Die IT und der Mensch
11.12.2006, 08:03 Uhr
Eine Herausforderung?
Der Mensch gerät in der IT zunehmend unter Druck: Knappe Ressourcen führen zu -Konflikten und Handlungsblockaden.
Andre Jacomet ist Inhaber von Somatic.ch und Heidi Pollmann ist Inhaberin von Workness.ch
Die IT ist eine eigene Welt!» Diese Aussage enthält eine Kernwahrheit: Die IT ist tatsächlich eine spezielle Welt mit eigenen Werten und Vorstellungen, mit eigenen Interessen, Freuden und Leiden, mit einer eigenen Sprache. Sprache im weitesten Sinne ist eine Grundvoraussetzung für gut funktionierende Kommunikation.
Steigender Leistungsdruck, zunehmend restriktive Budgets, steigende Anforderungen, sinkende Ressourcen, allenfalls noch gepaart mit einschneidenden organisatorischen Massnahmen. Es ist müssig, daran zu erinnern, was für die meisten, die in der IT-Branche tätig sind, zum beruflichen Alltag geworden ist. Fakten, die sich allesamt entscheidend auf die Anzahl und Tragweite von Konflikten auswirken.
Love IT, change IT or leave IT? Leave - obige Faktoren dürfen kein Grund sein zu gehen, denn wir würden vom Regen in die Traufe kommen. Love - es gibt genug Gründe, das zu mögen, was wir tun und das Umfeld, in dem wir uns bewegen, aber - change - auch immer mehr Gründe, aktiv zu werden und die IT zu einer Welt zu machen, die besser ist als ihr Ruf. Wenn wir auch die äusseren Rahmenbedingungen oft nur marginal beeinflussen können, so sind wir doch in der Lage, einiges zu positiven Veränderungen beizutragen und damit einen konstruktiven Umgang mit inneren und äusseren Konflikten zu erlernen. Gleichzeitig sollten wir uns dabei jedoch diejenigen Qualitäten und Fähigkeiten zunutze machen, welche die IT als Leistungsorganisation auszeichnen. Neben unseren fachlichen Fähigkeiten können wir damit auch unsere soziale Kompetenz steigern, die zunehmend in Job-Profilen gefragt ist und die nicht nur den beruflichen sondern auch den privaten Umgang mit Menschen bereichern kann.
Konflikte als Indikator
Konflikt, ein Begriff, der meist mit negativen Erfahrungen assoziiert wird, ist an sich nichts Negatives. Konflikte zeigen genau genommen Systemfehler auf, die behoben werden sollten und können. Anders als in der digitalen Welt, wo es in der Regel eine eindeutige Indikation über gut funktionierende Kommunikation gibt, braucht es bei Menschen aber manchmal etwas länger, Systemfehler zu erkennen. Vom «Point of Incident» bis zur «Resolution» vergeht oft wertvolle Zeit. Im stressigen Alltag fehlt uns die Wahrnehmung, die für eine Früherkennung hilfreich wäre. Und wir neigen, wenn die Zeichen irgendwann nicht mehr zu übersehen sind, dazu, Probleme nicht wahrzunehmen. Weil wir keine Antworten wissen. Oder, weil wir keine Lust auf die Konsequenzen haben. Ähnlich aber wie in der digitalen Welt könnten wir uns oft Ärger und Zeit, Nerven und Folgeschäden ersparen, würden wir rechtzeitig die Systemfehler der menschlichen Kommunikation erkennen und beheben.
Wir haben gelernt zu funktionieren und uns voll und ganz um die Lösung von Fachproblemen zu kümmern. Jedoch gibt es auch eine Kehrseite der Medaille - und zwar aus zweierlei Perspektive. Aus Unternehmenssicht: Konflikte führen zu Effizienzverlusten, bewussten Sabotageakten, steigenden Fehlzeiten und Fluktuation. Wertvolle Zeit geht durch endlose Diskussionen verloren, die angeblich noch auf einer Sach-ebene ausgetragen werden. Einer Sach-ebene jedoch, die nicht mehr viel mit den tatsächlichen Divergenzen zu tun hat. Ein anderer Aspekt ist schlicht der wirtschaftliche Schaden gescheiterter Projekte.
Aus persönlicher Sicht: Hand aufs Herz - wen von uns belasten Konflikte nicht?
Die IT und der Mensch: Eine Herausforderung?
Pragmatischer Werkzeugkasten
Was also braucht es, um einen pragmatischen Werkzeugkasten für den Umgang mit Konflikten zu haben, der nicht erst dann zum Einsatz kommt, wenn wir uns den Konflikt als solchen eingestehen, sondern bereits zur Prävention und Früherkennung beitragen kann? Einen Werkzeugkasten wohlgemerkt, der in die Welt der IT passt, der es erlaubt, das Gesicht zu wahren, und vor allem mit Tools, die ein authentisches Handeln ermöglichen:
Es braucht ein gewisses Grundverständnis darüber, wie zwischenmenschliche Kommunikation abläuft, wie Konflikte entstehen und was sie bedeuten, welche Auswirkungen sie auf Teams, Organisationen und einen selbst haben. Noch wichtiger aber ist das Wissen um effiziente Techniken und Methoden, Konflikte (als direkt Beteiligte oder als Aussenstehende) anzusprechen und zu adressieren. Das Wissen um die Eigenverantwortung bei der Lösung von Konflikten und die enormen Chancen, die sich damit für die Lösung und für uns selbst auftun, wird zur Hauptantriebskraft, um zur Tat zu schreiten.
Ein Beispiel aus der Praxis: Der CIO eines mittelgrossen Finanzunternehmens beauftragt ein externes Consulting-Unternehmen mit der Durchführung eines Social-Engineering-Audits zur Überprüfung der Sicherheitsmassnahmen des Unternehmens. Die Ergebnisse sind katastrophal: Drei Personen werden ohne jede Identitätsprüfung Badges ausgehändigt, die ihnen vollständigen Zutritt in alle Bereiche des Unternehmens gewähren. Sogar ins Rechenzentrum. Die beauftragten Angreifer hätten sich ein ganzes Wochenende im Gebäude aufhalten und mit den durch eine Phishing-Attacke erlangten Passwörtern sämtliche gewünschten Informationen stehlen können.
Schnell ist ein Schuldiger gefunden: Der Leiter Informationssicherheit. Vor allem von Seiten des verantwortlichen Gebäudemanagers wird erheblich Druck auf ihn ausgeübt. Der CIO, sein Chef, versagt ihm die Unterstützung.
Neben einer suboptimalen - aber nicht ungewöhnlichen - organisatorischen Konstellation (Chef der Informationssicherheit berichtet direkt an den Leiter IT) ergab auf Initiative des CIO ein klärendes Gespräch mit allen Beteiligten folgendes - vereinfachtes - Bild: Der Leiter Informationssicherheit ist noch nicht lange in dieser Funktion, hat bereits einigen Handlungsbedarf entdeckt, konnte sich jedoch noch kein vollständiges Bild über die Prozesslandschaft machen. Es fehlten definierte Prozesse für den richtigen Umgang mit Besuchern. Diese Lücke wäre in einem Austausch mit dem Verantwortlichen für Gebäudesicherheit zutage gekommen. Dieser aber war vor kurzem Vater geworden und wegen Komplikationen längere Zeit abwesend. Mit der neuen Familien-situation steht er unter grossem finanziellen Druck. Der Leiter IT hat im Vorfeld die Geschäftsleitung über den geplanten Audit und mögliche Konsequenzen nur unzureichend informiert und ist sich hinsichtlich des weiteren Vorgehens im Unklaren.
Das Gespräch zeigt einerseits sachliche Schwachstellen auf, die behoben werden müssen. Gleichzeitig fördert es aber auch ein gegenseitiges Verständnis, wie aus einer Rolle heraus - in Kombination mit teilweise sehr persönlichen Interessen - explosiver Stoff entstehen kann, der nicht nur durch «tiefgreifende personelle Massnahmen» geklärt werden kann. Die Beteiligten fassen den Entschluss, miteinander das Gespräch mit der Geschäftsleitung zu suchen. Ausserdem wird ein Modell der Zusammenarbeit vereinbart, um zukünftig Schwachstellen im System vorzubeugen.
Fazit
Konflikte dürfen sein und sind bei richtigem Umgang wichtige Indikatoren für Entwicklungspotenziale von Systemen. Konflikte falsch ausgetragen oder zu spät erkannt kosten Ressourcen, die heute weniger denn je vorhanden sind.
Heidi Pollmann, Andre Jacomet