VMware im Wandel 20.02.2023, 06:12 Uhr

Der schwierige Weg zur Multi-Cloud

Virtualisierungs-Urgestein und Open-Source-Vorreiter VMware steht durch die laufende Übernahme durch den Broadcom-Konzern vor besonderen Herausforderungen.
Im November fand die Multi-Cloud-Konferenz «VMware Explore» in Barcelona statt
(Quelle: VMware)
Wie es mit VMware im Zuge der 61 Milliarden Dollar schweren Übernahme durch Broadcom weitergeht, interessiert Kunden und Konkurrenten gleichermassen. Der neue Mutterkonzern Broadcom war einmal auf die Produktion von Chips spezialisiert, wurde vom malaysisch-amerikanischen Milliardär Hock Tan aber in ein Software-Imperium verwandelt. 2018 kaufte Broadcom für 18,9 Milliarden Dollar die höchst erfolgreiche Software-Firma CA Technologies und für 10,7 Milliarden Dollar die Cyber Security Group von Symantec. Die Übernahme des Chipherstellers Qualcomm untersagte im selben Jahr aber die Trump-Regierung «aus Gründen der nationalen Sicherheit».
Reine Erfolgsgeschichten waren diese Akquisitionen aber nicht. So sah sich Broadcom in einem Blogbeitrag vom 22. Juni 2022 veranlasst zu versichern, dass es aus den Übernahmen von CA und Symantec gelernt hätte und die Broadcom Software Group sogar in VMware umbenennen wolle. Und Hock Tan versuchte im Oktober Befürchtungen zu zerstreuen, es werde wie bei den anderen Übernahmen zu Preiserhöhungen kommen, und die geplante Steigerung des Jahresgewinns von VMware binnen drei Jahren von 4,7 Milliarden auf 8,5 Milliarden Dollar werde auf Kosten der Innovationskraft gehen: «Der Business Case von Broadcom für diese Transaktion basiert auf der Konzentration auf das Geschäftsmodell, der Verstärkung von Forschung und Entwicklung und der Umsetzung, damit die Kunden den Wert des gesamten Portfolios an innovativen Produktangeboten erkennen – und nicht auf Preiserhöhungen.» Nach Abschluss der Transaktion werde Broadcom in die Produkte von VMware investieren und sie innovativ gestalten, um das Geschäft auszubauen, anstatt die Preise zu erhöhen.
Hinweise auf den Weg von VMware unter dem Broadcom-Dach konnte man sich von der «VMware Explore» im November erhoffen, die an Erfolgsveranstaltungen wie die «VMworld» vor Corona anknüpfen sollte, die mehrere Zehntausend Besucher und eine kaum überschaubare Menge an Sessions vorweisen konnten. Diesmal war das Ganze an nur drei Tagen mit etwa 100 Sessions zu Spezialthemen von VMware und Partnern eine Nummer kleiner.

Great Re-Platforming

Raghu Raghuram, CEO der VMware-Division von Broadcom und seit 2003 in leitenden Managementfunktionen bei VMware aktiv, gab in seinem einleitenden Vortrag in Barcelona die neue Geschäftslinie vor: «Obwohl wir auf dem Weg zur Digitalisierung Fortschritte gemacht haben, sagen mir fast alle Führungskräfte, mit denen ich spreche, das Gleiche: ‹Wir bewegen uns nicht schnell genug›.» Viele CIOs beschrieben die derzeitige Ära als «The Great Re-Platforming» ihrer Unternehmen – als eine Gelegenheit, die Kernprozesse, die jedes Unternehmen vorantreiben, zu überdenken und neu zu gestalten.
Raghu Raghuram leitet als CEO die VMware-Division von Broadcom
Quelle: VMware
Diese Führungskräfte sind laut Raghuram der Ansicht, dass sich die Entwicklung von Virtualisierung, Digitalisierung und Cloud in den letzten Jahren verlangsamt habe. Und sie nennen vor allem drei Gründe dafür: «Erstens haben wir es mit einer weltweiten Lücke bei den entscheidenden Fähigkeiten zu tun, von der Software-Entwicklung bis zum Cloudbetrieb. Zweitens ist da das schiere Gewicht der bestehenden Anwendungen, die sich nur schwer modernisieren und in die Cloud migrieren lassen. Das dritte Hindernis ist die Fragmentierung der Ausführung und Sicherung von Anwendungen über mehrere Clouds hinweg.»
Man kann solche Beschreibungen als Eingeständnis lesen, dass der VMware-Ansatz von Virtualisierung und Multi-Cloud nicht ganz so erfolgreich war, wie man bis anhin öffentlich immer verkündet hatte. Raghuram führte in seiner Eröffnungsrede in Barcelona aus: «Eine Umfrage, die wir in diesem Sommer unter mehr als 5000 Unternehmen weltweit durchgeführt haben, ergab, dass nur 20 Prozent der Befragten den Punkt erreicht haben, an dem die strategischen Vorteile von Multi-Cloud die Herausforderungen überwiegen, einschliesslich der steigenden Kosten und der Schwachstellen in der Cybersecurity. Mit anderen Worten: Nur eines von fünf Unternehmen bezeichnet sich heute als cloud-smart.» Und Raghuram fragt: «Welches ist der richtige Weg für die verbleibenden 80 Prozent der Unternehmen, die einen Cloud-smart-Ansatz umsetzen wollen?»

Gibt es ein «neues» VMware?

Vor der Übernahme war VMware eines der wertvollsten und profitabelsten IT-Unternehmen, auch wenn die Börsenkurse in den vergangenen beiden Jahren im Einklang mit der allgemeinen coronabedingten Wachstumskrise rückläufig waren. VMware-Produkte und -Services werden gerade von grösseren Unternehmen mit ihren Public Clouds und als Teil ihrer mehr traditionell ausgerichteten Rechenzentren eingesetzt. Auf ihrer europäischen Kundenkonferenz in Barcelona gaben sich Broadcom und VMware eher bedeckt. Umwälzende Neuerungen waren nicht zu bemerken – allerdings fand die Veranstaltung gegenüber früheren Jahren auch in einem deutlich bescheideneren Rahmen statt. Miteigentümer Michael Dell, der lange den Kurs von VMware dominiert hatte, besitzt noch etwa 40 Prozent der Aktienanteile, ist weiter involviert, obwohl viele Beobachter seiner früheren Dominanz seinen Einfluss bei VMware eher kritisch sehen.
Business as usual unter neuen Vorzeichen ist die Devise von Broadcom/VMware auch bei der Kooperation mit Pure Storage, einem langjährigen Partner. Wie Cody Hosterman, seit neun Jahren Director of Product Development bei Pure Storage, im Gespräch mit Computerworld an der «VMware Explore» versicherte, haben sich die Beziehungen zu VMware unter dem neuen Eigentümer sogar intensiviert. Man arbeite in verschiedenen Entwicklungsprojekten zusammen, insbesondere bei den Flash Arrays und bei vSphere, VMwares Plattform für Enterprise Workloads: «Aktuell sieht es so aus, dass sich die Übernahme durch Broadcom positiv auf die Kooperation auswirkt, und das besonders bei den Hardware-Verkäufen. VMware war immer offen für andere Hypervisoren. Wir arbeiten jetzt mit den einzelnen Broadcom-Partnern intensiver bei Backup- und Storage-Themen zusammen als in der Zeit vorher», so Hosterman.
Jetzt gehe es um die Integration von aktiven Cluster Switches bei virtuellen Volumes (vVols), die nächstes Jahr auf den Markt kommen sollen. Die Nachfrage nach vVols und Active-active-Replikation sei schon in der letzten Zeit stark angestiegen, und eine entsprechende Session mit dem Titel «Active-active stretched cluster vVol support with VMware and Pure Storage» war laut Hosterman in Barcelona besonders gut besucht.
Ein grundsätzlicher Wechsel der Strategie scheint also derzeit nicht in Sicht zu sein. Ob die eher klein gehaltenen Veranstaltungen in Barcelona einer neuen Bescheidenheit geschuldet waren oder bereits Ausdruck eines Sparkurses im Gefolge der Übernahme sind, ist Spekulation. An Corona und seinen Folgen allein dürfte es jedenfalls nicht gelegen haben.
Die VMware-Strategie ist von CEO Raghuram bereits ein Jahr vor der Übernahme so umrissen worden: «Die Multi-Cloud wird in den nächsten 20 Jahren das Modell für das digitale Geschäft sein, und in diesem pulsierenden, dynamischen Markt ist das Innovationstempo unerbittlich. VMware ist mittendrin: Mit VMware Cross-Cloud Services versetzen wir unsere Kunden in die Lage, das volle Potenzial von Multi-Cloud zu erschliessen.»
Experten rechnen damit, dass sich der Abschluss der Übernahme durch Broadcom bis Ende 2023 hinzieht.
 


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