«Wir müssen die Hälfte der Wirtschaft neu erfinden»

So verändert sich der Arbeitsmarkt

Computerworld: Der Arbeitsmarkt wird umgekrempelt, was wird sich da genau verändern?
Helbing: Genau kann man das natürlich nicht beantworten. Aber man kann die groben Züge erkennen. Einiges hat sich bereits geändert, so die Art und Weise wie wir einkaufen und Dienstleistungen nachfragen, nämlich immer mehr online. Aktuelle Paradebeispiele sind Uber und Airbnb, die im Taxiwesen und in der Übernachtungsbranche für Aufruhr sorgen. Auch die Finanzwirtschaft wurde bereits stark umgekrempelt. Banken fragen sich bereits, ob es sie in Zukunft überhaupt noch geben wird. Bald wird auch anders produziert, nämlich mit 3D-Druckern, oder transportiert, etwa mit selbstfahrenden Fahrzeugen und Drohnen. Wir werden uns anders ausbilden. Bildung wird vermehrt online stattfinden sowie personalisiert und individualisiert sein. Die Forschung ändert sich. Plötzlich gibt es Data Science als vierten Erkenntnisweg der Wissenschaft, den wir kombinieren mit den anderen Erkenntniswegen. Mit dem Cyberwar verändert sich sogar der Krieg. Mittlerweile gibt es 3D-Drucker für Häuser. Somit steht auch die Baubranche auf dem Prüfstand. Schon jetzt kann man in China ein 57-stöckiges Gebäude in drei Wochen bauen, während der Berliner Flughafen immer noch nicht fertig ist. Das zeigt, wie dramatisch diese Entwicklungen sind. Man muss also damit rechnen, dass schlussendlich alles in Frage gestellt wird und alles neu erfunden wird.
Quelle: Stefan Walter/Computerworld
Computerworld: Was macht man da mit all den Leuten, die in dieser neuen Ökonomie keine Arbeit mehr haben?
Helbing: Da muss man letzten Endes neue Arbeitsplätze schaffen. Die Idee, dass all diese Leute von Sozialhilfe leben und mit Nahrung und einem Dach über dem Kopf zufrieden sein werden, ist illusorisch. Menschen möchten etwas Sinnvolles tun in ihrem Leben. Sie möchten das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Wir müssen im Grunde genommen 50 Prozent der Volkswirtschaft neu erfinden. Das ist schlussendlich das, was der Verlust von 50 Prozent der klassischen Arbeitsplätze bedeutet. Ich sage nicht, dass 50 Prozent der Leute arbeitslos sein werden. Es geht genau darum, das zu vermeiden, aber es wird völlig neue Ansätze brauchen.
Computerworld: Welche Konzepte gibt es da?
Helbing: Um massiv neue Arbeitsplätze zu schaffen brauchen wir kombinatorische Innovation. Dabei muss Interoperabilität gefördert werden, damit bestehende Produkte und Services zu neuen Produkten und Services kombiniert werden können. Günther Öttinger sprach kürzlich von einem tödlichen Überlebenskampf der europäischen Industrie, der bis 2020 entschieden sein wird. Wenn wir nun das Gleiche machen wie Unternehmen in den USA, China oder Südkorea vor 5, 10 oder 15 Jahren, sind wir mit Sicherheit verloren. Wir müssen vielmehr die Möglichkeiten von Big Data, Künstlicher Intelligenz und digitalen Technologien so schnell wie möglich für jeden nutzbar und erweiterbar machen, um mehr Innovationskapazität zu mobilisieren, bevor der Jobmarkt und die Kaufkraft einbrechen. Der Staat könnte zunehmend Daten für jedermann öffnen, also einen «Open Data»-Ansatz verfolgen. Auch viele Unternehmen könnten Daten, die kommerziell nichts oder nicht mehr viel für sie abwerfen, für neue Nutzungen zugänglich machen. Wir brauchen ein partizipatives Informations- und Innovationsökosystem. Dann könnten mehr Menschen von den digitalen Möglichkeiten profitieren, eigene Produkte entwickeln und sich selbstständig machen. Worauf wir hinzielen müssen, ist eine Art Mitmachgesellschaft. Es geht um die Frage, wie man mehr Menschen in Innovationsprozesse und in soziale und ökonomische Wertschöpfung einbinden kann. Wichtige Konzepte sind hier Ko-Kreation und Prosumenten, also ko-produzierende Konsumenten. Firmen sollten sich daher Gedanken machen, wie sie dem Kunden etwas dafür bezahlen können, dass er eine Leistung erbringt, beispielsweise, indem er dabei hilft, die Produkte noch wertvoller zu machen, so dass sie wiederum teurer verkauft werden können. Dann haben wir alle etwas davon. Das dafür nötige vernetzte Denken bringt etwa die Generation Y schon mit. Bei ihr hat die klassische Karriere ausgedient. Sie möchte Dinge zusammen mit Freunden aufbauen und gemeinsam Projekte auf den Weg bringen. Es braucht somit nur noch die richtigen digitalen Plattformen, um diese Kreativität und innovationskraft freizusetzen.



Das könnte Sie auch interessieren