilt sind. Welche Strukturen besonders interessant sind und daher berechnet werden sollen, wird hingegen weiterhin ein klassischer Computer dem Quantencomputer mitteilen müssen. «Den Quantencomputer muss man sich eher wie einen Co-Prozessor vorstellen, der einem klassischen Computer bestimmte Aufgaben abnehmen und ihn so beschleunigen kann», sagt Markus Reiher. Um den Mechanismus der Nitrogenase-Reaktion aufzuklären, reicht es ausserdem nicht, die Elektronenverteilung in einer einzigen Molekülstruktur zu bestimmen. Vielmehr muss diese Verteilung in tausenden von Strukturen bestimmt werden. Jede Berechnung dauert mehrere Tage. «Damit Quantencomputer für diese Art von Problemen von Nutzen sind, müssen sie dereinst in Massen zur Verfügung stehen. So können die Berechnungen auf mehreren Rechnern gleichzeitig laufen», so Troyer.



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