«The Daily»
04.02.2011, 09:42 Uhr
Die iPad-Zeitung im Test
Die Tageszeitung «The Daily» hat ihren Weg in den App-Store gefunden. Ob es sich dabei wirklich um den Anfang vom Ende der Print-Zeitungen handelt, hat Computerworld.ch für Sie getestet.
Soviel vorweg: Die App ist zurzeit nur im amerikanischen App-Store zu haben. Sie kann jedoch hier kostenlos heruntergeladen werden, wenn man sich mit einem amerikanischen Account beim App Store anmeldet. (Die Erstellung eines solchen ist ganz einfach. Eine Beschreibug finden Sie beispielsweise bei unserer Schwesterpublikation Digitalliving.ch.) Die Inhalte sind für die nächsten zwei Wochen kostenlos, erst dann wird der Abschluss eines Abos fällig.
Viel Aufwand für wenig Geld
Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass «The Daily» die erste echte Tageszeitung auf dem iPad ist. Dabei wird nicht einfach nur der Inhalt einer Website neu verpackt, sondern die Artikel werden explizit für Apples Tablett aufbereitet. Und das bedeutet eine Menge Arbeit: Täglich sollen über 100 Seiten an neuen Inhalten geboten werden. Die meisten davon werden durch üppige multimediale Eigenschaften wie Audio, Videos, Panoramafotos oder Weblinks ergänzt. Jede Seite funktioniert sowohl im Hoch- als auch im Querformat, was man von einer Zeitung auf Papier nicht behaupten kann.
Bei so viel Leistung wirken die Abo-Kosten wie eine Kampfansage an die restliche Medienlandschaft. Eine Woche kostet gerade einmal 99 US-Cent, ein ganzes Jahr schlägt mit bescheidenen 39.90 US-Dollar zu Buche. Wenn man sich jetzt noch vor Augen hält, dass sich Apple die übliche Tranche von 30 Prozent abschneidet, dann wird deutlich, dass ein solches Geschäftsmodell nur in einem grossen Markt wie den USA funktionieren kann. Verleger Rupert Murdoch hält denn auch mit den Zahlen nicht hinter dem Berg zurück. In die Entwicklung bis zur ersten Ausgabe wurden über 30 Millionen Dollar investiert, die laufenden Kosten betragen ca. 500'000 Dollar – pro Woche.
«Auf der nächsten Seite lesen Sie, was Leser erwartet.
Was erhalten die Leser?
Und wie profitieren und die Leser von diesem enormen Aufwand? Bei der Betrachtung von «The Daily» wird schnell ersichtlich, dass sich das Magazin nicht grundlegend von anderen, ähnlich gelagerten Produkten unterscheiden. Die Storys werden beim Aufrufen wie ein Karussell dargestellt, ähnlich der Cover-Flow-Darstellung in iTunes. Geblättert wird mit den Fingern (wie auch sonst), wobei auch mehrseitige Geschichten stets horizontal verlaufen, und nicht etwa wie bei anderen Produkten vertikal durchblättert werden.
Vor allem aber glänzt die «Zeitung» dort, wo die gedruckten Geschwister versagen: bei den multimedialen Inhalten, und diese werden reichlich eingesetzt. Natürlich gibt es immer wieder Videos zu sehen – sowohl zu den einzelnen Geschichten, Interviews, Sportanlässen, aber auch in Form von Werbung. Letztere wird jedoch nicht gegen den Willen des Benutzers abgespielt, sondern nur auf dessen ausdrücklichen Wunsch.
Dass jeder Leser einen Artikel auf seiner Facebook- oder Twitter-Seite kommentieren kann, ist wirklich nichts Neues. Doch «The Daily» funktioniert auch in die andere Richtung. So wird in einer Geschichte über die R&B-Sängerin Rihanna auch ihr Life-Twitter-Feed eingeblendet – das haben wir in dieser Form tatsächlich noch nie gesehen. Und wenn jemand zu einem Artikel seinen Senf dazu geben möchte, dann sind die Foren nicht länger auf Texte limitiert, sondern nehmen auch Sprachkommentare auf. Ob das allerdings Fluch oder Segen ist, wird sich erst noch zeigen müssen.
Auch die Spielernaturen sollen nicht zu kurz kommen. Natürlich gibt es eine Rubrik, die sich mit den neuesten und besten Apps auseinandersetzt – kombiniert mit der Möglichkeit, mit einem Tipp in den App-Store zu wechseln und die App dort zu kaufen. Aber auch das lässt sich noch steigern. In jeder Ausgabe werden Kreuzworträtsel und Sudokus angeboten. Wer diese löst, erhält Punkte, die dann wiederum in Apples Game Center in einer Rangliste festgehalten werden. Und noch ein witziges Detail: In den spärlichen Einstellungen der App lässt sich ausgerechnet das eigene Sternzeichen angeben, damit man auch immer die passenden Horoskope serviert bekommt.
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Nicht alles ist perfekt
Alles in bester Ordnung also? Nein. Die Bild- und Filmqualität überzeugt überhaupt nicht. Fotos zeigen starke JPEG-Artefakte, während Filme zum Teil eine Qualität aufweisen, die an eine Webcam erinnern – und zwar an eine aus dem Jahr 1995. Das ist besonders bedauerlich, weil «The Daily» auch Apples AirPlay unterstützt, so dass zum Beispiel Videobeiträge kabellos über Apple TV auf den Fernseher gespielt werden können.
Das Besondere an «The Daily»
Der aktuelle Hoffnungsträger einer ganzen Branche weiss durchaus zu überzeugen. Allerdings lässt sich auch nicht leugnen, dass es bereits gelungen Apps gibt, die dem Kind von Rupert Murdoch in weiten Teilen das Wasser reichen können.Wirklich neu ist hingegen die schiere Menge der multimedial aufbereiteten Inhalte. Und da die diese täglich wechseln, fühlt man sich wirklich in der Zukunft der Tageszeitung angekommen. Murdoch geht übrigens davon aus, dass «The Daily» für die nächsten zwei Jahre iPad-exklusiv bleibt – wobei man natürlich die Android-Plattform scharf im Auge behält.
Freuen wir uns also mit den Amerikanern – denn in unseren Breitengraden werden wir ein ähnliches Produkt so schnell nicht zu sehen bekommen. Wenn man sich den enormen technischen, gestalterischen, fotografischen und journalistischen Aufwand vor Augen hält, dann kann man an einer Hand abzählen, welche Verlage im deutschsprachigen Raum ein solches Produkt auch nur ansatzweise realisieren könnten. Aber zumindest können wir aus der Ferne einen Blick auf die mediale Zukunft werfen.
Harald Schodl