31.05.2016, 14:45 Uhr
Protokolle der Zürcher Pfarrer aus dem 17. Jahrhundert online
Für Geschichtsinteressierte: Protokolle von Zürcher Pfarrrern aus dem 17. Jahrhundert sind online verfügbar. Die Texte handeln von Armut, häuslicher Gewalt, Sex und von einer schon damals lärmenden Dorfjugend.
Das Staatsarchiv hat einen neuen Schatz digital erschlossen: Es hat rund 3400 Seiten handgeschriebene Protokolle von Zrcher Pfarrern aus dem 17. Jahrhundert transkribieren lassen. Die Texte handeln von Armut, häuslicher Gewalt, Sex und von einer schon damals lärmenden Dorfjugend. Im Jahre 1695 forderte der Pfarrer der Kirchgemeinde Pfäffikon im Zürcher Oberland an einer Versammlung die Anwesenden auf, sich tugendhafter zu verhalten. Wie er damals handschriftlich in seinem Protokoll niederschrieb, bat er insbesondere darum, dass «das gar überhand nemmende keglen am sonntag» abzustellen sei. Ein Dorn im Auge war ihm auch «das nächtliche unwesen und herumblaufen junger buben». Dieses Protokoll - sowie zahlreiche weitere aus 34 anderen Kirchgemeinden des alten Stadtstaats Zürich - können neu online durchstöbert werden. Das Staatsarchiv und die evangelisch-reformierte Landeskirche haben über 3400 handgeschriebene Seiten ins Internet gestellt. Dort lassen sich die originalen Dokumente, die abfotografiert wurden, nun bewundern. Für das ungeübte Auge sind sie aber kaum zu entziffern: Die Handschriften der verschiedenen Pfarrer sind zu flüchtig, zu individuell. Der freischaffende Historiker Beat Frei aus Horgen arbeitete alle diese Notizen durch und hat sie fürs Computerzeitalter transkribiert.
Einblicke in Lebenswelt vor 300 Jahren
Dank dieser Arbeit steht nun lokalgeschichtlich Interessierten, aber auch der wissenschaftlichen Forschung über ein paar wenige Mausklicks eine grosse Textsammlung zur Verfügung. Diese erlaube "einzigartige Einblicke in den Alltag und die Lebenswelt der Bevölkerung auf der Zürcher Landschaft und in der Stadt Zürich vor über 300 Jahren", teilte das Staatsarchiv mit. Bei den Dokumenten handelt es sich um sogenannte "Stillstandsprotokolle": Nach dem Gottesdienst standen die Mitglieder dieses Gremiums sprichwörtlich still, um über ihre Geschäfte zu beraten.
Dabei ging es immer wieder um Armut, häusliche Gewalt und von der Norm abweichenden Sex, was damals insbesondere auch vorehelicher Geschlechtsverkehr bedeutete. Zudem wurden wiederkehrend über Alkoholismus, nächtliche Ruhestörung durch die Dorfjugend und andere Verstösse gegen die geltende Moral diskutiert. So wurde beispielsweise 1642 in Birmensdorf etwa über Felix Rosenberger von Landrikon verhandelt, der "die wochenpredigen liederlich" besuche. Ja er habe nicht einmal "am hohen donstag nach carfreitag dem gottsdienst beygewohnet", hielt der Pfarrer fest. Immerhin, es wurde alles gut: Der Angeschuldigte "bekennte den fähler, batte umb verzeihung und ward begnadiget".