IT-Projekte im Industriesektor 02.05.2022, 06:12 Uhr

Daten stehen im Zentrum

In fast alle IT-Bereiche haben Schweizer Industrieunternehmen im letzten Jahr investiert. Nur zählt inzwischen nicht mehr nur die Produktivitätssteigerung. In den Fokus kommt immer mehr die verbesserte Nutzung der eigenen Daten.
Viele Industriefirmen wollen vermehrt Daten nutzen, um mittels eigener Plattformen und Auswertungen die Customer Experience und die Brand Loyalty zu verbessern
(Quelle: Shutterstock/Zapp2Photo)
Das vergangene Jahr war in der Schweizer Industrie von Meldungen wie diesen bestimmt: Der Bauchemiekonzern Sika teilt erleichtert mit, dass mit dem Umstieg auf SAP S/4Hana eines der zentralen Elemente in der Digitalisierungsstrategie erfolgreich realisiert werden konnte. Der zur Galenica-Gruppe gehörende Arzneimittelanbieter Verfora berichtet, durch den Rückgriff auf die Product-Information-Management-Lösung Contentserv von Stämpfli Kommunikation das Fundament für eine ebenso schlanke wie leistungsstarke Produktkommunikation auf allen Kanälen gelegt zu haben. Und am Beispiel Nestlé lässt sich ablesen, wie das Online-Geschäft angekurbelt wird, indem die Kundendaten geziel­ter verwendet, eine personalisierte Customer Experience fokussiert und via Datenanalyse und KI (künstlicher Intelligenz) aktuelle Trends schneller genutzt werden.
Diese Beispiele zeigen recht unmissverständlich, dass trotz grosser Bandbreite an IT-Projekten in den hiesigen Industrieunternehmen die zurückliegenden zwölf Monate die Datennutzung als zentrales Thema hatten. Sie war ein Schwerpunkt, der sich auch in der IT-Trendstudie 2022 von Capgemini findet, die unter dem Titel «IT wird Kern der Wertschöpfung» erschienen ist. Demnach sagten die Ende letzten Jahres befragten Führungskräfte aus der Wirtschaft in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz), dass sie trotz wirtschaftlicher Unsicherheit wachsen wollen und dazu ihre IT-Budgets erhöhen werden. Auffällig ist, dass die zusätzlichen Gelder nicht etwa in die Security fliessen, hier bleiben die Budgets konstant hoch. Die Studie hält allerdings fest, dass in Sachen IT-Sicherheit der Zero-Trust-Ansatz in den letzten zwölf Monaten stark an Bedeutung gewonnen habe. Zwar sei dieses Konzept, bei dem Dienste, Geräte und Anwender im eigenen Netzwerk wie Externe behandelt und ihre Rechte beschränkt werden, noch nicht weitverbreitet. Doch würden sich inzwischen deutlich mehr CIOs mit dem Thema beschäftigen als noch im vergangenen Jahr.
Die zusätzlichen Investitionen sind hingegen besonders für die Erneuerung von Altsystemen und den Cloud-Umstieg sowie in die stärkere Ausrichtung an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden vorgesehen. Ganz oben auf der Anforderungsagenda der CIOs steht laut der Studie die Verbesserung der Informationsauswertung respektive der Datenanalyse.

Mehr Connected Customer Experience

Hinter diesen Trends sieht Alina Besmer, Key Account Managerin Manufacturing Customers in der Geschäftskundensparte von Swisscom, einen Prioritätenausbau. Stehen in der produzierenden Industrie traditionell Produktivitätssteigerung, Skalierbarkeit und Optimierung von Betriebsabläufen oben auf der Agenda, so «gewinnen heutzutage zusätzlich neue Prioritäten an Bedeutung, welche vor allem aus der B2C- respektive Retail-Branche bekannt sind», führt sie aus. Dazu zählt Besmer die Bereiche Customer Experience und Brand Loyalty. In deren Rahmen bewege sich die produzierende Industrie in die Richtung «von Mechanical Machines zu Digital Machines zu Connected Products zu Connected Customer Experience», resümiert sie. Um diesem Ansatz gerecht zu werden, würden die Designprozesse der Industrieunternehmen nicht mehr «primär auf der Ebene Hardware, sondern vielmehr auf den Ebenen Plattformbau und Analytics angesiedelt sein».
“Die Intensität der Kundenbezogenheit hat bei vielen produzierenden Unternehmen deutlich zugenommen„
Alina Besmer, Swisscom
Die Swisscom-Managerin erklärt diese Entwicklung anhand einer ganzen Palette von Technologien, die 2021 bedeutsam geworden sind. So hätten die grossen Hyperscaler die Transformation hin zu As-a-Service-Geschäftsmodellen bereits abgeschlossen und nun würden sie auch im Industriebereich und bei KMU gestartet. «Viele Schweizer Industrieunternehmen, zum Beispiel aus dem Maschinenbau, haben damit begonnen, ihre produzierten Maschinen und Geräte über IoT zu vernetzen, um sie im Abo-Modell anstatt over-the-counter anzubieten», so Besmer. Zudem sei das Interesse an 5G-Themen bei den produzierenden Unternehmen deutlich gestiegen. Im Fokus stünden Einsatzmöglichkeiten in der Produktion und die daraus resultierende, quantifizierbare Mehrwertberechnung.
Weiter sei das KI-Thema wichtiger geworden. Das zeige sich bei der Automatisierung von Betriebsabläufen, die mithilfe einer End-to-End-KI-Plattform der Business-Applikationen eine Basis für künftige Business- und Prozess-Innovationen schaffe. Bedeutsam sei zuletzt auch gewesen, dass der Ort der Wertschöpfung, die Shopfloor-Systeme, an die Management- und Prozesssysteme angebunden worden seien. Weiter verweist Besmer auf die Customer-Journey und die entsprechenden Prozesse, wo heute Durchgängigkeit erreicht sei, um die Einheitlichkeit der Kundeninteraktion sicherzustellen. Insgesamt hätten 2021 neben den physischen Produkten mehr und mehr Zusatzservices an Bedeutung gewonnen. Auch seien in der Industrie die Netzwerke in Richtung Secure-Software-Defined WAN transformiert worden. Und schliesslich nennt Besmer noch das gewachsene Interesse an Cyber-Defense-Fragen, um Attacken zu erkennen respektive abwehren zu können und Produktionsausfälle zu verhindern. Für Besmer sind alle diese ICT-Themen so wichtig geworden, «weil die Intensität der Kundenbezogenheit bei vielen produzierenden Unternehmen deutlich zugenommen und eine strategische Bedeutung angenommen hat».

Vom Onlinehandel lernen

Interessant ist, dass auch Cyrill Schmid, CEO und Inhaber des Beratungshauses Schmid + Siegenthaler Consulting, zu den zentralen Themen des zurückliegenden Jahres «einerseits die Automatisierung und Vernetzung von Prozessen, andererseits aber auch die Vereinfachung und Optimierung bestehender Systemlandschaften» zählt. Weiter erklärt Schmid, der auch als Event-Veranstalter und Betreiber der IT-Plattform Topsoft das Digitalisierungs­geschehen der Schweizer Industrie hautnah verfolgt, dass insgesamt eine Tendenz festzustellen sei, «den Nutzen von Business-Software im Unternehmen zu erhöhen». Viele Betriebe würden sich intensiv Gedanken darüber machen, wie sie zum Beispiel Daten besser für Analysen oder automatisierte Workflows nutzen können. Zudem konstatiert Schmid, dass die steigende Bedeutung im B2B- und B2C-Online-Handel dazu geführt habe, vermehrt integrierte ERP- und E-Commerce-Systeme einzusetzen. Das wiederum, fügt er an, «hat das Management von Produktinformationen ins Zentrum gerückt». Zudem seien «mit der zunehmenden Digitalisierung auch die Anstrengungen für Datenschutz und -sicherheit gestiegen».
“Wir erleben in der Schweiz eine Digitalisierung der kleinen, aber stetigen Schritte„
Cyrill Schmid, Schmid + Siegenthaler Consulting

Schmid rückt auch noch einmal die Pandemie-Massnahmen in den Fokus. Sie hätten fast schlagartig die Dezentralisierung der Arbeitsplätze gebracht. «Dank Cloud-Services, Online-Meetings und Videocalls konnte der Betrieb weitgehend aufrechterhalten werden», fügt er an. Darüber hinaus hätten stockende Versorgungswege in den globalen Märkten den erhöhten Bedarf an Planungssicherheit und Flexibilität in Fertigung und Logistik demonstriert: «Auch hier zeigte sich, wie wichtig aktuelle Daten und integrierte Systeme sind.» Nicht zuletzt habe Corona zu Umsatzrückgängen und steigendem Kostendruck geführt und es waren die «Automatisierung von Prozessen und Massnahmen zur Effizienzsteigerung», mit denen diese Probleme einigermassen abgefedert wurden, jedoch auch einen höheren Digitalisierungsgrad erforderten.
Für Schmid ist aber klar: Die genannten Themen werden sich als Trends weiter fortsetzen und noch mehr verstärken: «Wir erleben in der Schweiz eine Digitalisierung der kleinen, aber stetigen Schritte.» Das hänge auch mit den zu erwartenden Verschiebungen in der globalen Wirtschaft und Politik zusammen. «Europa rückt enger zusammen. Souveränität gewinnt an Bedeutung. Es sind massive Auswirkungen auf Schweizer Industrieunternehmen zu erwarten. Mittlere und grosse Firmen werden die Digitalisierung noch schneller vorantreiben, um schneller reagieren zu können. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und die Administration zu vereinfachen, steigt in kleineren Unternehmen die Nutzung von Gesamtlösungen. In beiden Fällen spielt die Cloud eine wichtige Rolle», so Schmid.

Immer stärker die Kundschaft im Fokus

Gut illustrieren lässt sich Schmids Verweis auf die «Digitalisierung der kleinen, aber stetigen Schritte» am Beispiel des europaweit ältesten Anbieters von kundenspezifischen integrierten Halbleitern. Das 1978 gegründete Bieler Unternehmen HMT Microelectronic hat sich nach diversen Workshops im letzten Jahr für die Einführung eines ERP-Systems mit integrierter Produktionsplanung und Auftragsbearbeitung von Abacus entschieden. Heute unterstütze die neue Geschäfts-Software auch die Überwachung der Qualität und Menge der gelieferten Materialien sowie die Liefertreue der Lieferanten und helfe bei der Kapazitätsplanung: «Wir haben jetzt eine präzise Planungsübersicht auf Knopfdruck», so HMT-CFO Alain Hirter.
Interessant ist auch, dass ein Unternehmen wie Hilti gleich ein ganzes Software-Unternehmen zugekauft hat. Für rund 300 Millionen Dollar wurde mit Fieldwire ein 2013 in den USA gegründeter Bautechnologiespezialist übernommen, der eine Software-Plattform fürs Baustellenmanagement anbietet. Die Hardwareunabhängige Software unterstützt mittlerweile Tausende Kunden dabei, ihre Baustellen digital zu verwalten, und werde sowohl von General- als auch von Spezialunternehmen eingesetzt, um die Produktivität auf Baustellen zu verbessern, schreibt der neue Besitzer. Mit der Übernahme stärke man seine Kompetenz, um mittels Software seine Kundschaft produktiver zu machen, hiess es zur Akquisition. «Seit die Digitalisierung zu einem der wichtigsten Treiber geworden ist, um die Produktivität in der Bauindustrie zu erhöhen, investiert Hilti in digitale Lösungen für Bauprofis», erklärt Christoph Loos, CEO der Hilti Gruppe. Der Zukauf sei der nächste logische Schritt in Richtung auf dem Weg zum Digitalisierungspartner für die Kundschaft.
Wie man als Hersteller über End-to-End-Technologie mit seinen Kundinnen und Kunden in direktem Dialog ste­hen kann, hat die Schuler St. Jakobs Kellerei in Seewen SZ vorgemacht. Sie hat sich mit dem Start-up Authena aus Zug zusammengetan, um eine Weinflasche «mit einem elektronischen Sicherheits-Siegel und mit Blockchain-Technologie fälschungssicher zu machen», wie es in einer Mitteilung hiess. Konkret geht es um den auf 3000 Flaschen limitierten Noa-Premiumwein Château Marlen aus Armenien. Der wird via Blockchain- und IoT-Technologie versiegelt und verspricht ein bisher nicht gekanntes Level an Sicherheit für einen Spitzenwein. Jede Weinflasche könne von der Abfüllung bis zur Öffnung der Flasche getrackt werden und das Blockchain-basierte Framework verunmögliche Weinfälschungen, hiess es weiter. Mit diesem Angebot schaffe man eine emotionale Verbindung und liefere ein grosses Potenzial für Up- und Cross-Selling, «weil die Authentizität stets nachvollziehbar» bleibe.
Schliesslich sei noch ein Beispiel aus dem Netzwerk­umfeld genannt. Mit der Implementierung der SD-WAN-Lösung von GTT wurde das MPLS-basierte Netzwerk von Barry Callebaut auf ein Wide Area Network (WAN) der vierten Generation umgestellt. Neu profitiere man von «erweiterten Automatisierungs- und zentralen Management-Funktionen für eine verbesserte End-to-End-Kontrolle und Anwendungs-Performance», so das Unternehmen, das seit 175 Jahren mit Schokoladen und Kakaos global die Lebensmittelindustrie und lokal Chocolatiers, Konditoren, Bäcker, Hotels, Restaurants und Caterer beliefert. Die Managed-SD-WAN-Lösung reduziere die Gesamtbetriebskosten des Netzwerks und erhöhe die Bandbreite um mehr als 77 Prozent. Spannend ist auch hier, dass Barry Callebaut betont, durch das SD-WAN bei der schnelleren digitalen Transformation unterstützt worden zu sein. «GTT hat uns bei der Entwicklung und dem Aufbau eines vereinfachten, agilen und effizienten Netzwerks unterstützt und uns damit eine Cloud-First-Strategie ermöglicht», sagt Steven Vandamme, CIO des Schokoladenherstellers.



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