Interview 07.02.2012, 16:42 Uhr

«Die Jobs der Zukunft werden noch erfunden»

Dave Evans ist Ciscos «Chef-Futurist» und hat zehn Vorhersagen für die nächsten zehn Jahre gewagt. Computerworld konnte sich am Rande der Cisco Live Europe 2012 in London mit ihm über seine Thesen unterhalten.
Dave Evans schaut für Cisco in die IT-Kristallkugel
Computerworld: Das Internet der Dinge ist in aller Munde. Auch Sie sehen dies als einer ihrer zehn Toptrends. Was wird in ein paar Jahren alles mit dem Internet verbunden sein?
Dave Evans: So ziemlich alles, das sich ein- und ausschalten lässt, wird am Internet hängen: Selbstverständlich alle Elektronikgeräte. Daneben werden aber auch unerwartete Dinge verbunden werden. So werden Leute direkt verbunden werden, medizinische Geräte, Autos, Herden, Schuhe und jede Glühbirne in Ihrem Haus. Sogar Pillen, die Sie schlucken, werden sich mit dem Internet kurzschliessen und dem Arzt Daten zuschicken.
CW: Ich verstehe ja, dass es für einen Bauer Sinn macht, seine Rinder mit Sensoren zu versehen. Bei Menschen ist das doch aber heikler. Werden wir es zulassen, dass uns Sensoren eingepflanzt werden, die dann ins Web gehen?
Evans: Ja, unter gewissen Umständen sicher. Wenn Sie in der Armee sind oder das Mitglied eines Rettungsdienstes, wenn also ihre Sicherheit und ihre Kommunikationsfähigkeit mit Teammitgliedern erhöht werden kann, werden Sie sehr wohl sich verbinden lassen. Bei anderen Gruppen wird es schwieriger. Wir werden kaum erleben, dass die grosse Mehrheit es akzeptiert mit einem Tracking-Chip ausgestattet zu werden. Allerdings muss ich hier einwerfen, dass sich schon heute viele Leute mit dem Internet verbinden und beispielsweise ihren Standort preisgeben, indem sie ein Smartphone besitzen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Zettabyteflut
CW: Ein weitere Vorhersage bezieht sich auf eine Datenflut unerhörten Ausmasses im Zettabytebereich, die auf uns zukommen wird. Hauptsächlich soll es sich dabei um Videodaten handeln. Wer soll aber all diese Videos anschauen?
Evans: Ihr Einwand ist berrechtigt. Es werden auch nicht Menschen sein, die all diese Videoinhalte anschauen müssen. Maschinen werden sie betrachten. Wir sind bald soweit, dass Filme in Echtzeit analysiert und interpretiert werden können. Schon heute lassen sich Videos indexieren und mit Hilfe von Spracherkennung durchsuchbar machen. Ich kann dann also mein Videoarchiv fragen: «Wann hat der Vortragende x das Thema y angeschnitten». Das ist definitiv neu. Denn bislang konnten wir zwar Texte durchsuchen, aber keine Rich-Media-Inhalte. Daneben werden sich künftig Inhalte besser zusammenfassen lassen. Wenn Sie mich fragen, wie der Film war, den ich gestern im Kino angeschaut habe, kann ich ihnen in wenigen Minuten eine Zusammenfassung und sogar eine Einschätzung liefern. Mein Hirn kann diese Verarbeitung für Sie vornehmen. Maschinen sind da noch nicht ganz so weit, aber sie werden das demnächst auch können. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir Systeme haben, die Video viel intelligenter verarbeiten können als bisher.
CW: Ist das dann die «Weisheit» in der Cloud, von der Sie in Ihren Thesen sprechen?
Evans: Ja, das ist ein grosser Teil davon. Die Cloud nimmt das Wissen und verwandelt es in Weisheit. Ich würde allerdings Weisheit hier mit Wissen gleichsetzen, in das man Einblick hat, um daraus neue Erkenntnisse zu gewinnen.
CW: Das Wort «Weisheit» finde ich in diesem Zusammenhang sehr gewagt...
Evans: Das ist es. Weisheit setzt eine gewisse Intelligenz voraus, die wir als Menschen haben. Es setzt zudem eine historische Perspektive voraus. Doch was beim Internet so interessant ist: Wir sind dabei, das ganze Wissen der Welt in die Cloud zu stellen. Wenn wir das einmal analysieren und auswerten, Vorgänge und Dinge in Zusammenhang zu einander bringen können, dann ist das Weisheit vom Feisten.
CW: Wird künstliche Intelligenz diese Analyse-Aufgabe wahrnehmen müssen?
Evans: Definitiv, einschliesslich Video-Analyse und Mustererkennung.
CW: Stehen diese Verfahren überhaupt schon zur Verfügung?
Evans: Es gibt schon sehr gute Prototypen und Ansätze. Deshalb glaube ich, dass das innerhalb eines Zeitrahmens von zehn Jahren möglich sein wird. In diesem Zusammenhang hat IBM mit Watson ein schönes Beispiel geliefert. Dieses System kann enorme Mengen von Daten verarbeiten, Muster vergleichen und daraus einen Sinnzusammenhang extrahieren. Das ist ein grosser Schritt nach vorne. Wenn man heute etwas im Web sucht, muss man aus den vielen Antworten erst noch die richtige heraussuchen. Man ist also selbst für das richtige Ergebnis verantwortlich. Wieviel besser wäre es da, wenn Suchmaschinen wie Watson existieren würden, die alle Rohdaten der Welt durchforsten und eine einzige Antwort auf unsere Frage ausspucken, die dann auch noch die einzig richtige ist. Das ist ziemlich gute künstliche Intelligenz. Wie gesagt: So weit sind wir noch nicht, aber dahin geht die Reise. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wieviel Bandbreite braucht der Mensch
CW: Sie behaupten, dass Ihr Internetanschluss zuhause in zehn Jahren drei Millionen mal schneller sein wird als 1990, als Sie das erste Mal online gingen. Ihre Leitung wird also ein Gigabit pro Sekunde erreichen. Wer wird eigentlich so viel Bandbreite benötigen?
Evans: Jeder von uns. Lassen Sie mich das mit einem Beispiel erläutern: Vor 20 Jahren, als ich bei Cisco anfing, war ich unter anderen Dingen Systemadministrator für einige Unixsysteme. Ich brauchte also lediglich eine Telnet-Verbindung, um meinen Job zu erledigen. Heute besitze ich nicht weniger als 38 Geräte, die eine Internetanbindung erfordern. Neben dem PC und Laptop sowie mehreren Smartphones, ist das mein Fernseher, mein DVD-R-Aufnahmegerät und meine XBox, um nur ein paar zu nennen. Diese verlangen alle ständig nach mehr Bandbreite. Denn ich kann mit ihnen in einigen Minuten einen Film herunterladen, ich kann mich via Videokonferenz mit meinen Kollegen und Geschäftspartnern in Verbindung setzen. So sieht die Situation heute aus. In Zukunft wird es noch mehr Geräte mit Bildschirm geben, die ihre Inhalte aus dem Netz beziehen. So werden bald die Fenster Displays sein. Gleichzeitig wächst die Datenmenge, die einzelne Geräte produzieren. Heutige HD-Filme werden bald Super-HD-Videos weichen, die Displays werden eine 4000er und 8000er Auflösung haben oder sogar holografischer Natur sein, was eine weitere Vervielfachung der Datenmenge bedeutet. Das gleiche gilt für Bilder, die wir mit unseren Kameras schiessen. Sie werden nicht Megapixel wie heute, sondern Terapixel aufweisen. Wir werden also Inhalte ins Web hoch- und aus dem Internet herunterladen, die eine vielfach höhere Datenmenge ausmachen als heute. Somit werden die zusätzlichen Bandbreiten schnell benutzt werden.
CW: Eine weitere ihrer Vorhersagen macht mir etwas Angst. Sie behaupten, dass sich die Menschen enger vernetzen werden und so jeder zum Reporter wird. Muss ich mir wegen dieser flachen Welt, die Sie kommen sehen, bald einen neuen Job suchen?
Evans: Nein, ich kann Sie beruhigen. Es ist eine Sache, wenn jeder grundsätzlich die Möglichkeit besitzt, Informationen zu verbreiten. Damit weiss man noch lange nicht, was eine gute Berichterstattung ausmacht. Schon heute kann jeder Filme auf Youtube laden. Das heisst aber noch lange nicht, dass diese automatisch gut sind. In vielen Fällen sind sie es nicht. Ich würde sogar behaupten, dass die guten Reporter noch mehr aus der Masse herausstechen werden. Die Entwicklung wird dagegen vor allem bedeuten, dass wir viel besser mitverfolgen können, was gerade passiert, und zwar weltweit. Und diese Vernetzung als Gesellschaft wird auch je länger je wichtiger. Wir müssen uns sogar enger vernetzen, um künftige Probleme lösen zu können. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Invasion der Roboter
CW: Sehr hoffnungsvoll finde ich dagegen Ihre Vorhersage, dass wir künftig praktisch unseren ganzen Energiebedarf durch Sonnenkraftwerke abdecken können. Wie soll das möglich sein?
Evans: Hier muss ich ein wenig philosophisch werden. Die Techniken für die Nutzung der Sonnenenergie und weiterer erneuerbarer Energieformen existiert heute bereits. Es ist also kein technologisches Problem, dass dies noch nicht umgesetzt ist, sondern ein gesellschaftliches und politisches. Wir könnten also die Sonne und den Wind bereits heute wesentlich intelligenter zur Energiegewinnung einsetzen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Im MIT wurde ein Verfahren entwickelt, wie man Fensterscheiben in Sonnenkollektoren verwandeln kann. Warum also wird nicht jedes Haus, das neu gebaut wird, damit ausgerüstet? Die Techniken sind also da. Wir müssen sie nur intelligenter nutzen. Und hier kommen Netzwerke wieder ins Spiel. Denn diese könnten alle die Geräte, die Energie erzeugen und verbrauchen, besser organisieren helfen. Es gibt da beispielsweise die Firma NXP, die Glühbirnen herstellt, denen man eine IPv6-Adresse zuordnen kann. Somit könnte jede Lampe intelligent gesteuert werden und wir könnten den Energieverbrauch drastisch senken. Denn was passiert etwa heute, wenn ich an einem Feiertag ins Büro gehe und den Lichtschalter betätige? Jede Lampe auf dem ganzen Stock geht an, obwohl ich mich nur in einem kleinen Teil des Raums aufhalte. Dasselbe gilt für die Heizung. Wir werden also künftig mit Hilfe der Netzwerktechnik unseren Energieverbrauch viel granularer und effizienter steuern können als bislang.
CW: In einer anderen Vorhersage, sind Sie der Überzeugung, dass bis 2032 Roboter besser sein werden als Menschen und dass 2035 Roboter die Menschen als Arbeitskraft ablösen. Doch was machen dann die Leute, stehen wir dann einem Arbeitslosenheer gegenüber?
Evans: Keineswegs. Die gute Nachricht ist, dass wir jede Menge neue Jobs schaffen werden. Wenn man sich die Geschichte betrachtet, dann sieht man, dass diverse Arbeiten, die vor hundert Jahren Menschen verrichteten, heute von Maschinen oder Robotern erledigt werden. In einigen Fällen, so etwa in der Autoindustrie, braucht es nur noch Leute, um das Auto aus der Fabrik auf den Parkplatz zu fahren. Alles andere - also die Herstellung, Montage, das Spritzen, und ähnliches - wird von Robotern erledigt. In einigen Bereichen, werden Menschen also überflüssig. Was wir aber wissen, ist dass die 10 bis 15 wichtigsten Jobs im Jahr 2035 noch gar nicht existieren. Wir sind dabei, neue Industrien zu entwickeln, vor allem im Biotech- und Nanotech-Bereich. Das heisst also, obwohl wir mit Robotern die heutigen Jobs eliminieren werden, kreieren wir gleichzeitig neue Jobs in anderen Bereichen. Es wird eine Menge Arbeitsmöglichkeiten für Menschen geben. Eine Herausforderung wird dabei allerdings sein: Wir werden uns als Gesellschaft verbessern müssen. Viele Routinejobs werden wegfallen und von Robotern erledigt werden. Roboter werden zudem Arbeiten erledigen, die Menschen gar nicht fertig bringen. Ich denke da an medizinische Roboter in der minimalinvasiven Chirurgie. Schon heute sind gewissen Maschinen besser als Menschen. Wir müssen uns lösen von dem Roboterbild, das uns Hollywood vermittelt. Die meisten Roboter werden keine Humanoiden sein, sonder kleine Geräte, die ganz bestimmte Aufgaben erledigen, wie etwa unsere Wohnung sauber halten, wenn wir nicht da sind. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Werden wir zu einer neuen Spezies?
CW: Sie sind der Überzeugung, dass 3D-Printing so ausgefeilt sein wird, dass wir uns ganze Geräte ausdrucken werden. Wenn ich das weiterspinnen darf: Wäre das nicht eine Gefahr für eine Firma wie Cisco? Schliesslich könnte sich jeder seinen Catalyst-Switch ausdrucken...
Evans: Es ist eine Sache, etwas auszudrucken. Es ist aber eine ganz andere Sache, das Geistige Eigentum zu besitzen, um das Produkt zu entwerfen. Firmen könnten somit künftig das Design der Geräte verkaufen, so dass man sich diese ausdrucken kann. Statt also eine Maschine physisch zu kaufen, erstehen Sie das Rezept. Es wird aber nicht möglich sein, dass Sie zuhause sitzen können und das Geistige Eigentum besitzen, um die nächste Generation von Catalyst-Switches auszudrucken. Sie brauchen immer noch die Firmen, die Ingenieure und Erfinder, die das Konzept entwickeln. Meiner Meinung nach wird 3D-Printing stattdessen die Herstellung und den Vertrieb von Geräten revolutionieren. Nehmen wir an, Ihnen gefällt ein Smartphone: Statt also in ein Geschäft zu gehen und es zu kaufen, bestellen Sie den Bauplan im Internet, laden ihn herunter, und drucken das Smartphone nachts, wenn Sie schlafen, aus.
Ein anderes Beispiel wäre folgendes: Heute müssen Hersteller Lagerhallen mit Ersatzteilen bereithalten für Produkte, die sie gar nicht mehr herstellen. Das ist doch sinnlos. Wäre es nicht besser, wenn Sie ein Ersatzteil für Ihr Gerät brauchen, dass Sie die Blaupause davon aus dem Netz laden können, und es ausdrucken können? Hier schlummert ein riesiges Potenzial für die Industrie. Für mich ist das übrigens eines der spannendsten Themen.
CW: Vor ein paar Jahren habe ich mit Ihrem Kollegen, dem Erfinder, Unternehmer und Futurologen Ray Kurzweil, gesprochen. Er vertritt die Ansicht, dass wir künftig viele Nanobots in uns haben werden, die unsere vitalen und kognitiven Funktionen verbessern. Schliesslich werden wir eine neue Art werden, halb Mensch, halb Roboter..
Evans: ...Sie meinen das Konzept der Singularität...
CW: ...genau. Was halten Sie von dieser Vorstellung?
Evans: Lassen Sie mich vorwegschicken: Ray ist ein brillianter Kopf, gescheiter als ich jedenfalls. Ich nehme seine Vorhersagen sehr ernst. Er spricht etwa davon, dass Nanobots die Signale zwischen den Synapsen abfangen und eine künstliche Realität in unseren Hirnen kreieren werden. Ob das eintreffen wird, wird sich wohl weisen. Ich versuche nicht einmal, das vorherzusagen. Was wir definitiv sehen, ist, dass Menschen durch Technologien angereichert werden. So gibt es heute schon die Möglichkeit, Leuten, die taub geboren wurden, einen künstlichen Schneckengang zu implantieren, oder Blinde mit einer künstlichen Netzhaut auszurüsten. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Ob wir allerdings Nanobots in unserem Hirn haben werden, ist nicht sicher. Technisch gesehen, wird das einmal möglich sein. Ob das allerdings schon in den nächsten vierzig Jahren auch umgesetzt wird, dahinter möchte ich ein Fragezeichen setzen. Schliesslich wird es hier Widerstände geben, die philosophischer, ethischer, religiöser und politischer Art sein werden.
CW: Überlegen Sie sich bei Ihren Vorhersagen auch die Nachteile und Schattenseiten? Was passiert, wenn etwas schiefgeht? Müsste man nicht auch in Erwägung ziehen, dass die Systeme, die es einmal geben wird, mit Viren infiziert werden und Amok laufen?
Evans: Ja, das erwäge ich sehr wohl. Generell bin ich aber sehr optimistisch eingestellt. Die Möglichkeiten, die diese Techniken uns Menschen bieten werden, sind grossartig. Sie werden viele unserer Probleme lösen helfen, etwa die Klimaveränderung, den Hunger und Wassermangel. Es ist aber auch klar, dass diese Techniken in den falschen Händen negative Konsequenzen haben werden. Das heisst: Wenn wir diese Systeme erstellen und verbinden, müssen wir zuvorderst auf Sicherheit bedacht sein. Wir müssen zusehen, dass sie stabil und sicher sind sowie nicht missbraucht werden können. Beim Design muss also darauf geachtet werden, dass so etwas wie der Stuxnet-Wurm, der industrielle Anlagen lahmgelegt hat, nicht möglich ist. Schliesslich müssen wir sicher stellen, dass wir immer die Technik beherrschen und die Technik nicht uns. Ich bin aber optimistisch: Ich glaube, dass wir das schaffen werden und eine positive Zukunft haben.



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